Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland. Группа авторов

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dem alten Systeme geschehen“, denn Mainz habe „sich noch nicht frei erklärt“.23 Doch das von Custine propagierte Selbstbestimmungsrecht entwickelte sich zunehmend zu einer Belastung für die Revolutionäre, denn alle ihre Maßnahmen wurden daran gemessen. So rechtfertigte der Munizipale (und ehemalige kurfürstliche Gewaltbote) Heinrich Nikolas Wolff seine Weigerung, sich zu den Grundsätzen von Freiheit und Gleichheit zu bekennen, mit dem Argument, er habe sein Amt nur unter der „Voraussetzung“ übernommen, dass „die Bürgerschaft die fränkische Konstitution annehmen“ werde.24 Anfang Januar 1793 wurde der Druck auf diese antirevolutionären Beamten jedoch so groß, dass die meisten zurücktraten. Dabei spielte eine wichtige Rolle, dass die rechtsrheinisch neugebildete kurfürstliche Landesregierung kurz zuvor in einem Rundschreiben alle im Dienst des Feindes stehenden Beamten zur Kündigung aufgefordert hatte. Eine unpolitische Amtsführung im Dienst der neuen Machthaber war seit Januar 1793 aber auch deswegen nicht mehr möglich, weil in der französischen Politik eine Änderung eingetreten war. Unter dem Eindruck der sich verschärfenden Kriegslage – das von den Franzosen besetzte Frankfurt war Anfang Dezember von den Reichstruppen zurückerobert worden – und angesichts des Widerstands in den besetzten Gebieten hatte der Pariser Nationalkonvent sich radikalisiert: Ein am 15. Dezember 1792 beschlossenes Gesetz bestimmte, in den besetzten Gebieten umgehend alle Institutionen des alten Regimes abzuschaffen. Unverzüglich waren neue Gemeinde- und Stadtvorstände sowie ein Parlament zu wählen. Wer sich dem entgegen stellte, sollte als Feind Frankreichs gelten. Das Gesetz bedeutete, um Franz Dumont zu zitieren, eine „radikale Wende“:25 Hatten Custine und die Mainzer Jakobiner sich bis dahin vom Prinzip leiten lassen, den Befreiten die Freiheit nicht aufzuoktroyieren, so galt ab sofort, die Revolutionierung auch gegen den Willen der Befreiten durchzuführen. Vom französischen Nationalkonvent und dessen Exekutivrat entsandte Kommissare sollten für die Umsetzung sorgen. Sie avancierten in der Folge zu den maßgeblichen Entscheidungsträgern der Mainzer Republik und entmachteten Custine weitgehend. Der Herrschaftswechsel, der unter Custine noch von einer größeren Rücksichtnahme geprägt war, wurde nun forciert, beseitigte allerdings auch jetzt nicht alle alten Institutionen.

       Von Quellenverlusten: Der Jakobinerklub und die Krise der Revolutionierung

      Von zwei Büchern wissen wir nur durch eine detaillierte Beschreibung in der Mainzer Nationalzeitung. Dort erschien am 7. November 1792 die Meldung, dass „im Saale der Konstitutionsfreunde“ (dem Akademiesaal im ehemals kurfürstlichen Schloss) ein rotes und ein schwarzes Buch ausgelegt seien: Das rote, in Saffianleder gebundene, mit einer Jakobinermütze verzierte Buch sei, so stand dort geschrieben, dazu bestimmt, die Unterschriften derer aufzunehmen, die sich zu den Idealen der französischen Revolution und der französischen Verfassung bekennen. Wer in dem in schwarzes Papier gebundenen, mit Ketten und mit der Überschrift „Sklaverei“ versehenen Buch unterschreibe, erkläre sich für die Beibehaltung des alten feudalen Systems. Wer gar nicht erscheine, der solle für einen „Freund der alten Sklaverei“ gehalten werden. Alle Männer über 21 Jahren wurden zur Unterschrift aufgefordert (Abb. 11a u. b).26 Hinter den Konstitutionsfreunden verbarg sich die „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit“. Nach Straßburger und Pariser Vorbild hatte sie der Sekretär Custines, der Wormser Gymnasiallehrer Georg Wilhelm Böhmer, schon zwei Tage nach der Kapitulation (am 23. Oktober 1792) ins Leben gerufen. Denn auf die Verwaltung allein wollte man bei der Revolutionierung nicht vertrauen. Der Jakobinerklub sollte daher alle Demokraten vereinigen: Zu seinen Hochzeiten zählte der Klub fast 500 Mitglieder, darunter nicht wenige Handwerker. Tonangebend waren jedoch Intellektuelle wie der vormalige kurfürstliche Leibarzt und Medizinprofessor Georg Christian Wedekind, der oben bereits genannte Mathematikprofessor Mathias Metternich oder der Philosophieprofessor Andreas Joseph Hofmann, am Anfang auch Böhmer. Sie sahen nun den Anbruch einer neuen Zeit gekommen und waren wie Georg Forster von dem Wunsch beseelt, die „bedrückten, gemißhandelten, stillschweigenden Knechte[n] eines Priesters“ (nämlich des Erzbischofs und Kurfürsten Erthal) „in aufgerichtete, lautredende, freie Bürger“ zu verwandeln, „in kühne Freunde der Freiheit und Gleichheit, bereit, frei zu leben oder zu sterben“ (so lautete die Devise des Klubs).27 Seine Hauptaufgabe sah der Klub darin, in öffentlich zugänglichen Sitzungen im Akademiesaal des Schlosses für die Idee der Freiheit zu werben, das alte Regime unter dem Kurfürsten Erthal als Despotismus zu entlarven und die Grundsätze und Vorzüge der Demokratie zu erklären. Hinzu kamen symbolische Aktionen wie das Setzen eines Freiheitsbaumes am 3. November 1792, mit dem der Klub an die volkstümliche Festkultur, das Maibaumsetzen, anknüpfte, oder wie eben auch die Idee mit dem roten und dem schwarzen Buch. Böhmer hatte sie dem Klub vorgeschlagen: Custine habe die Mainzer ja aufgefordert, sich zu erklären, „ob sie lieber freie Menschen oder Sklaven sein“ wollten. Mit der Unterschriftenaktion wollte Böhmer die Entscheidung der Mainzer befördern, damit „der Bürger Custine weiß, wie er daran ist“.28

       Abb. 11a u. b: Ausschnitte aus der Ankündigung des Jakobinerklubs in der Mainzer Nationalzeitung Nr. 176 vom 7. November 1792, ein rotes und ein schwarzes Buch zur Unterschrift auszulegen.

      Die Erwartungen an die Aktionen waren hoch: Wenn das rote Buch mit Unterschriften voll sein würde, dann, so erhoffte man sich, könne man noch für 1792 vom ersten Jahre der Mainzer Republik reden.29 Immerhin trugen sich, glaubt man einem Briefzeugnis, 1.50030, nach einer anderen Quelle, einem für den Kurfürsten bestimmten Spitzelbericht,31 1.200 Bürger in das rote Buch ein: Das war ungefähr ein Viertel der stimmberechtigten Bürgerschaft.32 Darunter waren viele Zunftbürger, weil die Präambel des roten Buches bis auf Weiteres die Beibehaltung der Zunftverfassung garantierte. Mit diesem taktischen Zugeständnis hatten die Jakobiner die Bürger geködert. Das schwarze Buch blieb, wie zu erwarten, anscheinend leer33 bzw. fast leer: Nach der bereits erwähnten kurfürstlichen Quelle sollen sich zumindest vier, allerdings nicht mit Namen genannte Bürger getraut haben zu unterschreiben.34 Der moralische Druck war enorm: Insbesondere von den Mitgliedern der Verwaltung wurde das Bekenntnis zur französischen Verfassung erwartet, galt dieses doch gleichzeitig als Loyalitätsbeweis. Wer sich weigerte, wie das Mitglied der Allgemeinen Administration, der bereits erwähnte ehemalige kurfürstliche Hofrat Johann Georg Reuter, musste sich gefallen lassen, öffentlich als „Despotenknecht“ bloßgestellt zu werden.35 Reuter verteidigte jedoch seine Entscheidung in einer Druckschrift und stellte prinzipiell die Frage nach der verfassungsrechtlichen Stellung des Klubs: Das rote Buch sei nur „das Werk einer Privatgesellschaft“ und entbehre daher jeglicher offiziellen Sanktionierung.36

      In der Tat stellt sich die Frage, inwieweit es sich bei dem roten und schwarzen Buch um eine obrigkeitliche Veranstaltung handelte. Die Grenzen waren schon allein dadurch unscharf, dass einige führende Klubmitglieder von Custine in die neuen Zivilverwaltungen berufen worden waren und von daher auch amtliche Befugnisse besaßen. In seinen Statuten hatte der Club aber eigens festgeschrieben, dass er keine öffentliche Gewalt sein und nur eine beratschlagende Funktion haben sollte: Gänzlich vermeiden wollte man, so wörtlich, „das Ansehen eines Staats im Staate“.37 Bis zu welchem Maß der Klub auf das Handeln und Denken der Bürger Einfluss nehmen dürfe, war Mitte November ausdiskutiert worden: Dabei ging es um den Vorschlag der beiden „Hardliner“ Metternich und Wedekind, Spitzel einzusetzen, um mögliche, im Stillen geschmiedete Komplotte gegen die „guten Absichten“ des Klubs rechtzeitig zu entdecken. Doch die Klubmehrheit hatte diese Überwachungsmaßnahme als „Einführung einer Staatsinquisition“ abgelehnt; die Maßnahme würde den Klub den Bürgern nur „gehässig“ machen.38 Gegen Reuters Argument von der Privatgesellschaft konnte man daher nichts einwenden. Deswegen bat der Klub Anfang Dezember Custine um eine amtliche Autorisierung der mittlerweile ins Stocken geratenen Unterschriftenaktion: Custine verweigerte diese jedoch. Ohne seinen Segen war die Fortführung der Aktion sinnlos geworden, sodass das rote und das schwarze Buch im Lauf des Dezembers stillschweigend vom Klub eingezogen wurden. Dass beide

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