Auf Wölfe schießt man nicht. Heinz-Dietmar Lütje

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Auf Wölfe schießt man nicht - Heinz-Dietmar Lütje

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bei dem Großbauern Deepenow, wie polizeilich geschulten Blick auf den Übergang der Straße zum Feld, insbesondere den Graben gerichtet, kam er nur etwa fünfzehn Meter weit. Da, an der Grabenkante, waren tiefe Einrisse im Boden. Bei näherem Hinsehen auch etwas Schweiß. Er folgte der Fährte noch einige Meter in das frisch bestellte Feld und auf dem Acker sah man deutlich die Abdrücke von Pfoten. Hundepfoten, wie auf den ersten Blick zu deuten. Ein Lauf, offenbar der rechte Hinterlauf wurde nicht aufgesetzt, war also verletzt. »Mh, schau an«, brummte Helmers. Dann sicherte er einige gräuliche Haare an der Vorderfront des Mercedes, stellte dem Fahrer eine Bescheinigung über die erfolgte Aufnahme des Unfalls aus und entließ diesen mit der Mahnung, sich um einen neuen Führerschein zu kümmern. Anschließend nahm er die Kamera aus dem Dienstwagen, fotografierte die Stelle, an der das angefahrene Tier von der Straße durch den Graben in das vor kurzer Zeit neu bestellte Feld gewechselt war. Auch einige Fotos von der gut sichtbaren Fährte in dem schwarzen Ackerboden vergaß er nicht. Einige weitere Haare und auch etwas von dem ausgetretenen Blut an den Grashalmen sicherte er in einer kleinen Plastikhülle. Gerade wollte er wieder zurück zu seiner kleinen Zweimannstation fahren, meldete sich sein Handy. Seine Frau Maren war dran. »Was, wann?« Er hörte zu, zunehmend angespannter und entschied schließlich, »okay, kein Wort darüber, ich fahre anschließend bei Paul vorbei und kümmere mich darum. Danach fahr ich noch zu Deepenow und komme dann nach Hause.«

      Paul Graeser und seine Frau Inge waren in heller Aufregung. Das Ehepaar Graeser hatte vor drei Jahren einen Resthof mit Hofkoppel erworben und für die kleine Enkelin ein Pferd angeschafft, eine sechsjährige Stute, die auf der Hofkoppel gehalten wurde, wo sie auch einen winterfesten Unterstand hatte. Das Ehepaar Graeser war jetzt drei Tage bei Tochter und Schwiegersohn in Hamburg zu Besuch gewesen. Da die Witterung es zuließ, die feste Tränke wohlgefüllt war und zu fressen die Hofkoppel eine noch für längere Zeit ausreichende Nahrung bot, bestand wenig Anlass, sich um das Tier zu sorgen. Zudem war die Stute schon mehrmals für zwei, drei Tage problemlos allein geblieben. Trotzdem hatten sie den jungen Studenten, der im Wohnwagen auf ihrem Hofplatz hauste, bis er einen Platz im Wohnheim oder eine sonstige finanzierbare Bleibe in Kiel fand, gebeten, ein Auge auf Pferd und auch Haus und Hof zu halten. Umso entsetzter waren sie, als sie bei ihrer Rückkehr ein völlig verängstigtes Tier vorfanden, das zudem erhebliche Verletzungen aufwies, die ihm offenbar ein Hund beigebracht haben musste, wie der sofort herbeigerufene Tierarzt, Dr. Klein, diagnostizierte. Nach der Notversorgung des Tieres und die Veranlassung der Überführung in die Tierklinik, noch in der Nacht der Rückkehr, hatten Inge und Paul erst jetzt am nächsten Morgen den Polizeiposten verständigt, da sie nachts niemand erreicht hatten.

      »Mannomannomann, das ist ja wieder ein Tag«, stöhnte »Pepe«, wie der Dorfschutzmann von Freunden und Bekannten genannt wurde, als er den Sachverhalt zu Protokoll nahm. Dankbar nahm er den angebotenen Kaffee und verschmähte auch das offerierte zweite Frühstück nicht. »Und Dr. Klein ist sicher, dass die Verletzungen von einem Hund herrühren?«

      »Ja, eigentlich ein Wunder, dass die Stute überlebt hat. Irgendwas muss den Hund, der ja ziemlich groß gewesen sein muss, gestört haben. Vielleicht hat Tila, so heißt das Pferd, ihn ja mit einem Tritt verletzt. Da sind einige Spuren noch zu erkennen.« »Die schaue ich mir gleich mal an«, versetzte Pepe, »ich komme gerade von einem Unfall auf der 404. Da ist ja wohl ein größerer Hund angefahren worden. Vielleicht war das der Missetäter.«

      »Das wäre zu hoffen. Was ist denn mit dem?«

      »Ja, der ist offenbar verletzt, aber verschwunden. Ich werde mal sehen, ob wir den nachsuchen können? Ich gebe Euch dann Bescheid!«

      Eine halbe Stunde später saß der Dorfsheriff dem Großbauern Carl-Johann Deepenow gegenüber. Der schwerreiche und ebenso gewichtige Mann hatte sich gerade seinem opulenten Frühstück gewidmet. Eine heilige Handlung, bei der er sich ungern stören ließ. Lediglich jagdliche Angelegenheiten wurden als hinreichender Grund angesehen. Außerdem hatte er bereits eine halbe gebratene Ente und eine Schüssel Bratkartoffeln, in reichlich Speck gebraten, sowie drei Stücke Sauerfleisch von je etwa dreihundert Gramm eingefahren, so dass der Hungertod nicht mehr unmittelbar drohte. Während er sich jetzt, zum Abschluss sozusagen, noch zwei Brötchen mit reichlich gewürfeltem Schinken bepackte, gab er dem immerhin auch mit einer Tasse Kaffee bedachten Polizisten das Zeichen loszulegen.

      Dieser schaute sich nochmals vorsichtig um, aber die Tür der riesigen Wohnküche war geschlossen und es stand ohnehin nicht zu befürchten, dass irgendjemand es wagen würde, den mächtigen Bauern beim heiligen Frühstück zu stören. »Ja, Hanne«, begann er und bewies damit, dass er zum Kreis der Auserwählten gehörte, die den Großbauern »Hanne« nennen durften, »es gibt wohl Neues vom Wolf.« Die mächtigen Kiefer im grobschlächtigen Gesicht des Herrschers über rund achtzehnhundert Hektar hörten auf, das eingeschobene halbe Brötchen mit Schinken zu zerkleinern. Er schluckte es leicht vorgekaut hinunter und spülte mit einem großen Schluck aus der angemessen Inhalt aufnehmenden Tasse nach. »Ist das Scheißvieh etwa wieder da?« POK Helmers nickte. »Aber wohl angefahren worden.« »Wo?« »An der 404, etwa dort, wo du neulich dieses Riesenfeld neu bestellt hast. Wir sollten vielleicht versuchen, der Fährte zu folgen. Was meinst du?«

      Der große, kräftige Mann überlegte kurz und nickte nachdenklich, »wenn man wüsste, wie schwer er verletzt ist, dann ja. Aber sonst könnten wir doch warten, ob er vielleicht verendet oder zumindest richtig krank wird. Wäre doch die einfachste Lösung. Unfall und fertig ist die Laube!«

      »Ich bin mir da nicht so sicher. Aber falls er von deinem Revier woanders einwechselt, vielleicht sogar bei diesem Michaelis, dann brauche ich ja nicht fragen, wenn ich in amtlicher Eigenschaft, unter Tierschutzgesichtspunkten und auch zur Gefahrenabwehr, versuche den«, er grinste verschwörerisch, »Hund zu finden.« Anerkennend schnalzte Deepenow mit der Zunge und schob eines der halben, mit jeweils mindestens hundertfünfzig Gramm bestem Räucherschinken belegten Brötchen zum Beamten rüber. Eine Auszeichnung wie eine Ordensverleihung. »Oh, danke, Hanne.« Auch wenn er satt war, das konnte er nicht ablehnen. »Schmeckt echt gut, also einverstanden?« »Ja, ich komme mit meinem »Lorbass« mit.« »Eben darum wollte ich dich bitten«, dankte Helmers und schluckte den restlichen Bissen herunter.

      In den Streifenwagen einzusteigen kam natürlich für den Großgrundbesitzer nicht infrage. Also folgte er mit Hund, einem stattlichen Hannoveraner Schweißhund, im standesgemäßen Mercedes-Geländewagen.

      Erschöpft hatte sich der Wolf in eine dichte Tannenschonung hinter dem neuangelegten Feld, auf dem Getreide auflaufen sollte, eingeschoben. Er litt starke Schmerzen. Das Projektil aus der Waffe des Jagdpächters Michaelis hatte seinen hinteren Körperteil durchschlagen, ohne sich zu zerlegen und war durch das Gescheide gedrungen und hatte auch nur einen etwas über Kaliberdurchmesser großen Ausschuss hinterlassen, so dass nur wenig Schweiß von den nachsuchenden Jägern gefunden wurde. Dann, als er vor dem Donner flüchtete, den Schmerz hatte er erst danach gespürt, und merkte, dass irgendetwas nicht stimmte, hatte er seine Fluchtgeschwindigkeit merklich reduziert. Aber dann, als er die breite Fläche überqueren wollte, schoss urplötzlich eine Schmerzwelle durch seinen Leib und dadurch abgelenkt hatte er das heranrasende Etwas zu spät mitbekommen und konnte sich gerade noch mit einem Riesensatz vor dem Schlimmsten bewahren. Aber die Anstrengung und das Strecken des Körpers beim Sprung löste erneut höllische Schmerzen aus und als er im Graben aufkam, merkte er, dass auch sein rechter Hinterlauf nicht mehr richtig zu gebrauchen war. Diesen schonend war er auf drei Läufen weitergeflüchtet und froh, diese geschützte Stelle gefunden zu haben. Hier hatte er sich jetzt niedergetan und leckte seinen Hinterlauf. Viel mehr allerdings schmerzte ihn sein Leib. Was war ihm da bloß geschehen? Solche Schmerzen kannte er bisher überhaupt nicht. Erschöpft rollte er sich zusammen, so gut es mit den Verletzungen halt ging und hoffte auf Besserung.

      So schnell, wie geplant, konnte die Wolfssuche allerdings dann doch nicht beginnen. Gerade, als die beiden mit Hund am Ort des Unfalls angekommen waren und POK Helmers sich über Funk abmelden wollte, meldete sich die Einsatzleitstelle und beorderte ihn zu einem Verkehrsunfall mit Personenschaden am entgegengesetzten

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