Das Bild der Zeit. Ruprecht Günther

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Bild der Zeit - Ruprecht Günther страница 6

Das Bild der Zeit - Ruprecht Günther

Скачать книгу

»Vielleicht, weil du den reichen Unternehmer schon hattest? Vielleicht …«, er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, »… weil der nur einen brasilianischen Hintern wollte, um sich damit vor aller Welt zu zeigen?«

      Joana wischte sich über die Augen und zwickte ihn in die Nase. »Und du? Du interessierst dich überhaupt nicht für einen brasilianischen Hintern!«

      Sigi umfasste ihr wohlgeratenes Gesäß und sagte leise: »Das ist wirklich das allerletzte, was mich beschäftigt!«

      Er streifte ihr sacht das Kleid von den Schultern. »… Aber als Künstler muss ich schließlich – rein akademisch – jedes Detail deines Körpers überprüfen.«

      Sie schloss die Augen und flüsterte: »Dann zeig mir noch einmal, welche Stellen du meinst – rein akademisch …«

      Die beiden warfen sich auf den Boden und gingen zur Kür über. Kurz bevor Joana die unbezahlten Rechnungen, Gläubiger und Schuldenberge vollständig vergaß, strich Sigi hauchzart über eine Stelle am Ansatz ihres Halses, als gäbe es dort ein exotisches Instrument, das ausschließlich seine Malerhände zum Klingen brachten.

       5. Karl-Heinz

      Karl-Heinz verstand wie so oft die Welt nicht mehr. Warum nur waren alle Menschen um ihn herum Idioten? Man musste doch nur so wie er klar analysieren, Prioritäten setzen und dann handeln.

      Er stöhnte verhalten und unterdrückte eine scharfe Bemerkung an seine Sekretärin. Sie hatte wieder einmal alle Termine verwechselt, danach die Blumenvase umgeworfen und dabei einen unterschriftsreifen Vertrag besprenkelt. Wenn sie nicht hin und wieder zum Bumsen taugte, er hätte sie längst schon entlassen. Dazu kam ein renitenter Besitzer, der seine Bauerntruhe aus dem siebzehnten Jahrhundert partout nicht unter dem Preis verkaufen wollte. Heutzutage waren sogar schon die Landwirte clever. Wie sollte man da noch auf seine Kosten kommen? Doch Karl-Heinz jammerte auf hohem Niveau.

      Er hatte seinerzeit die merkwürdig anmutende Fächerkombination von Kunstgeschichte und Informatik studiert. Nach zwei erfolgreichen Abschlüssen und im Gedenken an das exklusive Geschäft seines Vaters eröffnete er einen Antiquitätenvertrieb. Schon nach gut einem Jahr lief der Laden wie von allein. Karl-Heinz’ Riecher für ausgefallene Stücke, die er in der Regel zum Spottpreis erwarb, war berüchtigt. Dabei bewies er stets ein sicheres Gespür für Ausgefallenheit und Echtheit. In der Branche hatte er sich den Ruf eines knallharten Händlers erworben, der den wachsenden Speckgürtel Berlins mit exquisiten Nischenstücken versorgte. Sein Rezept war dabei so einfach wie erfolgreich: Er verzichtete auf eine teure Repräsentanz in Kuhdammnähe und bot seine Artikel stattdessen online an. Damit lag er immer deutlich unter den Preisen seiner Konkurrenz, die vor Wut schäumte. Das zweite Geheimnis waren seine Quellen: Im Auffinden seltener und kostbarer Stücke schien er über magische Hände zu verfügen.

      Doch die Realität war so einfach wie banal. Er hatte in wenigen Jahren ein europaweites Netz von Nachlassverwaltern aufgebaut, die ihn gegen gelegentliche Einladungen mit Insider-Tipps versorgten …

      Im Augenblick führte er zwei Telefongespräche gleichzeitig, was seinen Prioritäten-Grundsatz mit den Füßen stieß.

      »Nein, Herr Roland!«

      Er bemühte sich um eine nach wie vor freundliche Stimme. »Der Preis ist, wie ausgezeichnet, exklusive Mehrwertsteuer und Versand. … Wie? Ja, bei Selbstabholung wird es natürlich billiger, das sagte ich ja gerade.«

      In das Handy, das er an sein zweites Ohr hielt, bellte er: »Sabine, ich bin beschäftigt! Ich weiß noch nicht, ob ich mit dir zu Mittag esse. Wie? … Nein, Herr Roland, das war nicht an Sie gerichtet! Wenn Sie möchten, können Sie die Truhe bis zwölf Uhr abholen. Aber das können Sie auch gerne mit meiner Sekretärin besprechen. Ich schalte das Gespräch mal um – einen Augenblick, ja?«

      Gut eine Stunde später saß er mit seiner notdürftig zurechtgemachten Freundin bei einem angesagten Chinesen zu Tisch. Ihr sonst so gelungener Lidschatten war fahrig aufgetragen und verlieh ihr die Anmutung einer Nachteule. Das blond gefärbte Haar war nicht so gekonnt toupiert wie sonst, und zu allem Überfluss hatte sie auch noch das falsche Parfum gewählt.

      Ihre smaragdgrünen Augen funkelten in einem einzigen Vorwurf. »Musst du mir eigentlich immer auf den letzten Drücker Bescheid sagen? Ich hatte dich pünktlich um halb elf angerufen, und du warst indisponiert wie so oft. Ein bisschen Zeit, um mich zurechtzumachen, musst du mir schon lassen!«

      Karl-Heinz musterte ungerührt die Karte. »Ich würde es an deiner Stelle vorziehen, zu bestellen, ich habe jetzt nämlich noch genau«, er warf einen Blick auf sein Chronometer, »… zwanzig Minuten Zeit … Und du willst doch sicher nicht ohne Mittagessen wieder nach Hause?«

      Der Blick seiner blassblauen Augen glitt durch sie hindurch und schien die Sekunden zu zählen, die ein imaginäres Pendel stur und vollkommen exakt aus der Zeit in den Raum lud.

      Sabine schnappte einen Moment lang nach Luft. Einen Augenblick lang überlegte sie sich, aufzustehen, Karl-Heinz eine zu kleben und zu gehen. Doch ihr Magen war anderer Meinung. Sie riss ihrem Freund die Karte aus der Hand und beschloss, aus Rache das teuerste Gericht zu nehmen. Sie befeuchtete ihren rosa lackierten Finger mit der Zunge und fuhr genüsslich über das edle Hochglanzpapier.

      Karl-Heinz klopfte nervös auf das weiße Tischtuch. Mit dieser Ziege verlor er nur seine Zeit – so wie mit allen anderen, dachte er in einem Anflug von Selbstmitleid. Warum konnte er eigentlich nicht eine Frau wie Joana haben, die mit beiden Füßen auf der Erde stand und doch so exotisch wirkte wie eine seltene Orchidee; eine Frau, deren schwingende Hüften einen Mann vollkommen um den Verstand bringen konnten …«

      »Karl-Heinz, hörst du mir überhaupt zu?«

      Er zuckte zusammen und zwang sich zu einem schmalen Lächeln. Hoffentlich, dachte er, waren die achtzehn Minuten bald vorüber.

MONTAG

       6. Die erste Begegnung

       13. September 2010

      Am heutigen Montag war das Wetter diesig. Über den Himmel spann sich eine transparente Wolkendecke, die ganz Friedrichshain in ein diffuses Licht tauchte. Gegenstände und Menschen wirkten schattenlos und schienen in einer merkwürdigen Verklärtheit über dem Boden zu schweben. Die Autos schienen leiser als sonst über den Asphalt zu rollen, die Straßenhunde winselten trübe, und die Gäste in der Kneipe redeten verhalten, so als könnten sie damit ein Unwetter, das von fern her anrollte, beschwichtigen und in eine andere Richtung lenken.

      Auch die beiden Freunde waren in gedämpfter Stimmung. Karl-Heinz hatte Sigi einen Interessenten vermittelt, der jedoch abgesagt hatte. Seine Telefonrechnung war noch höher als sonst ausgefallen, und sein Konto so leer wie eine sibirische Steppenlandschaft. Susi, die hübsche Bedienung, bemerkte seine melancholische Verfassung, stellte einen Vorspeisenteller vor ihn hin und bestand darauf, dass er auf Kosten des Hauses ging.

      Sigi ergriff ihre Finger, die heute hellblau lackiert waren, und drückte sie an sein Herz. »Ach«, sagte er und lächelte wehmütig, »was täte ich nur ohne dich!«

      »Wenn du es nur tätest …«, formten ihre Lippen und lächelten zurück.

      Auch Karl-Heinz hatte ein paar Gänge heruntergeschaltet. Seine Liaison mit Sabine war wohl endgültig beendet.

Скачать книгу