Mörderisches Spiel in Leipzig. Uwe Schimunek

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Mörderisches Spiel in Leipzig - Uwe Schimunek

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mit mir anzufangen.«

      »Haben Sie gezeichnet?«

      Das Fräulein senkte den Blick. »Nicht ein einziges Mal habe ich zu Stift oder Pinsel gegriffen.«

      »Es ist ein Jammer, Fräulein Rosalinde. Sie müssen wissen, dass ich Ihre Arbeiten stets mit großem Interesse betrachtet habe.« Gelsenrath tippte mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Zeichnen Sie wieder! Thoralf hätte das gewollt.« Er zögerte und fügte feierlich hinzu: »Tun Sie es für ihn.«

      Die junge Dame schaute auf. Ihre Augen waren so matt, als blicke sie durch einen Trauerflor. »Ach, mein lieber Herr Gelsenrath! Genau dort, wo Sie jetzt sitzen, saß früher mein Thoralf und hat mir oft Mut zugesprochen, mich der Kunst zu widmen. Ganz genauso wie Sie jetzt.«

      Er an Thoralfs Platz, das war eine schöne Vorstellung, fand Gelsenrath. Und das trauernde Fräulein war ganz von selbst auf die Idee gekommen. Darauf ließ sich aufbauen. Doch zunächst öffnete Mutter Fritzschmann die Tür zur Essküche. Sie erkundigte sich, ob bei den jungen Leuten alles in Ordnung sei. Dabei zeichnete sich in ihrem Gesicht jene Mischung aus Missmut und Neugier ab, die Menschen an den Tag legen, die das Schlimmste befürchten und sich ärgern, wenn es nicht eintritt.

      Fräulein Rosalinde erwiderte, dass alles zum Besten stünde. Gelsenrath lobte den Wohlgeschmack der Limonade und trank zur Bekräftigung des Gesagten einen Schluck.

      Die dicke Mutter stapfte in den Korridor zurück. Gelsenrath wunderte sich, wie sehr sich zwei Frauen aus gleichem Fleisch und Blut voneinander unterscheiden konnten – so, als seien ein Nilpferd und eine Taube miteinander verwandt. Immerhin war nun das Nilpferd weg und das Täubchen noch da. Gelsenrath merkte, wie ein Lächeln über sein Gesicht huschte.

      »Sie müssen meiner Mutter verzeihen!« Auch Fräulein Rosalinde klang fröhlich. »All meine Besuche beobachtet sie mit scharfen Augen. Auch wenn Thoralf hier saß, schaute sie alle paar Minuten nach dem Rechten.«

      »Vielleicht«, sagte Gelsenrath zögerlich, um den Eindruck zu erwecken, ihm käme der Gedanke erst während des Sprechens, »sollten Sie wieder öfters das Haus verlassen.«

      »Meinen Sie?«

      »Ich denke, es wäre ganz in Thoralfs Sinne. Sie verlieren ihn ja nicht aus dem Herzen, wenn Sie anderen Menschen begegnen, die auch um Thoralf trauern.«

      Fräulein Rosalinde entgegnete nichts, doch nach ein paar Augenblicken nickte sie beinahe unmerklich mit dem Kopf.

      Gelsenrath bemühte sich nach Kräften, die ernste Miene beizubehalten. Am liebsten wäre er vor Freude durch die Essküche gesprungen. Fräulein Rosalinde würde wieder ausgehen – und wenn er sich nicht zu dumm anstellte, mit ihm.

      »Sie sind so gut zu mir, Herr Gelsenrath.« Fräulein Rosalinde blinzelte. Der Trauerschleier war verschwunden. »Wenn Sie am Wochenende Zeit haben, finden Sie mich im Garten meiner Eltern in der Sparte vor den Bahnanlagen.«

      Der Ober stellte zwei Krüge Münchner Löwenbräu auf den Tisch. Wegen dieses Bieres hatte Thomas Kutscher auf dem Treffen im »Bavaria« in der Nikolaistraße 2 bestanden. Edgar Wank trank das bayerische Gebräu ebenfalls gern und mochte die Kneipe, auch wenn er sich etwas müde fühlte, ihm deshalb der Lärm auf die Nerven ging und er schon wieder über zwanzig Minuten auf den Freund gewartet hatte. Dieses Mal hatte ihn Letzteres weniger gestört, denn es galt, die Zeit bis zum Ende der Vorstellung im Alten Theater herumzubringen.

      »Erzähl, Edgar, kannst du Erfolge bei der holden Frau Rada verzeichnen?« Kutscher hob seinen Krug. »Prost!«

      Wank nahm einen kräftigen Zug Bier. Der bittere Geschmack belebte ihn augenblicklich. Was für ein Zaubertrank! »Ich werde Fräulein Rada heute Abend Blumen überreichen. In den nächsten Tagen schaue ich mir noch einmal Zazà an.«

      Kutscher lachte. »Du bist ja ein richtiger Draufgänger!«

      »Eile mit Weile. Ich kann sie schließlich zu nichts zwingen.«

      »Nein, aber du kannst es vertrödeln.«

      Übers Trödeln redet der Richtige, dachte Wank. Er trank noch einen Schluck Bier, um etwas Zeit für einen Themenwechsel zu gewinnen. Kutscher tat es ihm gleich und stemmte eben seinen Krug in die Höhe.

      »Jetzt bist du aber dran«, sagte Wank und stellte seinen Humpen ab. »Heraus mit der Sprache! Was gibt es für Sensationen zu berichten?«

      »Ich dachte schon, du fragst nie.« Kutscher bekam einen lauernden Blick – wie ein Jäger, der auf dem Hochstand die Flinte anlegt.

      »Jetzt rede!«

      »Du wirst es nicht glauben.«

      »Doch!« Der Kerl machte Wank verrückt.

      »Ich schließe mich einem Fußballverein an.«

      »Was tust du?« Wank lachte.

      »Ich habe heute mit den Kameraden trainiert und bin ihrem Fußballverein beigetreten. Wir beteiligen uns alsbald am ordentlichen Spielbetrieb.«

      »Ordentlicher Spielbetrieb? Mit einem Verein? Thomas, glaubst du, das ist etwas für dich?« Wank bemühte sich, nicht vor Lachen vom Stuhl zu kippen. »Wahrscheinlich habt ihr euch vorhin im Park getroffen, und alle außer dir waren Studenten.«

      Kutschers Miene wurde grimmig – dem Jäger war das Wild wohl entkommen. »Diese Studenten betreiben ihren Sport ernsthaft, Edgar! So auch ich!«

      »Das ist doch diese Fußlümmelei, bei der Männer in kurzen Hosen einem Ball hinterherrennen und sich in einem fort englische Wörter zurufen. Thomas, das kann doch nicht dein Ernst sein! Du bist 24 Jahre alt, fängst lauter Dinge an und bringst nichts zu Ende.« Wank kam sich vor, als rede er wie sein Großvater.

      Kutscher ging indes nicht auf die Kritik ein, sondern erwiderte: »Wir schießen ins Goal, wenn unsere Backs die Stürmer nicht daran hindern. Das Spiel teilt sich in zwei Halfs. So heißt das eben beim englischen Sport. Wir laufen dem Ball außerdem nicht nur hinterher, wir kicken ihn uns zu. Wir nennen das Pass.«

      »Pass. Wie im Gebirge?«

      Kutscher nickte.

      »Und müsst ihr auch bergauf rennen?« Wank lachte selbst über seinen Witz.

      »Mach dich nur lustig, mein Freund! Du wirst sehen, wie der englische Sport in der Stadt an Ansehen gewinnt, wenn der Verein für Bewegungsspiele Deutscher Meister wird.« Kutscher stemmte seinen Krug in die Höhe wie eine Trophäe.

      »Im Fußball? Oder im Streichholzwerfen oder Murmeln?«

      »Der VfB fährt am nächsten Wochenende zum Endspiel nach Altona.« Kutscher setzte den Krug an und trank, als begieße er schon den Sieg. »Die Mannschaft spielt gegen den Deutschen Fußballklub aus Prag. Im dortigen Tagblatt wird über den Fußballsport schon eifrig berichtet.«

      »In der Zeitung?«, staunte Wank und merkte, wie ihm das Lachen im Hals steckenblieb.

      »Ja.« Kutscher kostete seinen Triumph aus, indem er erneut den Krug in die Höhe hielt.

      »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Schliemeyer auch nur ein Wort über deinen englischen Sport verliert. Für ihn gibt es nur Pferderennen,

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