Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland. Группа авторов
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland - Группа авторов страница 12
Abb. 4b: Das von der Munizipalität bis Mitte Februar 1793 verwendete Siegel mit der Umschrift: „RATHS INSIGILL DER CHURFURSTL RESIDENTZSTADT MAINTZ“.
Die mit dem Doppelrad-Siegel beglaubigten Scheine wurden an Bürger ausgegeben, die wegen der schwierigen Versorgungslage Geld für die Errichtung eines Getreidemagazins zur Verfügung gestellt hatten. Die Freiheitsallegorie der Revolution, die in die Siegel der umliegenden Gemeinden, wie z. B. in das der Gemeinde Weisenau (Abb. 5), Einzug hielt, hat also zunächst nicht das Doppelrad der kurfürstlichen Mainzer Stadtverwaltung verdrängt.16 Erst seit Mitte Februar 1793 verwendete die Munizipalität ein neues, den Herrschaftsumbruch bezeugendes Siegel mit der Freiheitsgöttin und der Umschrift „Freiheit – Gleichheit“ (Abb. 6).
Abb. 5: Abdruck vom Siegelstempel der revolutionären „GEMEINDE WEISENAU“ mit der Inschrift im Abschnitt: „REPUBLIQUE FRANCOISE“.
Abb. 6: Siegel der Mainzer Munizipalität. Der Wachsabdruck hat sich auf einer von der Munizipalität im Mai 1793 ausgestellten Heiratsurkunde erhalten, die dem unter erneuter französischer Herrschaft 1798 angelegten Heiratsregister beigebunden ist.
In gewisser Weise spiegelt dieser Befund die Art und Weise wider, wie der französische Oberbefehlshaber General Adam Philippe Custine sich gegenüber dem besetzten Mainz und speziell gegenüber den alten Behörden verhielt. Mit seiner Revolutionsarmee hatte er am 21. Oktober 1792 die Hauptstadt des Mainzer Kurfürsten kampflos und nach einer zuvor mit den kurfürstlichen Militärs ausgehandelten Kapitulation eingenommen. Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal war mit den meisten Domherren und Adligen längst aus Mainz geflohen. Ein Großteil der Verwaltung war jedoch geblieben und harrte mit der Bürgerschaft aus, im Ungewissen darüber, was die dritte französische Besetzung von Mainz seit 1644 bringen würde. Dass sie nicht eine übliche Besatzungsherrschaft zu erwarten hatten, machte Custine den Mainzern wenige Tage nach der Übergabe der Stadt deutlich: Er präsentierte sich als Vertreter eines neuen Systems, das – jedenfalls nach seinem eigenen Anspruch – auf den Ideen der Freiheit beruhte und Zwang ablehnte. In einer Proklamation erklärte Custine, dass die Mainzer selbst über ihr Schicksal, d. h. über ihre künftige Verfassung bestimmen könnten: „Selbst dann, wenn Ihr die Sklaverei den Wohltaten vorziehen würdet, mit welchen die Freiheit Euch winkt, bleibt es Euch überlassen, zu bestimmen, welcher Despot Euch Eure Fesseln zurückgeben soll“. Damit verband er das Versprechen, „alle konstituierten Gewalten“ – also die alten vom Mainzer Kurfürsten und den anderen Landesherren eingesetzten Behörden – so lange zu „beschützen“, bis „ein freier Wunsch den Willen der Bürger, Beisassen und Bauern in den Städten und Ortschaften des Erzbistums Mainz, der Bistümer Worms und Speyer […] wird bekannt gemacht haben“.17 Bis zu einer Neuwahl sollten die alten Behörden also weiter amtieren. Custine hoffte, diese dadurch zur Mitarbeit bei der Revolutionierung der Gesellschaft gewinnen zu können.
Nach der Übernahme der Stadt durch Custine machten die alte kurfürstliche Landesregierung, aber auch der Mainzer Stadtrat, das Mainzer Stadtgericht und selbst die oberste Finanzbehörde, die Hofkammer, den Regimewechsel dadurch kenntlich, dass sie ihren Behördennamen durch das Attribut „provisorisch beibehalten“ ergänzten (Abb. 7).
Dass Custine die alten Behörden vorläufig im Dienst beließ, hatte natürlich auch ganz pragmatische Gründe. Man wollte nicht ein gewisses Maß an Ordnung aufgeben. Nur eine äußerliche Anpassung bedeutete es, dass schon nach wenigen Tagen die für die besetzten Gebiete zuständige kurfürstliche Regierung im Namen der „Fränkischen Nation“ zeichnen musste (Abb. 8); der personell unverändert gebliebene Stadtrat nannte sich nun Munizipalität18 (Abb. 9). Rasch musste Custine jedoch die Erfahrung machen, dass die Behörden mit ihm wie mit einem Eroberer zusammenarbeiteten und nicht wie mit einem „Befreier“. Sie verhielten sich zwar loyal, sorgten für Ruhe und Ordnung und organisierten bereitwillig den Besatzungsalltag für ihn, übernahmen aber nicht das politische Programm der Eroberer. Dass die Behörden von sich aus den Bruch mit dem alten Regime vollzogen, war nicht zu erwarten. Deshalb zog Custine nach einem Monat die Konsequenzen. Am 19. November löste er die für das gesamte eroberte Gebiet zwischen Landau und Bingen zuständige Landesregierung durch die sog. Allgemeine Administration ab (Abb. 10). An die Spitze setzte er mit Anton Joseph Dorsch – einem ehemaligen Mainzer Priester und Theologieprofessor, der 1791 ins revolutionäre Straßburg emigriert war – einen überzeugten Jakobiner; immerhin verfügte Dorsch aufgrund seiner Mitarbeit in der Verwaltung des Departements Bas Rhin über einige administrative Erfahrungen. Solche konnte der Vizepräsident, Georg Forster, nicht vorweisen; der Weltumsegler und kurfürstliche Universitätsbibliothekar verdankte seine Stelle vielmehr seiner weit über Mainz ausstrahlenden literarischen Prominenz; vor allem mit seiner Person als „Aushängeschild“ sollte für die Mainzer Republik geworben werden.19 Ebenfalls von Custine umgewandelt wurde der alte Stadtrat. Nach französischem Vorbild gliederte er sich nun in zwei Räte auf, denen ein Maire und, als dessen Stellvertreter, ein Gemeindeprokurator vorstanden. Damit besaß die Bürgerschaft im Übrigen erstmals seit 1462 wieder einen – wenn auch nicht von ihr gewählten – Bürgermeister. Beide Ämter übertrug Custine Personen, die früh dem Mainzer Jakobinerklub beigetreten waren: Maire wurde der bereits oben genannte Richard Joseph Ratzen, ein kurfürstlicher Jurist; Gemeindeprokurator wurde der bei den Zünften beliebte kurfürstliche Polizeikommissar Franz Konrad Macke, der sich nun Macké nannte. Alle übrigen Behörden ließ Custine jedoch unangetastet: Die Finanzkammer arbeitete noch bis Anfang Januar 179320, das Stadtgericht wurde sogar erst durch ein Dekret des Nationalkonvents am 23. März 1793 aufgehoben.21 Dazu passt auch, dass die alten Siegel teilweise weiter in Gebrauch blieben, wie die gezeigten Beispiele demonstrieren.
Abb. 7: Schreiben der „provisorisch beibehaltenen Regierung“ an das Mainzer Vizedomamt vom 17. November 1792 (Detail unten).
Abb. 8: Protokollextrakt des „provisorisch beibehaltenen Stadtgerichts“ vom 21. März 1793 (Detail unten).
Abb. 9: Unterschrift und Siegel des „provisorisch beibehaltenen Mainzer Stadtrats“. Ausschnitt aus einem in Französisch abgefassten Schreiben vom 11. November 1792.
Abb. 10: Siegel der von Custine eingesetzten Allgemeinen Administration.
Custines Plan, durch die personellen Änderungen in der Verwaltung auch politisch zuverlässige Beamte gewinnen zu können, ging jedoch nur zum Teil auf. Während einzelne ehemals kurfürstliche Beamte wie Ratzen und Macké sich in ihrem Amt im Sinne der Revolution betätigten, ließen sich andere nicht überzeugen. Wie der kurfürstliche Hofrat Johann Georg Reuter später gegenüber dem Kurfürsten erklärte, hatte er die Stelle in der Allgemeinen Administration nur übernommen, um die Geschäfte „unter Genehmigung des Überwinders“, also mit Erlaubnis Custines, „zum Besten der unglücklichen Stadt und Gegend, jedoch ohne Leistung neuer Pflichten fortzusetzen“, d. h. unbeschadet seiner Loyalität gegenüber dem Kurfürsten.22 Dass Custine den bewährten und integren Reuter in die Administration berufen hatte, um eine gewisse Kontinuität in der Verwaltung zu wahren, war von einigen Klubmitgliedern massiv kritisiert, von anderen aber mit dem Selbstbestimmungsrecht verteidigt worden. So hieß es im prorevolutionären