Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland. Группа авторов

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in Paragraf 46 geregelt. Danach musste „diejenige Urversammlung, welche mit ihrer Deputiertenwahl zuerst fertig“ war, die andern sogleich über das Ergebnis informieren, damit der Deputierte nicht nochmals gewählt wurde. Sollten zwei Stimmbezirke sich für denselben Deputierten entschieden haben, sollte derjenige Stimmbezirk, der später fertig geworden war, erneut zu einer Wahl schreiten.49 So war der amtierende Maire und Wahlvorsteher des Stimmbezirks D, Richard Joseph Ratzen, am 25. Februar sowohl im Stimmbezirk A als auch in seinem eigenen „zu gleicher Zeit“ zum Deputierten gewählt worden. Da Ratzen die Stichwahl im Stimmbezirk A für sich entschieden hatte, kam es tags darauf im Stimmbezirk D zu einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die im ersten Durchgang nach Ratzen die meisten Stimmen auf sich vereinigt hatten.50 Auch Forster selbst sollte von diesem Fall betroffen sein, denn er wurde sowohl in dem Dorf Wöllstein (bei Bad Kreuznach) als auch im Mainzer Wahlbezirk B zum Abgeordneten gewählt (Abb. 14).51 Das Beispiel des § 46 zeigt eindrücklich, wie hinsichtlich der Lösungen für verschiedene Wahleventualitäten noch experimentiert wurde.

      Doch obwohl die Bürger erstmals selbst bestimmen konnten, wer sie regieren sollte, machten sie von diesem Recht keinen Gebrauch. Das Gros der Mainzer Bürgerschaft boykottierte die Wahlen von Munizipalen und Konventsabgeordneten: Nur 372 von 4.626 Mainzern, das waren acht Prozent der stimmberechtigten, über 21 Jahre alten Männer, gaben ihre Stimme ab.52

      Der Grund für die Zurückhaltung war eine Klausel in der Wahlordnung, die auf eine Bestimmung in dem Dekret des Pariser Nationalkonvents vom 15. Dezember zurückging: An den Wahlen teilnehmen durfte nur, wer zuvor einen Eid auf „Freiheit und Gleichheit“ abgelegt hatte. Allen Eidverweigerern hatte Custine die Konfiskation ihres Vermögens und die Ausweisung aus der Stadt angedroht. Trotz dieser massiven Drohung wollte sich die Mehrheit der Bürger auf einen solchen Schwur nicht einlassen. Dabei dachten viele Eidverweigerer ganz in den Kategorien traditioneller Besatzungspolitik. So hatten sie den Franzosen einen „Sicherheitseid“ angeboten, um nicht als Feinde Frankreichs zu gelten und unter das Kriegsrecht zu fallen:53 Dieser Eid hätte die Versicherung von Treue und Freundschaft enthalten sowie das Versprechen, nichts Feindseliges gegen die Franken unternehmen zu wollen; er hätte aber keine eidliche Verpflichtung bedeutet, sich von dem alten Regime bzw. dem Kurfürsten loszusagen. Einer revolutionären Obrigkeit gegenüber loyal zu sein, auch wenn man gegenrevolutionär gesinnt war, war für viele Verweigerer kein Widerspruch.54 Die unsichere Kriegslage tat ihr Übriges: Seit Mitte Februar befand sich die Stadt im Belagerungszustand. Angesichts des ungewissen Kriegsausgangs wollten die Bürger kein Risiko weder für ihr Leben noch für ihren Besitz eingehen; vor einem Friedensschluss wollten sie sich auf gar keinen Fall festlegen.55 Die Ablehnung resultierte aber auch aus der Enttäuschung, ja dem Zorn der Bürger, dass die Befreier mit der erzwungenen Eidleistung gegen die wichtigsten Grundsätze der Französischen Revolution und gegen Custines Proklamation verstießen. Einige Zunftbürger sowie in Mainz verbliebene kurfürstliche Beamte brachten es im Februar 1793 auf den Punkt, als sie fragten, ob die Befreier dem Volk nicht „seinen freien Willen“ lassen müssten, und als sie für sich reklamierten, beschließen zu dürfen, „was das Resultat unsers freien Willens, nicht Erpressung höherer Gewalt seyn sollte“.56

       Abb. 14: Protokoll über die Wahl Georg Forsters zum Deputierten des Nationalkonvents in der Mainzer Sektion B (mit der Liebfrauenkirche als Wahllokal). Forster setzte sich hier in einer Stichwahl mit 14 von insgesamt 17 abgegebenen Stimmen gegenüber seinem Gegenkandidaten Michel Martin Matthäi durch.

      Wenige Tage vor der auf den 24. Februar festgesetzten Wahl hatte sich die Lage in der Stadt sogar dramatisch zugespitzt. Der Unmut der Bürger entlud sich in einer aufstandsähnlichen, von den Jakobinern als „Zusammenrottierung“ beschriebenen Protestaktion.57 Bei dieser wurden die Zünfte auch von der Geistlichkeit und von Behörden wie dem Stadtgericht unterstützt; sogar die von Custine eingesetzte Munizipalität solidarisierte sich mit der Bürgerschaft. Die Forderungen lauteten, Eidleistung und Wahlen erst einmal aufzuschieben und unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker an den Nationalkonvent zu appellieren. Damit hätten die Bürger sogar beinahe bei der Besatzungsmacht reüssiert, denn die beiden Kommissare des Exekutivrats, Jean-Frédéric Simon und Gabriel Grégoire, gingen auf die Forderungen der Bürger ein. Die Tragik wollte es, dass die drei radikalen Konventskommissare Antoine-Christophe Merlin, Jean-François Reubell und Nicolas Hausmann von einer Reise vorzeitig nach Mainz zurückkehrten und alle Zugeständnisse sofort annullierten. Zur Sicherheit ordneten sie die Abgabe aller Waffen an.

      So verhinderte der Zwang eine größere Akzeptanz der den Bewohnern erstmals eröffneten Möglichkeit, ihre Regierung selbst zu wählen. Die Nichtwähler dokumentierten durch ihr Fernbleiben ihre Opposition. Doch das war nicht entscheidend. Ein Quorum gab es nicht (wie übrigens auch heute nicht). Als ob die Konventskommissare das Ergebnis geahnt hätten, hatten sie wenige Tage vor der Wahl erklärt, dass „diejenigen, die nicht wählen […] ihre Rechte auf diejenigen übertragen, die bei den Wahlen erscheinen. Die Zahl der Wählenden mag also noch so klein sein, so ist sie immer gültig, wenn sie in der vorgeschriebenen Form vorgenommen werden“.58 Trotz der nur schwachen demokratischen Basis wurde das Ergebnis der Wahlen in den folgenden Wochen konsequent umgesetzt. Am 3. März übernahm die neue, erstmals gewählte Munizipalität die Amtsgeschäfte. Am 17. März traten dann die in Mainz und in den anderen 147 linksrheinischen Gemeinden gewählten Abgeordneten im Deutschhaus zum Rheinischdeutschen Nationalkonvent zusammen. Zu seinen ersten Handlungen gehörte ein Tag später das Dekret, dass von nun an „der ganze Strich Landes von Landau bis Bingen […] einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen“ sollte und dass der „einzige rechtmäßige Souverain dieses Staats, nämlich das freie Volk […] allen Zusammenhang mit dem deutschen Kaiser und Reiche“ aufkündigte.59

      Die Zwangsmaßnahmen, die die Wahlen begleiteten und ein Hauptgrund für die Gewaltexzesse Mainzer Bürger waren, die sich nach der Wiedereroberung der Stadt an den Jakobinern entluden,60 verdunkelten, dass hier erstmals etwas ganz Neues stattgefunden hatte. Den Enthusiasmus der Wenigen, die von ihren staatsbürgerlichen Rechten Gebrauch machten, kann man noch in dem Protokoll über die Wahl des Zinngießers und ehemaligen kurfürstlichen Stadthauptmanns Johann Martin Eckel zum Abgeordneten des Mainzer Nationalkonvents spüren. Eckel, der dem Wahlvorstand in der Sektion C präsidierte, war selbst als Kandidat vorgeschlagen worden und hatte dort zusammen mit dem Jakobiner Felix Anton Blau die meisten Stimmen auf sich vereinigt, jedoch keine absolute Mehrheit erlangt. Erst in der Stichwahl fiel die Entscheidung zu seinen Gunsten,61 und zwar „zur allgemeinen Freude“, die sich „durch Händeklatschen und Leuten der Glocken“ ausdrückte. Das Protokoll vermerkte weiter: „dem alten biederen 81järigen Greisen stunden die Tränen in den Augen, gerürt von dem Zutrauen, das seine Mitbürger in ihn setzten. Man wünschte ihm Glück, und er versprach den Rest seiner Kräfte zum allgemeinen Wohl anzuwenden. Und so schieden die Bürger, die zum ersten Mal ihre Volkssouvrenitaet ausgeübt, von einander“.62

       Resümee

      Die ausgewählten Beispiele offenbaren den unter vielen Aspekten „unfertigen“ Charakter der Mainzer Republik. So sind die Verwaltungsstrukturen von einem überraschenden, sich auch im Siegelgebrauch niederschlagenden Fortbestehen eines Teils der alten, d. h. aus kurfürstlicher Zeit stammenden Behördenorganisation gekennzeichnet und unterstützen Franz Dumonts These von einer zunächst offenen, eher liberalen Phase der Mainzer Republik.63 Von den inneren Widersprüchen der von der Idee der Volkssouveränität überzeugten Mainzer Demokaten zeugen dagegen die Quellenverluste in der Überlieferung des Mainzer Jakobinerklubs: Sie sind ein Spiegel der Kontroversen um den richtigen Weg bei der Einführung der neuen Staatsform. Nicht zuletzt die Details der Durchführung der Wahlen im Februar 1793 verdeutlichen aber in nuce, dass es sich bei der Mainzer Republik um ein Experiment handelte, das nicht an den Maßstäben eines modernen Demokratieverständnisses und

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