Marx als Philosoph. Alfred Schmidt

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Marx als Philosoph - Alfred Schmidt

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Dass die Marxsche Analyse der kapitalistischen Produktionsweise als epochaler Lebensform der Gesellschaft in der akademischen Nationalökonomie nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit genießt, ist angesichts der gegenwärtigen Weltlage erstaunlich. »Wie immer auch die Diagnosen der Experten, ihre Analysen und Vorschläge lauten mögen«, schrieb Horkheimer bereits 1968, »das tägliche Leben in den sogenannten fortgeschrittenen Ländern, die Selbstverständlichkeit staatlicher Interventionen, ist von der drohenden wirtschaftlichen Krise beherrscht. Die steigenden Kosten, die Diskrepanz der schmalen Einkommen und des Aufwands für neueste Errungenschaften, die Problematik des Sparens für Geborgenheit im Alter, der wachsende Mißmut sind Symptome des Zerfalls der bürgerlichen Lebensweise […].« Seit Kriegsende ist diese im Westen gerade den Unteren immer mehr zum erreichbaren Ziel geworden, während die Idee eines gewaltsamen Umsturzes verblasste.

      Der von östlicher Orthodoxie starr festgehaltene Begriff des revolutionären Proletariats nahm unterdessen eher mythologische Züge an. Trotz bedrohlich anwachsender Arbeitslosigkeit, die mancherorts an das Jahrzehnt nach Versailles erinnert, kann im Westen von »Verelendung« der Arbeiterschaft im streng Marxschen Sinn nicht die Rede sein. Ausgeklügelte Interpretationen der Marxschen Kategorie, die versichern, es handle sich hier um eine »relative« Verelendung, richten sich selbst. Gleichwohl bleibt die Marxsche Lehre – gerade im Westen – ein unentbehrliches Mittel zur Erkenntnis gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge. Horkheimer hielt denn auch 1968 die Zeit für gekommen,

      »endlich die Marxsche Lehre […] zu einem der zentralen Themen der Bildung zu erheben. Nicht weil sie in einem großen Teil des Ostens beim Aufholen des westlichen industriellen Vorsprungs als genehme Ideologie fungiert und, jeweils den Umständen angepasst, als staatlich vorgeschriebenes Bekenntnis doziert wird, sondern um der eigenen Zukunft willen hat nunmehr ihre Übermittlung vielen antiquierten […] Lehrstoffen […] zumindest gleich- wenn nicht vorangesetzt zu werden. Soll die junge Generation die ihr geschichtlich gestellten Aufgaben bewältigen, so bedarf sie neben vielem anderen […] nicht etwa kritikloser Anerkennung, jedoch der Kenntnis Marxscher Interpretation von Geschichte und Gesellschaft.«

      Die vom Kreis um Horkheimer während der dreißiger Jahre in der Zeitschrift für Sozialforschung entworfene Kritische Theorie gehört zu den fruchtbarsten Versuchen, Marxsche Kategorien in die Problematik unseres Jahrhunderts einzubringen. Die wichtigsten Arbeiten der Zeitschrift sind Beiträge zu einer materialistischen Kulturgeschichte, verstanden als Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters. Mit den Begründern der Lehre verstehen die Autoren die materialistische Geschichtsauffassung nicht als »fertige Schablone, wonach man sich die historischen Tatsachen zurechtschneidet«, sondern als »Leitfaden beim […] Studium« (Engels, 18901). Dabei halten sie am authentischen Begriff von »Ideologie« fest. Sie ist falsches Bewusstsein, gesellschaftlich notwendiger Schein. Mannheims Versuch, Marx akademisch zu entschärfen in einer relativistischen Wissenssoziologie der »Seinsverbundenheit« allen Denkens wird von Horkheimer und seinen I Schülern ebenso verworfen wie eine Orthodoxie, die den Ideologiebegriff dadurch aufweicht, dass sie ihn ins Affirmativ-Weltanschauliche verkehrt.

      Marx zählt, neben Nietzsche und Freud, zu den großen »Entzauberern« der Moderne. Er durchschaut den im strengen Sinn »oberflächlichen« Charakter der politischen Prozesse, Kulturphänomene und unmittelbaren Bewusstseinsweisen. »Jeder wirkliche Fortschritt in der modernen Geschichtsschreibung«, schreibt Marx 1858, »ist dadurch bewirkt worden, daß man von der politischen Oberfläche in die Tiefen des gesellschaftlichen Lebens« – gemeint sind ökonomische Strukturen – »hinabgestiegen ist.« Und im ersten Band des Kapitals heißt es, die »Geschichte des Grundeigentums« bilde die »Geheimgeschichte« der römischen Republik.

      An diesem detektivisch-analytischen Grundzug des Marxschen Materialismus halten die Vertreter der Frankfurter Schule fest. Er ist für sie – zumal in seiner Anwendung auf die kapitalistische Ära – begrifflicher Ausdruck eines Zustands, »worin« – so Marx abermals im Kapital – »der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert«. Dass gesellschaftliches Sein über Bewusstsein gebietet, ist ein aufzuhebender Zustand – kein weltanschauliches Dogma.

      Marx entwickelt die der Aufklärung und dem deutschen Idealismus entstammende Idee der Selbstbestimmung des Menschengeschlechts weiter, indem er die ökonomisch-materiellen Bedingungen aufdeckt, deren es bedarf, um sie zu verwirklichen. Es gilt, schreibt er 1853, »die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte […] der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker« zu unterwerfen. Erst dann – hierin fasst sich das Wesen seiner Geschichtsphilosophie zusammen – »wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.«

      Noch ist die Menschheit verstrickt in Naturgeschichte. Sie bringt zwar ihren historischen Prozess selbst hervor, »aber nicht« – wie der späte Engels, anspielend auf eine Formulierung Kants sich ausdrückt – »mit Gesamtwillen nach einem Gesamtplan«; dem kollektiven Intellekt nicht unterworfen, nimmt jener Prozess Züge eines mythischen Verhängnisses an, eines blinden, seinen Agenten entfremdeten Naturgeschehens. Marx wirft (hierin durchaus mit Nietzsche, seinem vermeintlich säkularen Gegner verwandt) eine erdumspannende, ökumenische Frage auf. Sie bedarf dringend der Lösung. Ob sie freilich mit den bis heute entwickelten planwirtschaftlichen Instrumentarien zu bewältigen ist, steht dahin.

      Thesen zum Begriff der Natur bei Marx

      I

      Die Aufklärungsphilosophie, zumal die französische, bereitet den Marxschen Naturbegriff insofern vor, als sie in der Natur nicht nur ein Gutes, gesetzmäßig Geordnetes erblickt, dem zu folgen nur moralische Aufgabe des Menschen ist, sondern ebenso – und dieser Aspekt wurde schließlich zum vorherrschenden – ein technisch-ökonomisch nutzbares Material. Mit dem Aufkommen spezifisch bürgerlichen Erwerbsdenkens und -lebens wird Natur zu etwas der Gesellschaft jederzeit – und zwar in stets nämlicher Weise – Dienstbarem. Selbst für Rousseau ist der »Naturzustand« einer durchorganisierten Gesellschaft nicht entgegengesetzt; vielmehr bezeichnet er diejenige Lebensform, bei der Natur als wesentlich spendende, menschlichen Zwecken zugängliche und unterstellte Macht auftritt.

      II

      Demgegenüber lässt sich das qualitativ Neue der Marxschen Naturkonzeption mit dem im »Kapital« auftauchenden Begriff des »Stoffwechsels von Mensch und Natur« ausdrücken. Ganz wie die Aufklärung sieht Marx die Natur primär unter dem Aspekt ihrer Aneignung, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Aber er geht insofern über das 18. Jahrhundert hinaus, als er die Beziehungen zwischen Mensch und Natur konkret-historisch analysiert. Dabei geht es weniger um das (auch dem materialistischen Flügel der Aufklärer geläufige) Faktum der Naturentsprungenheit des Menschen als vielmehr darum, die jeweils geschichtlich bedingte Gestalt des produktiven und konsumtiven Verhältnisses der Gesellschaft zur Natur zu untersuchen.

      Das dem Begriff des »Stoffwechsels« zugrundeliegende, von der Aufklärung aus spezifisch ideologischen Gründen nicht explizierte Sachmoment ist die gesellschaftliche Arbeit, die mit ihr gesetzte Arbeitsteilung und Notwendigkeit sozialer Klassen. Mit dieser Einsicht geht bei Marx einher, dass das natural Gegebene stets schon den Charakter eines – potenziellen oder aktuellen – Produkts hat; dass es sich keineswegs in reiner Unmittelbarkeit bloß darbietet, sondern, wie es im Kapital heißt, »Rohmaterial« als »Arbeitsgegenstand« nur ist, sofern es »bereits durch Arbeit vermittelte Veränderung erfahren hat.« Verglichen damit erscheint den Aufklärern bei allem technologischen Verständnis die Natur eher als leicht zugängliche Frucht denn als zu formierendes Material.

      III

      Die gesellschaftliche Vermittlung der Natur darf nicht darüber hinwegtäuschen,

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