Mörderisches Spiel in Leipzig. Uwe Schimunek

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Mörderisches Spiel in Leipzig - Uwe Schimunek

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Expedition der Leipziger Zeitung hielten täglich den Platz für Wanks Berichte frei. Es gab sicherlich Ehrenvolleres, aber die Toten sicherten Wanks Arbeitsstelle.

      Freilich gab es nicht jeden Tag Todesfälle zu verzeichnen. Die restlichen Delikte, die Machuntze ihm gemeldet hatte, waren weniger spektakulär: Unterschlagung, Diebstahl, Zechbetrug, mal ein Einbruch. Die meisten Ganoven in der Stadt beließen es bei kleineren Vergehen. Der Erpresser, den die Polizeibehörden gestern gefasst hatten, war eigens aus Berlin angereist.

      Machuntze tat stets, als retteten die Polizisten die Stadt vor dem Untergang, gerade heute hatte er Reden geführt wie ein Schauspieler beim Monolog. Aber im Grunde war nicht viel los in Leipzigs Ganovenwelt, zumindest nichts, was die Leser über längere Zeit in Atem hielt. Freilich konnte Wank schlecht selbst zum Mörder werden, nur um einen guten Artikel verfassen zu können.

      Wank stand auf und machte sich auf den Weg zu seinem Vorgesetzten. Er schritt den Flur entlang, vorbei an den anderen Redaktionsstuben. Immer wieder erstaunte ihn, wie die Themen auf die Kollegen an den Schreibtischen abfärbten. Die Politikredakteure gaben sich geschäftig, als hinge von ihnen der Lauf der Geschichte ab und nicht von den Ministern und Geheimräten, über die sie berichteten. Die Wirtschaftsredakteure wirbelten stets umher, als würden sie selbst unablässig Aktien kaufen und verkaufen – dabei hatte kaum einer von ihnen genügend Geld für Börsenspekulationen. Da kam ihm die Ruhe in den Kulturbüros schon beinahe wie eine Erlösung vor.

      Im Treppenhaus begegnete er Schliemeyer, dem Sportreporter. Schliemeyers Krawatte hing locker um seinen Hals, es sah beinahe so aus, als ob da ein Galgenstrick baumelte. Der Sportreporter berichtete vornehmlich über die Ergebnisse der Pferderennen. In kurzen Hauptsätzen empfahl er Wank nun, Doktor Richter schnell aufzusuchen, der Direktor der Königlichen Expedition der Leipziger Zeitung habe vorzügliche Laune, sei gar zu Scherzen aufgelegt.

      Wank hatte ohnehin nicht vor zu trödeln, doch nun flitzte er die Treppe noch schneller hinauf. Als er vor dem Büro des Direktors angekommen war, war er völlig aus der Puste. Er holte tief Luft und klopfte.

      »Herein!«, rief die Vorzimmerdame.

      Wank trat ein und wurde direkt zu Doktor Richter gebeten.

      »Ah, unser Polizeireporter, ganz vorzüglich!«, rief der Direktor und winkte ihn herbei. »Das wird ein gutes Blatt heute, das habe ich im Gefühl. Zeigen Sie her, was Sie haben, Herr Wank!«

      Wank reichte Richter das Manuskript, und der begann sofort, die Zeilen zu überfliegen.

      »Eine tragische Sache«, sagte der Direktor nach wenigen Sekunden und klang dabei, als hätte er gerade im Lotto gewonnen. Sogar sein gezwirbelter Schnurrbart wippte fröhlich, als er fortfuhr: »Sie haben das ganz prächtig formuliert, Herr Wank.«

      Ein Lob vom Herrn Direktor persönlich, das musste er im Kalender notieren. »Danke, Herr Direktor«, sagte Wank.

      »Sie sollten auch mal längere Texte über besonders interessante Fälle für die Rubrik Vermischtes in unserer Beilage verfassen, junger Mann. Schlagen Sie doch bei Gelegenheit etwas vor!«

      Ein großer Report! Langsam wurde Wank die Sache unheimlich.

      Richter legte das Manuskript auf seinen Schreibtisch und fuhr fort: »Darf ich Sie noch etwas fragen, Herr Wank?«

      Wank zögerte kurz und überlegte, ob nicht doch Ärger drohte. Dann sagte er: »Selbstverständlich.«

      Richter blickte auf. Seine fröhliche Miene war verschwunden. Der Direktor legte das Manuskript auf den Stapel mit den Artikeln des Tages und fragte: »Ihre Zusammenarbeit mit Herrn Polizeihauptwachtmeister Machuntze läuft ordentlich?«

      »Gab es Beschwerden?«

      Richters Gesichtszüge schienen zu gefrieren. »Hat er denn Grund für Beschwerden?«

      »Nein, nein. Ich dachte nur …«

      »Ich will doch hoffen, dass es nur Gutes zu berichten gibt, denn ich treffe mich morgen Abend mit dem Herrn Polizeidirektor.« Richter richtete seinen Oberkörper auf, als wolle er auf seinem Sessel exerzieren. »Da wäre ich gern auf eventuelle Ärgernisse vorbereitet.«

      Deswegen also war Machuntze am Morgen geschwätzig wie ein Liebesroman gewesen. »Nein, nein«, sagte Wank. »Der Herr Hauptwachtmeister hat keinerlei Anzeichen irgendeiner Verstimmung gezeigt.«

      »Das ist gut. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, dass wir auch als Amtsblatt Seiner Majestät in unserer Stadt fungieren.«

      »Nein, selbstverständlich nicht, Herr Direktor«, antwortete Wank. Insbesondere nicht, weil der Direktor es bei jeder Gelegenheit wiederholte. Er beschloss, dem Hauptwachtmeister vorsichtshalber doch am nächsten Morgen einen Besuch abzustatten.

      Willibald Gelsenrath fuhr mit seinem Fahrrad von der Johannisgasse auf den Augustusplatz. Die Neorenaissancefassade des Museums strahlte in der Maisonne. Gelsenrath nahm sich Zeit, den Anblick zu genießen. Wenn er ein paar Minuten zu spät im Büro ankam, würde ihm niemand einen Strick daraus drehen. Schließlich hatte er gute Nachrichten zu verkünden. Der Bau in der Reitzenhainer Straße, den er für das Architekturbüro von Paul Möbius und Arthur Starke überwachte, kam gut voran.

      Auf dem Augustusplatz wimmelte es von Pferdedroschken und Fuhrwerken. Die neuen elektrischen Straßenbahnen bimmelten fröhlich durcheinander. In dem Gedränge boten Kolporteure ihre Waren feil.

      Vor dem Mendebrunnen trat ihm ein Mann in einem schäbigen Anzug in den Weg und wies auf die illustrierten Blätter und Romanhefte in seinem Bauchladen. Gelsenrath fragte sich, ob er etwa wie ein Familienoberhaupt aussah, mit seinem Fahrrad und dem Zylinder nach der neuesten englischen Mode. Oder glaubte der Kolporteur etwa, ein junger Mann würde diesen Schund selbst lesen?

      Mit einem gekonnten Schwung umkurvte Gelsenrath den Kerl. Der Händler musste aus dem Weg springen und fluchte ihm hinterher. Schnell weg, dachte Gelsenrath, ehe noch ein Tumult entsteht! Mit ein paar kräftigen Tritten in die Pedale näherte er sich der Universität. Nach ein paar Metern ließ er das Rad rollen und bog in die Goethestraße.

      »Mann, Willi, das war ja eine sportliche Einlage!«, rief jemand von der Paulinerkirche her.

      Gelsenrath blickte über die Straße, da stand Horst Ludewig, sein Sportkamerad vom VfB. Der junge Kerl hatte den Hut keck nach hinten gerückt, sodass sein Haaransatz zu sehen war, und schlenderte in Hemdsärmeln herbei. Sein Jackett hielt er zusammen mit einer Mappe unterm linken Arm.

      »So solltest du mal über das Spielfeld rasen, Willi!«, sagte Ludewig. Seine Worte wurden beinahe von seinem Kichern verschluckt.

      Gelsenrath stieg vom Rad und schob es auf die andere Straßenseite. Er streckte dem Kamerad die Hand entgegen und frotzelte: »Wenn ich an einem Freitag um die Mittagszeit über den Augustusplatz schlendern könnte, hätte ich beim Training auch mehr Kraft übrig.«

      Ludewig ergriff Gelsenraths Rechte und schüttelte sie mit unerwarteter Herzlichkeit.

      »Allerdings bin ich heute auch nicht in Eile«, fügte Gelsenrath hinzu.

      »Ich muss um die Ecke in die Bibliothek, ich nehme den Weg über die Grimmaische.«

      »Dann begleite ich dich ein paar Meter.«

      Sie gingen an der neogotischen Gebäudefront vorbei, die den Platz seit seinem Umbau prägte. Die jüngst gepflanzten Bäume

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