Plus zwei Grad. Helga Kromp-Kolb

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Die Erde in einem instabilen Klimazustand – das Eiszeitalter

      Wir leben seit rund 2,6 Millionen Jahren in einem Eiszeitalter – auch heute noch. Von einem Eiszeitalter spricht man, wenn beide Pole vereist sind und zumindest 10 Prozent der Erdoberfläche ständig mit gefrorenem Wasser in Form von Gletschereis, Meereis oder Schnee bedeckt sind. Die vereisten Flächen führen dazu, dass mehr Sonnenstrahlung zurück in den Weltraum reflektiert wird und damit weniger Energie für das Klimasystem zur Verfügung steht. Dadurch ist die Temperatur während eines Eiszeitalters niedriger als sonst.

      Während eines Eiszeitalters ist die Erde klimatisch gesehen in einem wenig stabilen Zustand, und das Klima kann bereits durch relativ geringe Veränderungen des Energieeintrages gestört werden, wenn diese nur lange genug andauern. Ursache dafür ist, dass – wie in Kapitel 2 erwähnt – durch eine länger andauernde schwache Erwärmung oder Abkühlung die Eis- und Schneeflächen bei Abkühlung größer werden und bei Erwärmung kleiner. Damit wird jedoch ein Rückkopplungsprozess ausgelöst, da größer werdende Eis- und Schneeflächen mehr Sonnenstrahlung reflektieren, dadurch weniger Energie dem Klimasystem zur Verfügung steht und dies zu einer weiteren Abkühlung führt. Bei einer Erwärmung führen hingegen die schrumpfenden Eis- und Schneeflächen zu mehr Energieeintrag und dadurch zu einer zusätzlichen Erwärmung.

      Während eines Eiszeitalters gibt es daher Schwankungen zwischen zwei einigermaßen stabilen Zuständen, den Warmzeiten und den Kaltzeiten (Interglaziale und Glaziale). Umgangssprachlich werden Kaltzeiten auch als „Eiszeiten“ bezeichnet, was häufig zur Verwechslung mit dem Eiszeitalter führt. In den letzten rund 1,5 Millionen Jahren dauerte ein Zyklus von Warm- und Kaltzeiten jeweils rund 100.000 Jahre, davor war der Zyklus kürzer und lag bei etwa 40.000 Jahren. Der Temperaturunterschied zwischen den Warm- und Kaltzeiten beträgt im Mittel etwa 4 °C und zwischen den kältesten Phasen der Kaltzeiten und den wärmsten Phasen der Warmzeiten etwa 6 °C. Dies macht wiederum deutlich, welche gravierenden Auswirkungen eine Veränderung der globalen Mitteltemperatur um ein paar Grade verursacht.

      Ausgelöst werden diese Schwankungen während des Eiszeitalters durch einen veränderten Energieeintrag von der Sonne, vor allem auf der Nordhalbkugel. Verursacht werden diese durch regelmäßige Veränderungen der Umlaufbahn der Erde um die Sonne sowie der Neigung der Erdachse. Durch Überlagerung mehrerer dieser Faktoren kann es zu Schwankungen im Energieeintrag von einigen wenigen Watt pro Quadratmeter kommen. Dies entspricht zwar nur etwa 1 Prozent des Energieeintrages der Sonne auf die Erde, aber der veränderte Energieeintrag hält über mehrere Jahrtausende an. Der Effekt wird durch Rückkopplungsprozesse wie der Schnee-/Eis-Rückkopplung verstärkt und kann daher zu den beobachteten starken Veränderungen zwischen den Warm- und Kaltzeiten führen. Die letzte Kaltzeit begann vor rund 115.000 Jahren, erreichte ihren Höhepunkt vor 22.000 Jahren und endete von 12.000 Jahren. Im deutschsprachigen Raum wird diese Kaltzeit auch Würm-Eiszeit genannt. Während der maximalen Eisausdehnung reichte das polare Eisschild in Europa bis nach Berlin und der Alpenraum war ebenfalls großräumig vergletschert. Durch die Wasserspeicherung in den riesigen Eisschilden lag der Meeresspiegel um 120 bis 130 Meter unter dem heutigen Niveau. Dadurch war Großbritannien mit Europa verbunden und auch Sibirien war mit Alaska in Nordamerika verbunden.

      Mit dem Ende der Würm-Eiszeit vor 12.000 Jahren begann die relativ stabile Klimaperiode des Holozän und damit auch die rasante kulturelle und technische Entwicklung des Menschen. Der heutige Mensch (Homo sapiens sapiens) entwickelte sich vor rund 200.000 Jahren in Afrika. Vor etwa 100.000 Jahren begann die Ausbreitung von Afrika aus nach Asien und Europa. Da diese Ausbreitung etwa mit dem Beginn der letzten Kaltzeit zusammenfällt, dürfte diese Wanderbewegung auch mit klimatischen Veränderungen in den ursprünglichen Verbreitungsgebieten des Homo sapiens in Afrika zusammenhängen.

      Die globale Ausbreitung des modernen Menschen erfolgte vollständig während der Würm-Eiszeit. Der niedrige Wasserspiegel erlaubte auch die Besiedelung von Amerika, das über die Beringstraße mit Asien verbunden war und selbst Australien konnte zu Fuß und mit der Überwindung kurzer Wasserwege besiedelt werden. Wir sind also Kinder der Eiszeit, wobei unsere Vorfahren zu dieser Zeit noch Jäger und Sammler waren und keinen Ackerbau betrieben.

      Der Übergang von der Würm-Eiszeit zum Holozän brachte massive klimatische und auch landschaftliche Veränderungen, die sich tief in das Bewusstsein der Menschheit eingeprägt haben. Durch das Schmelzen der großen Eisschilde stieg langsam der Meeresspiegel. Dies führte einerseits dazu, dass viele Landgebiete vom kontinentalen Festland getrennt und zu Inseln wurden. Es wurden aber auch Meeresverbindungen, die während der Kaltzeit trockengefallen waren, wieder aktiviert. Dieser Prozess dürfte der Auslöser für die „Sintflut-Legende“ sein, die in vielen eurasischen Kulturen überliefert ist und auch in der Bibel vorkommt. Der Bosporus, die Meeresverbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer, war während der Würm-Eiszeit eine Landbarriere, da er an der tiefsten Stelle nur 110 Meter tief ist. Das Schwarze Meer war daher ein Süßwassersee, der von der Donau, dem Dnjepr und dem Don gespeist wurde, wobei die Ausdehnung jedoch deutlich kleiner war als das heutige Schwarze Meer. Die Ufer dieses Sees waren von Jägern und Sammlern sowie Fischerkulturen dicht besiedelt. Vor etwa 8.400 Jahren war der Meeresspiegel des Mittelmeeres so weit angestiegen, dass sich die Salzwassermassen des Mittelmeeres in das Becken des Schwarzen Meeres ergossen und die dortigen Siedlungen entweder zerstörten oder zumindest die weitere Besiedlung unmöglich machten. Da die vertriebenen Menschen in verschiedene Richtungen rund um das Schwarze Meer flüchteten, wurde der Mythos der „Großen Flut“ in alle Kulturen dieses Raums getragen.

      Der Übergang von der Würm-Eiszeit zur heutigen Warmzeit erfolgte zwar im geologischen Sinne rasch, dauerte aber dennoch einige Tausend Jahre. Die Erwärmung setzte vor etwa 12.000 Jahren ein, nachdem bereits einige Tausend Jahre davor der Energieeintrag im Sommer auf der Nordhalbkugel angestiegen war und sich die großen Eisschilde in Nordamerika und in Eurasien langsam erwärmten. Der Strahlungseintrag auf der Nordhemisphäre im Sommer erreichte vor rund 9.000 Jahren das Maximum, seither nimmt er langsam wieder ab, dafür im Winter zu. Das Eurasische Eisschild brauchte 5.000 Jahre, bis es vor rund 7.000 Jahren vollständig abgeschmolzen war, und das Nordamerikanische Eisschild verschwand überhaupt erst vor 4.000 Jahren.

      Diese Hochphase des Strahlungseintrages im Sommer und der Rückgang der Eisschilde führten zu einem Klimaoptimum auf der Nordhalbkugel, das etwa vor 8.000 Jahren begann und vier Jahrtausende andauerte. In dieser Zeit lag die Mitteltemperatur bei uns in Mitteleuropa etwa 1,5 bis 2 Grad über dem Niveau vor der Industriellen Revolution und dürfte damit in etwa so warm gewesen sein wie das letzte Jahrzehnt. Die Alpen dürften während langer Phasen des Klimaoptimums vollständig eisfrei gewesen sein. Das Klimaoptimum ist auch die Zeit, in welcher der Mensch sesshaft wurde und mit Ackerbau und Viehzucht begann.

      Dieser Übergang vom Jäger und Sammler zum Bauern erfolgte nicht freiwillig, sondern wurde durch die Umstellung des Klimas verursacht. Die „Wiegen der Zivilisation“, wie etwa im Zwischenstromland Euphrat und Tigris (heutiger Irak), Kleinasien, Ägypten, aber auch Indien und China, liegen alle zwischen dem 30. und 40. Breitengrad und damit in den Subtropen. Diese Gebiete wurden während des Klimaoptimums deutlich trockener und damit auch im Sommer heißer. Wir wissen, dass die Sahara zu Beginn des Klimaoptimums ein fruchtbarer Landstrich mit einer Vielzahl an großen Säugetieren war, die für die Jagd geeignet waren. Während des Klimaoptimums trocknete die Sahara von Süden her aus, aber selbst zur Römerzeit waren die Küstengebiete um Karthago im heutigen Tunesien noch die Kornkammern des Römischen Reiches.

      Diese klimatische Veränderung führte dazu, dass man sich nicht mehr das ganze Jahr von der Jagd und dem Sammeln von Früchten ernähren konnte. Untersuchungen von Skeletten haben gezeigt, dass die Menschen zu Beginn der Ackerbaukulturen deutlich stärker an Mangelernährung litten als die vorherigen Jäger und Sammler. Der Umstieg auf Ackerbau und Viehzucht und die daraufhin folgende Städteentwicklung und Staatenbildung erfolgten also nicht freiwillig,

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