Mörderisches Spiel in Leipzig. Uwe Schimunek
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»Ich habe gerade Eleonore Rada getroffen. Die Eleonore Rada!«, sagte Kutscher.
Wank nahm noch einen Schluck Kaffee. Der Freund wusste, wie sehr er für die Schauspielerin am Alten Theater schwärmte.
»Sie hat vor der Vorstellung eine Vakanz und würde sich freuen, mit dir etwas Zeit zu verbringen.«
Sollte er diese Freude teilen? Wenn Fräulein Rada auf seine Avancen einginge, wäre ihm das angenehm. Doch so, mit dem Freund als Kuppler? Wank hörte sich seufzen.
»Los, mein Freund!« Kutscher stupste ihn über den Tisch hinweg an die Schulter. Der Ärmel des Jacketts stieß beinahe Wanks Kaffeetasse um. »Trink aus und begib dich zum Alten Theater! Heute Abend erstattest du Rapport. Und ich erzähle dir Neuigkeiten vom englischen Sport.«
Zwei
Freitag, 22. Mai 1903, abends
Es ist mir eine Freude, dass Sie die Zeit gefunden haben, Herr Wank!« Eleonore Rada schmeichelte Edgar Wank, als könne er für täglich volle Vorstellungen sorgen. Sie trug ein schlichtes schwarzes Tageskostüm. Der Rock lag eng an den Hüften und warf erst unterhalb der Knie Falten. Die Jacke wirkte an der Taille so schmal, dass Wank sich fragte, ob die Schauspielerin genug zu essen bekam. Ihr schwarzer Hut unterstrich die zarte Blässe ihres Gesichts.
Er verbeugte sich und deutete einen Handkuss an.
»Was halten Sie von einem kleinen Spaziergang? Vielleicht ein Abstecher ins Rosenthal? Ich habe über eine Stunde Zeit, bis ich in der Maske erwartet werde.«
»Aber gern.« Wank reichte der Dame seinen Arm, und sie schlenderten über den Theaterplatz. Wahrscheinlich sehen sie jetzt aus wie Verlobte, dachte er und verspürte einen eigentümlichen Stolz. Zwar war er weit davon entfernt, die Dame zu erobern, doch immerhin verbrachte sie Zeit mit ihm, und das in aller Öffentlichkeit. Es kam ihm vor, als halte er ein kostbares Buch in einer fremden Sprache in der Hand. Der Text blieb ihm verborgen, aber alle anderen mussten Wank für unglaublich belesen halten.
»Weilen Sie in dieser Welt, Herr Wank?«, fragte die Schauspielerin in neckischem Ton. »Ich dachte, Sie teilen Ihre Zeit mit mir.«
»Entschuldigen Sie bitte, meine Dame!« Wank spürte, wie sich Hitze auf seinem Gesicht ausbreitete. Vermutlich leuchtete sein Kopf wie eine Laterne.
Eleonore Rada bemerkte das offenbar, denn sie lächelte verschmitzt und zog ihn weiter.
Auf dem Schulplatz bahnten sie sich den Weg durch die Fuhrwerke und Droschken. Wank suchte nach einem Thema für die Konversation, doch ihm fiel keines ein. Eigentlich reichte es ihm, die Dame auszuführen – als schweigender Genießer.
In der Rosenthalgasse ließ der Lärm der Straße nach, und Eleonore Rada sagte: »Erzählen Sie mir doch etwas über die Bösewichter in der Stadt!«
Wank berichtete von den beiden Barbieren und ihrer tragischen Prügelei. Die Schauspielerin packte derweil seinen Arm fester, als suche sie Schutz. Am liebsten hätte er noch ein paar weitere Schauergeschichten erfunden. Doch so angenehm ihm ihre Nähe war, lügen wollte er nicht. Also verstummte er.
Sie überquerten die Zöllnerstraße, und für die nächsten Augenblicke erlöste der überwältigende Anblick der Natur ihn von der Pflicht, erneut über Verbrechen zu berichten. Die Abendsonne stand knapp über den Bäumen hinter der Großen Wiese. Im Teich ein paar Meter vor ihnen spiegelte sich das Rot des Himmels.
Arm in Arm betraten sie den Park. Nach ein paar Schritten fragte die Schauspielerin in ernstem Ton: »Sind all diese Verbrecher und ihre Gräueltaten das Richtige für Sie, Herr Wank?«
»Hm.« Diese Frage hatte er sich schon längere Zeit nicht mehr gestellt. »Ich habe eine feste Stelle und Freude bei meiner Arbeit.«
»Aber all diese schrecklichen Dinge!«
Für einen Moment war nur das Knirschen ihrer Schritte auf dem Weg zu hören.
»Sie haben doch eine sensible Seele, Sie sind doch ein Künstler!« Eleonore Rada klang, als beklage sie einen großen Verlust.
Wank hatte bei ihren bisherigen Begegnungen nicht den Eindruck gehabt, dass die Schauspielerin sich Gedanken über sein Seelenleben oder seine Talente machte. Auf den Feiern im Theater oder in Künstlersalons schäkerte sie mit jedem, besonders gern mit Kutscher. Wank hatte das Gefühl, die Frau habe ihn überhaupt erst nach dem dritten Blumenstrauß zur Kenntnis genommen.
»Das empfinden Sie so?« Wank blieb stehen und ließ ihren Arm los. »Ich denke, dass ich auch bei der Zeitung eine Aufgabe habe. In meinem Beruf geht es um Leben und Tod.«
»Bei der Kunst geht es auch immer um Leben und Tod. Was glauben Sie, wie oft ich schon auf der Bühne gestorben bin!«
Wank bezweifelte, dass sich ein Shakespeare und eine Prügelei unter Barbieren vergleichen ließen. Andererseits kannte er weder Täter noch Opfer seiner Artikel, beide blieben für ihn die anonymen Figuren eines Polizeiberichts. Was unterschied diese armen Würstchen von den Bösewichtern in einem Drama? Vermutlich steckte hinter ihrem Handeln kein Plan. Doch änderte das etwas für den Leser?
»So ein Zeitungsartikel ist doch nichts von Bestand. Ich bin sicher, Sie würden einen besseren Künstler abgeben als Ihr Freund Kutscher.«
»Auf Thomas lasse ich nichts kommen. Er wird seinen Weg finden.«
Eleonore Rada strahlte, als wolle sie die Sonne mit ihrer Anmut übertreffen. Sie hakte sich erneut bei ihm unter und führte ihn sanft in Richtung »Schweizerhäuschen«. »Ich wollte Ihren Freund nicht herabwürdigen, glauben Sie mir das bitte!«, sagte sie nach ein paar Metern. »Ich sehe doch nur, dass Sie jeden Tag Texte verfassen, während Herr Kutscher häufig nur darüber redet. Ich finde, es ist keine Schande, fleißig zu sein. Es ist nur schade, wenn jemand nicht tut, was er vielleicht könnte.« Erneut schmiegte sie sich enger an ihn.
Sollte er stehen bleiben und sie küssen? War es nicht schade, wenn jemand nicht tat, was er könnte? Oder missverstand er sie?
Sie löste sich von ihm und fragte: »Kommen Sie am Abend in die Vorstellung? Wir geben Zazà. Die Hauptrolle spielt Irene Triesch, sie gastiert derzeit bei uns. Sie ist meine Gegenspielerin. Ich würde mich sehr freuen.«
Wieder eine Gelegenheit verpasst, dachte Wank. »Leider habe ich bereits andere Pläne. Ich werde Zazà aber in den nächsten Tagen besuchen, ganz sicher.«
»Ach, das ist schade«, sagte Eleonore Rada keck. »Ich bekomme doch so gerne Blumen.«
Das ließe sich einrichten, dachte Wank.
Thomas Kutscher legte seine Kleidung auf einem Baumstumpf am Rande der Wiese ab. In den Sportsachen fühlte er sich beinahe nackt. Tatsächlich leuchteten seine Waden speckweiß unter den kurzen Hosenbeinen hervor. Zum Glück hatten die Studenten diese abgelegene Wiese in der Nähe der Nonne, inmitten des Auwaldes, für ihr Treffen ausgewählt. Für gewöhnlich ging die Mannschaft ihrem Sport am Sonntag nach, doch in dieser Woche wollten die meisten Spieler zum Renntag ins Scheibenholz, daher wurde das Fußballspiel auf den heutigen Nachmittag vorverlegt.
Kutscher machte ein paar Kniebeugen. Es konnte sicher nicht schaden, wenn er ordentlich auf die Übungen vorbereitet war. Nach drei Kniebeugen begann Kutscher zu schwitzen.