Vielleicht begab es sich aber .... Eckart zur Nieden
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An diesem Tag schrieb Tuka auf seine Tafel: »Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, dass man das Trockene sehe. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so. Und Gott sah, dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.«
So schön war der Tag, dass der Alte sich fast ein wenig davor fürchtete, wieder in die Zeit zurückversetzt zu werden, in der alles noch anders war, eine Zeit voller gewaltiger Umbrüche, eine dunkle Zeit.
Nicht so finster wie ganz am Anfang, als überhaupt kein Licht zum Erdboden vordrang, aber doch beängstigend unter der dicken schwarzen Wolkendecke. Und nass war es. Denn nun begann es zu regnen. Wie aus Kübeln stürzten die Wassermassen herab, lange, lange Zeit. Wie lange, das wusste der Alte nicht, denn was sonst seine Zeit einteilte und ihr ein Maß gab, Aufgang und Untergang der Sonne, das fehlte in dieser Welt, in die er versetzt war.
Endlich begann der Regen nachzulassen. Und da wurde es auch heller. Hier und da riss die Wolkendecke auf, und ein strahlend blauer Himmel wurde sichtbar. Die Wolken, die noch zu sehen waren, verloren ihre bedrohliche blauschwarze Färbung und wurden weiß. Sie bewegten sich auch und zogen mit dem Wind über das Land. Die Sonne brach durch und erwärmte und erleuchtete die Welt, sodass das Grün der Pflanzen und die vielen Farben der Blüten und Früchte noch viel bunter erstrahlten.
Nun sah der Alte auch wieder, wie die Sonne unterging. Aber auch da wurde es nicht völlig finster, denn der Mond leuchtete, und daneben blinkten unzählige Sterne.
Die Welt hatte nun eine Ordnung und ähnelte schon sehr der Welt, wie der Alte sie kannte.
»Und Gott sprach«, so diktierte er es heute seinem Neffen, »es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheinen Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so. Und Gott machte zwei große Lichter: Ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. Und Gott sah, dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.«
»Ja, so wird es gewesen sein«, bemerkte Tuka, nachdem er zu Ende geschrieben hatte. »Aber von den Menschen hast du noch nichts gesagt.«
»Ich habe dir gesagt, was Gott mir gezeigt hat.«
»Dann hoffe ich, er zeigt dir auch noch den Rest. Mir fehlt immer noch der Anschluss an den ersten König aus unserem Herrscherhaus.«
»Willst du hören, wie es war, oder willst du hören, was zu deinen Plänen passt?«
»Entschuldige, Onkel, so war es nicht gemeint.«
»Wenn Gott mir noch mehr sagt, erfährst du es.«
»Ich danke dir, Onkel!«
»Nimm dir einen Becher Ziegenmilch, wenn du möchtest!«
»Danke! Oh, da fällt mir ein, ich habe dir etwas mitgebracht.« Er kramte in seinem Beutel, stellte einen Becher auf den Tisch und legte ein kleines Säckchen aus Tuch daneben.
»Honig. Habe ich vorhin auf dem Markt gekauft. Und ein paar geröstete Nüsse.«
»Ich danke dir, Junge. Soll das eine Bezahlung sein für das Wissen, das ich dir weitergebe? Das ist nicht nötig. Gott gibt es mir umsonst, und umsonst gebe ich es weiter.«
»Sieh es so: Du schenkst mir dein Wissen, und ich schenke dir diese Genüsse für den Gaumen.«
»Wie kommst du voran mit deinen Forschungen über die alten Könige?«
»Gestern habe ich mit Leuten gesprochen, die alte Geschichten von ihren Vorfahren überliefert haben. Leider hat man damals nichts aufgeschrieben. Diese Vorfahren waren mit dem Urgroßvater unseres Herrschers auf Schiffen gefahren. Nicht nur auf dem Euphrat, sondern weit hinaus auf das Meer. Sie bauen unten im süden große Schiffe, die vom Wind vorangetrieben werden. Erstaunliche Geschichten haben sie mir erzählt von fremden Ländern mit fremden Völkern, die anders sprechen als wir und sich doch gegenseitig verstehen, und auch anders als die Wüstennomaden. Vom gewaltigen Sturm auf dem Meer haben sie erzählt und von schaurigen Ungeheuern, die das Meer bevölkern. Viele Male waren sie in Lebensgefahr. Ich bin froh, dass ich da nicht hinmuss.«
»Was die Leute so alles erzählen, um sich als Helden darzustellen …«
»Ich muss gehen, Onkel. Wenn es dir recht ist, komme ich morgen wieder vorbei.«
»Tu das!«
Am Abend saß der Alte am Ufer des Euphrat. Einige Steine bildeten einen Weg durch das Schilf, sodass er direkt ans Wasser kam. Hinter ihm im Schilf zwitscherte ein Vogel, anscheinend auf der Suche nach einem geeigneten Nistplatz. Vor ihm im Fluss standen kleine Fische still. Als er die Hand ins Wasser tauchte, schnellten sie davon.
Wie es seine Gewohnheit war, wenn er etwas Schönes sah, dankte er seinem Gott in einem stillen Gebet. Da war es ihm wieder, als säße er nicht hier am Flussufer, sondern als schwebte er über der Welt, wie sie vor langer Zeit war. Er hörte die Stimme des Schöpfers und beobachtete, wie das tote Wasser sich mit Leben füllte: Würmer und Schnecken, Seepferdchen und Seesterne, Krebse und Muscheln, und Fische in allen Größen, Formen und Farben. Und über dem Meer, am Ufer und auch über dem Land entstand Bewegung: Vögel flatterten nervös oder schwebten majestätisch durch die Luft. Das Pfeifen und Zwitschern, das Klappern und Schnattern wurde übertönt von einem Befehl, der laut war und Gehorsam heischend, aber zugleich merkwürdig sanft, als teilte er sich den Wesen gar nicht über die Ohren mit.
»Du wirst noch etwas warten müssen«, sagte der Alte am nächsten Tag zu seinem Neffen. »Noch kann ich dir nichts von den Menschen berichten. Aber von Tieren des Meeres und der Luft. Schreibe: Und Gott sprach: Es wimmele das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllt das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden. Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.«
Zu dieser Jahreszeit ließ der Alte meistens seine Ziegen draußen grasen. Jetzt wuchs überall Grün, das niemandem gehörte: an den Wegrändern und an den Ufern des Flusses. Er musste nur in der Nähe sein, um auf sie aufzupassen, sonst würden sich die Tiere verlaufen.
So saß er auf einem Sandhügel, blickte ab und zu auf, ob seine Ziegen noch in der Nähe waren, und schnitzte an einem Schilfrohr, das er am Ufer geholt hatte. Tuka hatte ein Messer aus diesem seltsamen Material, das man aus Feuer gewann, und das fest war und glänzte. Das hatte der Alte nicht, er brauchte es auch nicht. Ihm reichte der scharfkantige Stein.
Zur Mitte des Tages hin hatte er die Flöte fertig.