Marx als Philosoph. Alfred Schmidt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Marx als Philosoph - Alfred Schmidt страница 6

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Marx als Philosoph - Alfred Schmidt

Скачать книгу

konstruiert, ist eine bestimmte Negation; der Naturbezug in ihr enthält »kein positives metaphysisches Prinzip«.55 Wohl aber drängt er zur Frage der Subjektivität, die Schmidt nun über den Rahmen der Marxschen Theoretik hinauszugehen zwingt.56

      Aber auch hinsichtlich dieser neuen Aufgabenstellung galt es zunächst, das Terrain zu bereinigen. So sah sich Schmidt in der Debatte um Voraussetzungen materialistischer Erkenntnistheorie vor die Aufgabe gestellt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, formelhafte Bescheide, wie sie in Konzepten der kodifizierten weltanschaulich geprägten Widerspiegelungstheorien enthalten sind. Schmidt nimmt hiervon begründet Abstand, um im Gegenzug zwei Aufgabenfelder intensiv ins Visier zu nehmen: Zum einen geht es ihm darum, die von Marx erreichten Positionen mit Denkmotiven gerade auch der idealistischen Philosophie zu konfrontieren, die in der Theoriebewegung zwischen Kant und Hegel – und im Anschluss Fichte – die Frage der Subjektivität ja zu ihrem besonderen Gegenstandsbereich gemacht hatte. Und zum anderen bzw. gleichzeitig zielt der Geschichtsschreiber des philosophischen Materialismus darauf ab, im Anschluss an Darwin, Feuerbach, Positionen des naturwissenschaftlichen Materialismus und der Entdeckung des Leibes (matérialisme médical)57 bis hin zu den subjektzentrierten Kritikern der Bewusstseinsphilosophie – Schopenhauer, Nietzsche und Freud – Bausteine zur Formulierung jener nichtsubjektivistischen Theorie der Subjektivität zusammenzutragen, die zum Paradigma einer materialistischen Konstitutions- und Erkenntnislehre ausgebaut werden sollte.

      Die Implikationen dieser Forschungen können hier nicht mehr auseinandergelegt werden; nur auf einen Aspekt ist noch einzugehen, weil er den Horizont in der Frage nach dem Materialistischen der Marxschen Theorie zu erweitern vermag: »Wer zum historischen Materialismus übergeht«, gibt Schmidt zu bedenken,

      »ist damit keineswegs der Probleme enthoben, die sich aus der Leiblichkeit des Menschen ergeben. Marxens Akzentuierung von Gesellschaft und Geschichte war Hegel gegenüber materialistisch. Wird sie aber vorgetragen unter Abstraktion von Realitäten des Bios, so nimmt sie leicht idealistische Züge an. Man muß deshalb darauf achten, daß sich nicht in die Funktion der Marxschen Kategorien der alte Idealismus wieder einschleicht. Wird die leibliche Materialität vernachlässigt, so bleibt der Begriff des Materialismus insgesamt unterbestimmt.«58

      Aufzuspüren ist hier das anfangs bereits bedachte Paradoxon materialistischer Philosophie, dass sie das Denken mit Problemen konfrontiert, die sich im Medium des Denkens nicht lösen lassen. Schmidt zögert deshalb nicht, im Zuge seiner Konstruktion eines kritischen Materialismus einen Wechsel der Ebenen vorzunehmen und sowohl die leibzentrierte Willensmetaphysik Schopenhauers eingehend zu rekonstruieren als auch die Metapsychologie bzw. Trieblehre Freuds intensiv zu studieren, um das Aufklärungspotenzial der beiden Konzeptionen auszuloten und von seinen eigenen Prämissen aus miteinander in Beziehung zu setzen.59 Die Frage, was dies mit Marx und dem Materialistischen seiner Theorie zu tun hat, ist sicher nicht fehl am Platz.

      Alfred Schmidt ist uns die Antwort nicht schuldig geblieben, denn er hat uns diese Lehre erteilt: Ein Materialismus, der etwas taugt, ist in sich reflektiert, ohne dem Spielraum assoziativer Fantasie abzuschwören. Er bedient sich bald der genetisch-kritischen, bald der immanent-kritischen Methode und kann hierbei noch immer Orientierung finden an der Art und Weise, wie Marx seinen Erkenntnisgegenstand fasst und durchdringt. Keinesfalls muss er sich in der Verachtung des kognitiven Vermögens der menschlichen Gattung profilieren; entschieden aber erforscht er die geschichtliche Gewordenheit unseres Erkenntnisapparats und hierfür ist die von Marx entwickelte Vorstellung eines sinnlich-tätigen Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur das nach wie vor gültige, wegweisende Paradigma. Und weiterhin: Bekanntlich ist »Bewusstsein« kein Apriori der Erkenntnis, sondern – in objektiver Hinsicht, wie aufgewiesen – selbst bedingt durch den jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Arbeit, Niederschlag generationenübergreifender Praxis. Das ebenfalls von Marx apostrophierte »enorme Bewußtsein« wäre eine leere Hülse, eine schlechte Abstraktion, ließe es sich nicht auch begreifen als das mögliche Resultat jener sinnlichtätigen Praxisauseinandersetzung, als Produkt einer – durch sinnliche Wahrnehmung, lebenspraktische Erfahrung und Tathandlung geprägten – Entwicklung; konkret und auf das Bildungsgeschehen individueller Subjektivität und die Formierung des Selbst-Bewusstseins bezogen: als Produkt eines psychophysischen Prozesses, der sich, leiblich konturiert, am sozio-historischen Ort, in lebenspraktischen Interaktionen abspielt; das subjektive Erleben und Verhalten konstituierend im Sinne der leiblich-affektiven Besetzung der Welt, die ihrer bewussten Erfassung vorausgeht.60

      Bei alledem geht es nicht etwa nur um den Aspekt des Eudämonismus innerhalb der Materialismus-Idee, vielmehr rückt die von Schmidt Feuerbach zugeschriebene Einsicht in die »Ambivalenz der Natur im Subjekt« in den Blick: »Die Sinnlichkeit«, zitiert Schmidt Feuerbach, ihn hier im Vorfeld Freuds situierend, »ist die Quelle der Lust, aber sie ist auch die Quelle der Schmerzen, der Leiden, der Krankheit, der besten Gegenmittel gegen die ausgelassene Lust.«61 Schmidt ist klar: Die Erschließung der Erkenntnisproblematik in geschichtsmaterialistischer Perspektive muss die Ebene leiblicher Praxis erreichen, die gegenüber Denkakten widerständig bleibt und nicht ins Erkennen hinein auflösbar ist. Denn in der Leiblichkeit des Menschen finden Differenz und Übereinstimmung mit der Welt ihren Niederschlag, manifestieren sich Glücksverlangen und Leiderfahrung. In diesem Sinn erinnert Schmidt an die eben auch schon von Feuerbach formulierte Einsicht, dass die »Pathologie vor allem […] die Heimat und Quelle des Materialismus« ist,62 um an anderer Stelle dieses spezifische Materialismus-Verständnis noch so zu kommentieren:

      »Vielleicht wird von den Materialisten der Mensch als ein hinfälliges, überaus bedingtes Stück der Dingwelt ernster genommen als in den idealistischen Konzeptionen. Eine Hinfälligkeit und Bedürftigkeit, die vom Materialismus aufrichtiger, wohl auch demütiger ausgesprochen wird als in jenen Theorien, die den Menschen zwar als erhabenes Geistwesen bestimmen, sich in der Praxis jedoch nicht selten zur Rechtfertigung geistloser, unterdrückender Zustände hergeben.«63

      Keine Frage, ein Materialismus, der von dieser existentiellen, die Frage von Vergänglichkeit und Tod einbeschließenden Dimension keine Notiz nimmt, ist vom Schmidtschen Verständnis, von seiner Durchdringung der Materialismus-Problematik qualitativ deutlich zu unterscheiden. »Wir verstehen einen philosophischen Autor erst dann recht«, vermochte Schmidt seine Zuhörer und Gesprächspartner zu belehren, »wenn wir wissen, gegen wen oder was dieser sich wendet.« Der Leser kann nun in Auseinandersetzung mit den Texten die Probe aufs Exempel machen. Die Herausgeber plädieren dafür: Es gibt allen Grund, in der gegenwärtigen und zukünftigen Debatte um Marx Orientierung an und in den von Alfred Schmidt erarbeiteten Perspektiven zu suchen.64

      Zu den Texten von Alfred Schmidt in diesem Band

      Die hier vorgelegte Textsammlung dokumentiert wesentliche Etappen der über Jahrzehnte sich erstreckenden Alfred Schmidtschen Auseinandersetzung mit dem Marxschen Werk. Der als eine Art Vorwort zu verstehende Beitrag gibt einen ersten Überblick über die Motive der spezifisch Schmidtschen Marx-Interpretation: Verfasst aus Anlass des 100. Todestages von Marx, kann Schmidt hier eine Art Bilanz ziehen über seine bereits über zweieinhalb Jahrzehnte sich erstreckende Arbeit an den Quellen wie über die Stoßrichtung seiner engagierten Eingriffe in die internationale Marx-Debatte. Ebenfalls die Form eines Überblicks hat der an den Anfang des Hauptteils gerückte Aufriss Thesen zum Begriff der Natur bei Marx. Schmidt gelingt es hier, auf nur knappem Raum die Essentials zusammenzustellen, die aus seiner komplexen, in der Dissertation breit auseinandergelegten Forschung über die Grundlagen des Marxschen Materialismus resultieren. »Die gesellschaftliche Vermittlung der Natur« – heißt es hier programmatisch – »darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gesellschaft auch natürlich vermittelt ist.«

      Der Aufsatz Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie, Schmidts Referat zum Frankfurter Kolloquium 1967 Kritik der Politischen Ökonomie heute. 100 Jahre »Kapital« enthält wichtige Hinweise zur »Methode der Marx-Interpretation« und führt in Rekonstruktion der von Marx vorgenommenen Verhältnisbestimmung von Erkenntnisgegenstand (Nicht-Identität von Erscheinung und Wesen) und Verfahren

Скачать книгу