Das Kartell der Skorpione. Mario Monteiro
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Читать онлайн книгу Das Kartell der Skorpione - Mario Monteiro страница 5
»Die haben doch wieder mal keine Ahnung von nichts«, behauptete Bonrosa und dachte sofort an den Stunk, den es mit den Schlaksen von der Botschaft geben wird. Und die werden wieder alles haargenau wissen wollen, und das FBI wird die Interpol mobilisieren und womöglich noch einen Sonderbeauftragten schicken. Natürlich wird es Proteste hageln. Warum man in Rio nicht in der Lage sei, mit den Banditen endlich aufzuräumen. Als ob sie in Chicago und Los Angeles nur Nonnenklöster hätten.
»Drück mal auf die Tube«, herrschte er seinen Fahrer an. »Los, zu dem verdammten Tunnel rüber!«
Der Sargento ließ die Sirene aufheulen. »Rebouças«, fragte er und reizte den Oberst unnötigerweise.
»Klar, Rebouças!«, bellte Bonrosa. »Wohin denn sonst?«
An der Einfahrt des Tunnels war die Truppe vom Dienst mit den Nervenbündeln wochenendhungriger Fahrer noch immer nicht fertig geworden. Irgendein Blödian hupte mitten im Tunnel. Purer Protest natürlich. Oder weil der Kerl so einen Spaß an seiner Dreiklanghupe hatte. Anstatt froh zu sein, dass er’s nicht war, den sie auf der Liste stehen hatten.
Dann kamen die Burschen vom technischen Dienst mit der antiquierten Anlage nicht zurecht. Das kannte man vom letzten Mal. Als erstes fielen immer die Entlüfter aus und dann war das Licht weg. Im Dunkeln flogen hundert Türen auf, hemdsärmlige Fahrer wischten sich den Schweiß aus den Gesichtern und palaverten im Scheinwerferlicht der Wagen.
»Que passa de novo ... a última vez ...« Das, was dieser Filialdirektor sonst noch für mitteilenswert hielt, ging im Sirenengeheul eines Polizei-Jeeps unter. Hinter dem Schatten des Fahrzeugs stachen die Scheinwerfer des Abschleppwagens in die Finsternis.
Neun Uhr 15! Die Blechlawine aus Ipanema rollte an. Und kein halbes Dutzend wusste in diesem Moment, um was es heute Morgen ging. Bonrosa überhörte die Frage seines Fahrers.
Raubmord? Entführung? Auffahrunfall? Man hockte eben da und wartete und wusste nicht, wo vorne und hinten war und wann man endlich raus wäre aus dem Loch.
»In den Wagen sitzen bleiben! Rechts ran, bitte!« Nassgeschwitzt im Jeep stehend, brüllte ein Beamter in sein Megafon.
»Nada de grave. Todo esta em ordem«, wurden sie alle zwei Minuten beschwichtigt. Alles in Ordnung also? Nichts Besonderes? Weshalb dann die ganzen Fernsehteams?
»Kein Grund zur Aufregung«, wurden sie beruhigt. »Nur eine kurze Unterbrechung.«
Blitzlichter schossen an der Tunnelwand entlang. Sekundenlang tauchten Blechfetzen im Dunkel auf, zerrissen, aufeinander getürmt wie lästiger Müll. Pulverdampf und Rauchschwaden zogen durch den Tunnel. Der Gestank schwelenden Gummis biss in den Augen.
Endlich ging es weiter. Schrittweise fuhr man an, bremste, rückte auf.
»Geduld, etwas Geduld bitte. Na seht doch! Es geht schon wieder.«
Zwei Beamte winkten den Strom der Wagen durch den Tunnel.
... ANTHONY MCGOOLEY ERMORDET ... wird man vielleicht schon in den Mittagsausgaben erfahren. Und wenn schon. Wer zum Teufel war denn dieser McGooley?
Cariaga erreichte Barrios kurz vor zehn. Am Ende des Telefonates ließ er sich ein zweites Mal versichern, dass man mit dieser leidigen Sache keinesfalls in Verbindung gebracht werden könne.
»Natürlich nicht«, tröstete Barrios. Wozu hatte man Bonrosa? Seit Monaten lag der Coronel an der Leine und auch den Vorfall dieses Morgens wird er zur vollsten Zufriedenheit des Kartells regeln. Wenn nicht ... doch was das betraf, machte sich Bonrosa keine Illusionen. Am Abend wird er geschniegelt und gebügelt beim Kriminalreport vor der Kamera stehen. Höflich oder bestimmt, je nach dem, wird er den Vorfall bedauern, dann und wann verbindlich lächeln und immer wieder betonen, dass er zur Zeit aus verständlichen Gründen noch nicht viel sagen könne. Man sei bereits dabei, das heimtückische Verbrechen schnellstens zu klären. Doch aus taktischen Gründen müsse man noch schweigen. Wie immer werde die Polizei alles Erdenkliche tun ... und so weiter und so fort!
Zwei Tage lang werden die Zeitungen über nichts anderes berichten. Spekulationen, Theorien, Beweisaufnahmen, unbegreifliche Fehler bei der Untersuchung werden einige behaupten und dann ... ein Dementi nach dem anderen. Nichts als ein bedauerlicher Zwischenfall und damit basta!
Wo lebte man denn? Gab es nicht täglich Morde in dieser Stadt? Und einen Skandal nach dem anderen. Regierungsbeamte in Millionenschwindel mit städtischen Schuldverschreibungen verwickelt. Fünf Börsenagenten waren mit von der Partie! Das kam erst gestern ans Licht. Und dazwischen Menschenraub. Und Kinder, Kinder, die jeden Tag verschwanden und nach denen kein Hahn mehr krähte. Arme Kinder meistens, die am Morgen aus den Favelas ins Zentrum latschten, sich mit kleinen Gaunereien durchschlugen, bettelten oder mit ein paar Gramm Kokain und zwei drei Stückchen Crack in der Hosentasche ihre ersten Geschäftchen machten, um abends ein paar Kröten heimzubringen.
Spätestens in einer Woche wird ganz Rio vergessen haben, dass es einmal einen Anthony McGooley gegeben hatte.
Die Polizeibeamten grüßten höflich, als Cariagas Bentley vorüber glitt. Den ›graudo‹ hinter den dunkelgrünen Scheiben kannten sie nicht. Ein ›Wichtiger‹ musste das schon sein.
»Mann, in so einem Dampfer!« meinte einer der Beamten.
Der Rattenschwanz aufgestauter Wagen kroch hinterher, bleiche Gesichter sonnenverbrannter Fahrer am Steuer. Zweimal täglich zitterten sie, wenn sie durch den Tunnel mussten. Wer konnte hier wissen, wen sie sich als Nächsten vorknüpfen werden?
Früher hatte sich die halbe Welt um eine Position in Rio gerissen. Sonne und Meer, unendliche Strände, verlockende Frauen. Wer hatte dieser Stadt schon widerstanden? Aber heute! Zu Dutzenden verenden sie im Feuerhagel moderner Waffen. Gleich morgens, wenn sie aus der Wohnung kommend in die Tiefgarage hasten, Minuten später im nicht endenden Tohuwabohu des Stadtverkehrs vor Ampeln wartend, sich für Sekunden zwischen den Pfeilern eines Viadukts auf die nächste Besprechung vorbereitend.
Überall lauern die Skorpione aus den Bergen. Fast täglich schlagen Geschosse in Büroetagen ein. Hinterher laue Untersuchungen, ein paar Akten auf den Tischen verstaubter Dienststellen. Selten genug dringt Licht ins Dunkel und die wenigsten kennen die Gründe. Außer denen natürlich, die es erwischt. Eine Stadt mitten im Krieg. Wer merkt das schon?
Blutverschmiert hängen die Opfer in den Polstern frisch gewaschener Wagen, und jene, die der Illusion erliegen, sich noch bis zur nächsten Intensiv-Station durchzuschlagen, brechen ein paar Meter weiter auf dem Pflaster zusammen, halb schaudernd, halb neugierig begafft, hundertmal geknipst, vom Fernsehen gefilmt, zugedeckt und abtransportiert.
Die meisten müssen sich durch den Tunnel schieben und froh sein, wenn es auf der anderen Seite weitergeht. Scharfe Augen unfehlbarer Todesschützen überall. An den Ecken eleganter Straßen lauernd, oft keine hundert Meter neben weltbekannten Luxusläden und verstopften Bankfilialen, zwischen unscheinbaren Würstchenbuden, im Hinterhalt enger Hofeinfahrten, nur einen Sprung weit weg vom rettenden Hotelportal.
›Bala perdida‹ hieß es im Polizeibericht. Nichts als Querschläger also. So versuchte man eine ganze Stadt zu beruhigen. Auch wenn die Geschosse meistens den Kopf zerfetzten. Der Epilog versank im Schweigen fassungsloser Freunde oder unter den Schreien hysterisch kreischender Frauen, die über den Särgen ihrer Männer und Söhne hingen.
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