Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland. Группа авторов

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gewesen, ihr möchtet auch einsehen lernen, wozu ihr herabgewürdigt worden seid.“44 Das heute nicht mehr existierende Kloster St. Agnes (Abb. 4) wurde so von Lehne, dem späteren Konservator der Mainzer Altertümersammlung, zum Gedenk- und Erinnerungsort an die beim Verlust der Stadtfreiheit gefallenen Mainzer Bürger stilisiert. Nicht nur der begeisterte Philhellene Lehne45 spielte mit der symbolischen Zahl von dreihundert getöteten Mainzer Freiheitskämpfern auf die entsprechende Zahl gefallener Spartiaten unter der Führung ihres Königs Leonidas am Engpass der Thermopylen in Mittelgriechenland während des Freiheitskampfes der Griechen gegen die weit überlegenen Truppen der Perser an.46 Seit dem 18. Jahrhundert wuchs unter den kulturellen Eliten Europas generell das Interesse an der griechischen Antike. Als Heldenexempel sowie Orientierungs- und Handlungsmodell für die Opferbereitschaft von Bürgern im Kampf für die Freiheit wurde die Schlacht an den Thermopylen insbesondere während der französischen Revolution zu einem wiederholt beschworenen exemplarischen Bezugspunkt und von der revolutionären sprachlichen und symbolischen Semantik vereinnahmt.47 In Mainz ließ die französische Munizipalverwaltung am 29. Mai 1798 ein „Fest der Dankbarkeit“ ausrichten, bei dem die Befreiung von der (kurfürstlichen) Despotie gefeiert werden sollte. An dem vom Erzbischof Lothar Franz von Schönborn 1726 errichteten Neubrunnen wurde die an die kurfürstliche Epoche erinnernde Symbolik getilgt.48 Eine der neu angebrachten Inschriften erinnerte auf der Ostseite an Arnold Walpod, den „Stifter des rheinischen Handelsbundes, welcher der Lehenherrschaft den ersten Schlag versetzte.“ Eine andere war zusammen mit dargestellten Waffen auf der Westseite den „300 Mainzern“ gewidmet, „welche in Vertheidigung der Freiheit gegen den ersten Usurpator gefallen sind im Jahre 1462.“ Auch hier stehen die 300 gefallenen Mainzer Bürger exemplarisch für jene, die ihr Leben im Kampf für die Freiheit opfern. Auf der mit einer komplexen Symbolik ausgestatteten Vorderseite wurde explizit auf den Verlust der Stadtfreiheit angespielt. Zugleich wurde mit der dort angebrachten Inschrift die Eroberung der Stadt Mainz durch die Truppen der französischen Republik als ein Akt der Befreiung stilisiert und gefeiert.49

       Abb. 5: Ansicht von Mainz. Holzschnitt von Franz Behem 1565. Der Pfeil verweist auf das Rathaus.

      Die Geschichte von Freiheiten, Formen der Repräsentation und Partizipation beginnt eben nicht erst um 1800, besonders dann, wenn diese auch als Wahrnehmungs- und Rezeptionsgeschichte von politischer Partizipation, Souveränität und zeitlich begrenzter Herrschaft verstanden wird. Vormoderne Formen der Repräsentation gründeten zwar in der Regel noch nicht auf Wahlen gleichberechtigter Bürger; doch waren auch sie von der Überzeugung geprägt, der durch Repräsentanten vermittelte Konsens sei für die Legitimität von Regierungshandeln unverzichtbar. In Mainz sind mit Blick auf entsprechende Erinnerungsorte erhebliche Verluste zu beklagen, zugleich aber immer noch markante Anknüpfungspunkte vorhanden. Zweckentfremdet und schließlich abgebrochen wurde das aus wenigen Bildquellen bekannte prächtige mittelalterliche Rathaus (Abb. 5), Ort politischer Partizipation sowie Ausdruck bürgerlicher Emanzipation und Selbstbehauptung.50 Ein Rathaus wurde in Mainz erst wieder in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts errichtet. Niedergelegt wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch das Mainzer Kaufhaus, eines der größten und bedeutendsten im nordalpinen Reichsgebiet. Es wurde wohl im Zusammenwirken zwischen Kommune und Stadtherrn geschaffen und erinnert somit auch daran, dass diese Akteure sich keineswegs nur als Gegner gegenüberstanden. Auch um an diesen Ort bürgerlichen Wirtschaftens und Handels zu erinnern, wurde das Kaufhaus vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz (IGL) und dem Institut für Mediengestaltung an der Hochschule Mainz als digitales Monument wieder ins Bewusstsein gerückt (Abb. 6).51 Das lange Zeit im Stadtarchiv verwahrte Original des Privilegs aus dem Jahre 1244 (Abb. 7), mit dem der damalige Mainzer Erzbischof Siegfried III. der Mainzer Stadtgemeinde Freiheitsrechte beurkundete, darunter insbesondere die Wahl eines städtischen Rates, ist verschollen und wohl verloren und nur noch in Fotografien überliefert. Freiheitsrechte waren schon zuvor von Erzbischof Adalbert I. verliehen worden. Der Text wurde in die berühmte Bronzetür am Marktportal des Domes eingegraben (Abb. 8), ein bemerkenswerter, aber vielen Mainzern eher unbekannter Ort der Erinnerungskultur. Neue Monumente sind entstanden, weitere werden entstehen. Mit der Stele zur Mainzer Republik und der Umbenennung des Platzes vor dem Landtagsgebäude wird seit 2013 auf den „Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent“ von 1793 und die Mainzer Republik verwiesen. Damit wird an eine Versammlung im Gebäude des Landtags von Rheinland-Pfalz erinnert, die Elemente moderner parlamentarischer Demokratien enthielt, diesen aber nicht zugerechnet werden kann.52

       Abb. 6: Die 3D-Rekonstruktion des spätmittelalterlichen Mainzer Kaufhauses.

       Abb. 7: Die Urkunde Erzbischof Siegfrieds III. für Mainz von 1244.

      Erinnerungsorte scheitern freilich dann, wenn sie von keinem ausreichenden Konsens getragen werden. Der von einer großen Mehrheit der Mainzer 2018 abgelehnte, für das Gutenberg-Museum geplante Bibelturm hätte als markantes Zeichen nicht nur auf die folgenreiche Innovation des Buchdrucks verweisen, sondern auch daran erinnern können, dass der Mainzer Johannes Gutenberg die ersten gedruckten Bibeln der Welt schuf, als in der Stadt noch ein Stadtrat und Bürgermeister kommunale Belange gestalteten. Die Bibel ihrerseits hätte als Hinweis auf den verschlungenen, komplexen und lang andauernden Weg verstanden werden können, der von der jüdisch-christlichen Auffassung von der Gleichheit aller Menschen vor Gott bis zur naturrechtlich begründeten Vorstellung von für alle geltenden Freiheits- und Menschenrechten zurückzulegen war.

       Abb. 8: Zweiflügeliges Marktportal aus Bronze des Mainzer Doms.

       Forschungsergebnisse und Forschungsperspektiven

      Die Beiträge des vorliegenden Bandes präsentieren Ergebnisse aktueller Forschungen zur Mainzer Republik und verweisen zugleich auf Möglichkeiten künftiger Untersuchungen. Matthias Schnettger skizziert die Wege zur derzeitigen Verortung der Mainzer Republik in Wissenschaft und Geschichtskultur. Schon unter den Zeitgenossen umstritten, wurde sie lange Zeit marginalisiert und im Kontext der sog. deutsch-französischen Erbfeindschaft aus deutscher Perspektive allenfalls als Schandfleck wahrgenommen. Nach der Gründung zweier deutscher Staaten war sie Gegenstand heftiger politischer Kontroversen. Zugleich wurden aber auch die reichlich zur Verfügung stehenden Quellen in erheblichem Umfang erschlossen. So stellen die vom Ostberliner Historiker Heinrich Scheel in zwei Bänden herausgegebenen und kommentierten Protokolle der Jakobinerklubs (I, Berlin 1975) und des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents (II, Berlin 1980) auch heute eine wichtige Grundlage für künftige Forschungen dar.53 Die Aussöhnung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich eröffnete die Möglichkeit, die Mainzer Jakobiner nicht mehr nur als Handlanger von Besatzern in den Blick zu nehmen. Seit den neunziger Jahren haben die wissenschaftlichen Debatten an Schärfe verloren, und zugleich wuchs die Bereitschaft zu einer positiveren Verortung der kurzlebigen Ereignisse links des Rheins. Dabei erweist sich bis heute für eine differenzierte Beurteilung die von Franz Dumont erarbeitete Einteilung der Abläufe von 1792/93 in drei Phasen als von grundlegender Bedeutung. Vor allem während der beiden letzten Phasen erscheint die Mainzer Republik im Kontext sich zuspitzender kriegerischer Ereignisse aus der Perspektive liberaler, rechtsstaatlicher und parlamentarischer Demokratien der Gegenwart als widersprüchlich und janusköpfig, wie auch jene Ereignisse, die wir unter der Chiffre der Französischen Revolution subsumieren. In Mainz kam es zu erzwungenen Eidesleistungen auf die oktroyierte Freiheit, zu Einschüchterungen, Schikanen und Plünderungen, zu gewaltsamen Repressionen und Vertreibungen, von denen auch viele jüdische Familien betroffen waren.54 Wolfgang Dobras

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