Das Bild der Zeit. Ruprecht Günther

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Das Bild der Zeit - Ruprecht Günther

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ausdruckslos auf Kurz.

      Der Meister musterte ihn verblüfft. »Können Sie nicht eine offizielle Übersetzerin ordern? Ich meine, diese Frauen sind doch kaum in der Lage, ihren eigenen Namen zu schreiben, geschweige denn …«

      Er bemerkte das Stirnrunzeln seines Vorgesetzten und versicherte eilig: »Aber natürlich, wenn Sie es wünschen. Eigentlich brauche ich ja jede dieser Frauen dringend, aber …«

      Die Stirn des Doktors zog sich noch mehr in Falten, und er verstummte. Sein Chef legte jovial den Arm um seine Schulter und lotste ihn an den Bänken vorüber.

      »Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir eine Unterstützung für meine arme Ruth finden. Eine von denen werden Sie doch wohl entbehren können, oder nicht?«

      Kurz hatte genug Erfahrung mit dem Doktor, um zu wissen, dass die Frage rhetorischer Natur war. Er wies auf eine Frau um die Vierzig. »Wie wäre es mit der? Die spricht meines Erachtens ein ganz annehmbares Deutsch.«

      Horsts Blick huschte über die Frauen und Mädchen. Ihre im Einheitsgrau gewandeten Rücken beugten sich über die Bänke, und sie bemühten sich, möglichst unsichtbar zu wirken. Wenn der Inhaber der Firma mit seinem Meister durch ihre Reihen schritt, bedeutete das sicher irgendeine Teufelei – auf jeden Fall nichts Gutes. Wie von ungefähr blieb der Doktor vor einer Frau und einem jungen Mädchen stehen. Es handelte sich um die jüngste der Ostarbeiterinnen; eben die, die gestern von Kurz der Spionage verdächtigt worden war.

      »Wie wäre es denn mit der da? Die sieht mir doch ganz aufgeweckt aus.« Der Doktor bemühte sich um einen neutralen Tonfall. Wie er fand, gelang ihm dieser ausgezeichnet.

      »Diese renitente Person?« Kurz fasste sich entsetzt an die Schläfe. »Mit der werden Sie keine Freude haben. Der ist der Widerspruch doch schon in die Stirn gebrannt.«

      Horst blieb einen Moment lang sinnend stehen, als müsste er angestrengt überlegen. Der Duft des Mädchens, das umgehend zu transpirieren begann, stieg ihm in die Nase. Scharf und etwas süßlich zugleich, sehr erregend; so wie er sich einen Ritt vorstellte in der endlos weiten Steppe der Tundra …

      Das Mädchen hatte sich tief über sein Werkstück gebeugt. Es atmete heftig. Geht weiter, dachte es verzweifelt. Macht euch verdammt noch mal aus dem Staub!

      »Ich nehme sie«, erklärte der Doktor bestimmt. »Sie kann gleich mitkommen.«

      Die Augen des Meisters verengten sich zu Schlitzen. Für Sekunden stand darin die nackte Wut.

      Horst ergriff die Hand des Mädchens und zog es sanft nach oben. Sein Blick fiel auf Kurz, und er fragte leichthin: »Irgendein Problem?«

      »Natürlich nicht, Herr Doktor!« Der Adamsapfel des Meisters hüpfte nervös auf und nieder, und Horst sah vergnügt, wie sich seine Hand zur Faust presste.

      »Na, dann ist es ja gut«, erklärte er kühl und führte die junge Arbeiterin durch die Halle. Er wandte sich zu ihr hin und fragte: »Wie war doch gleich dein Name?«

      »Kamila«, flüsterte sie und schritt steifbeinig neben ihm her. Niemand traute sich, ihr nachzuschauen. Sie fühlte sich, als schritte sie vor aller Augen zu ihrem eigenen Grab.

      Die große, aufwändig gearbeitete Bürotür fiel ins Schloss, als wäre es für immer. Ein flauschiger Teppich verschluckte jedes Geräusch ihrer Schritte. Kamila hechelte wie ein Tier in der Falle. Der Patron gab ihre Hand frei und wies auf einen Stuhl neben der Türe.

      »Du kannst dich hier hinsetzen«, erklärte er freundlich.

      Kamila ließ sich zitternd nieder und hielt ihren Oberkörper kerzengerade. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass der Mann durch den Raum schritt und sich hinter einem gewaltigen Schreibtisch niederließ. Er beachtete sie nicht. Kamila starrte auf den Teppich und versuchte, ihren flatternden Atem zu beruhigen. Plötzlich hörte sie, wie eine Frau durch eine weitere Tür in den Raum trat. Sie warf einen verwunderten Blick zu ihr hin und schritt auf den Schreibtisch zu.

      »Das Essen ist gerichtet, Herr Doktor.«

      Der Patron blickte von einer Akte auf. »Was gibt es denn Schönes?«

      »Hirschgulasch mit Semmelknödeln«, erwiderte die Frau, offensichtlich seine Sekretärin.

      »Mit Preiselbeeren hoffe ich!«

      »Natürlich, Doktorchen.« Sie schlug sich verlegen auf den Mund. Erneut warf sie einen raschen Blick auf Kamila.

      Der Mann grinste spitzbübisch. »Ist schon in Ordnung, Ruth. Lass das Essen hierher bringen, ich will dabei ein wenig die Akten durchsehen. Und vergiss nicht eine Portion für das Mädel. Sie kann dort auf dem Stuhl essen.« Er wies mit einer Hand auf die Stelle, wo Kamila saß.

      Fünf Minuten später kam ein Diener mit einem Wagen. Er deckte den Schreibtisch und füllte aus einer weiß glänzenden Terrine Gulasch auf den Teller. Kamila stieg der Geruch nach Wildfleisch und satter Soße in die Nase. Wie auf Kommando begann ihr Magen zu knurren. Zu ihrer maßlosen Verblüffung sah sie, dass der Kellner, nachdem er den Mann bedient hatte, tatsächlich auf sie zu schritt. Er stellte ein Tischchen vor sie hin und füllte in einen Blechteller Gulasch mit Soße. Dazu legte er einen fetten Knödel und häufte zum Schluss einen Teelöffel Marmelade dazu.

      Sie schloss die Augen und spürte, dass ihr vor Hunger schlecht wurde. Kamila versuchte, an ihr Dorf zu denken und an ihre toten Eltern. Sie dachte an ihre Brüder, die vielleicht längst unter der Erde lagen und an den Weiher, in den sie oft nach der Arbeit gehüpft waren. Dann dachte sie an ihre Freundin Justyna und die anderen Frauen, die jetzt eine dünne Linsensuppe mit einem Stück Brot erhielten und solange daran kauten, dass es in ihrem Mund zu Brei wurde. Zum Schluss dachte sie an den Meister; wie sie ihm mit einer Gabel die Augen ausstach und ihn danach mit einem Feldstechergehäuse erschlug.

      Als der Kellner endlich das Geschirr abräumte, hatte sie nicht einen Bissen angerührt.

      Zum Feierabend entließ sie der Doktor freundlich, und sie wankte halb blind vor Hunger und Schwäche aus dem Raum.

       11. Atelier

       14. September 2010

      Klopfenden Herzens drehte Karl-Heinz den großen, leicht verrosteten Schlüssel um. Die schwere Eingangstür schleifte beim Öffnen über den Boden. Über dem Atelierraum lag ein diffuses, nahezu schattenloses Licht.

      Sigi hatte ihm seine Bilder, den Inhalt der Materialschränke und das geordnete Chaos der Farbtuben und Paletten, Lösungsmittel, Leinwände und Schwämme einigermaßen erklärt. Er hatte versucht, ihm klarzumachen, in welcher künstlerischen Phase er sich befand und warum. Er hatte ihn angefleht, nichts zu verpfuschen und lieber gar nichts zu malen als Schrott. Und er hatte ihn unter Tränen bekniet, Joana so pfleglich zu behandeln wie eines seiner vielschichtigen Gemälde, die er in einer Mischung aus Rausch und Kalkül von der Leinwand stahl, als wären sie ein Stück Marmor oder Granit.

      Karl-Heinz fühlte sich wie ein Dieb im eigenen Haus. Er stolperte ungeschickt über ein paar Holzlatten, hielt sich an der Staffelei fest und hätte sie beinahe umgerissen. Wo war Joana? Er hatte sich auf dem Weg ein paar einleitende Sätze zurechtgelegt, witzig und schlagfertig, wie sie seiner Ansicht nach zu Sigi passten. Plötzlich waren sie wie weggeblasen. Zaghaft öffnete er die Tür zu den Privaträumen. Vor ihm lag eine gemütliche kleine Wohnküche. Durch das hoch liegende

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