Mörderisches Spiel in Leipzig. Uwe Schimunek
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Читать онлайн книгу Mörderisches Spiel in Leipzig - Uwe Schimunek страница 8
»Diese alten Säcke, sollen sie doch zum Pferderennen gehen!«
Wank winkte dem Ober, lachte und rief: »Wir brauchen dringend kaltes Bier, damit mein Hitzkopf von Freund sich wieder beruhigt!«
Der Ober guckte, als überlege er, den seltsamen Freund samt Wank des Lokals zu verweisen, sagte aber: »Sehr wohl, mein Herr.«
»Du glaubst wohl, ein weiterer Humpen ändert meine Meinung? Was auch immer die Alten tun, sie werden das Neue nicht aufhalten. Das sage ich dir, mein Freund.«
Wank schob den leeren Krug an den Rand des Tisches und versuchte, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. »Thomas, es handelt sich lediglich um ein Spiel im Park.«
Der Ober brachte das neue Bier und zog zwei Striche auf dem Zettel.
»Auf das Neue!« Kutscher hob seinen Humpen.
»Auf die Weitsicht, das Wesentliche zu erkennen!«
Sie stießen an und tranken.
»Vielleicht«, sagte Kutscher, »schreibt nicht der Sportredakteur über den Verein für Bewegungsspiele, sondern du.«
»Ist das Betreiben des Fußballsports neuerdings ein Verbrechen?« Wank merkte, wie seine Worte ein wenig zu höhnisch klangen. Denn Kutscher meinte es offenbar ernst.
»Nein, gegen den Ball zu treten ist erlaubt. Ich meine natürlich den mysteriösen Todesfall.«
Wank fragte nicht nach. Ihm fielen zwar eine Reihe spöttischer Bemerkungen ein, etwa über die Gefahr, die mit jeglicher Bewegung einherging. Doch der Freund hatte diese feierliche Miene aufgesetzt, die Menschen zeigen, wenn sie ein Geheimnis verraten wollen.
»Ich habe die Kameraden befragt. Sie sind allesamt höchst verwundert über den Tod des VfB-Spielführers. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr!«
Da hatte Kutscher recht. Doch Wank tat dem Freund nicht den Gefallen, ihn zu drängeln.
»Der Mannschaftsführer erschien einfach nicht zum Training und wurde schließlich tot aufgefunden. Und das alles kurz vor den Finalspielen!« Kutscher lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
Wank überdachte die Nachricht kurz und erwiderte: »Es kommt vor, dass Menschen sterben. Bedauerlicherweise trifft es bisweilen auch junge Leute.«
»Überleg mal, Edgar! Das war nicht irgendein junger Mann. Es handelt sich um einen Sportler in voller Manneskraft. Seine Kameraden haben zu ihm aufgesehen, und auch seine Gegner sprachen von seiner Ausdauer stets voller Bewunderung.« Kutscher hob den Finger wie ein Lehrer. »An dieser Sache ist etwas faul, mein Freund. Das sage ich dir.«
Vielleicht sollte er dem Fall tatsächlich nachgehen, überlegte Wank.
Drei
Sonnabend, 23. Mai 1903, morgens
Willibald Gelsenrath breitete die Pläne für das Haus in der Reitzenhainer Straße auf dem Zeichentisch aus. Paul Möbius weilte bereits ebenfalls im Büro in der Frankfurter Straße. Gelsenrath schätzte die Expertise des großen Architekten, zugleich flößte ihm dessen Strenge aber Respekt ein. Also überließ er nichts dem Zufall.
Mit einem Bleistift markierte Gelsenrath auf dem Plan die Stellen, an denen die Handwerker gerade den Innenausbau erledigten. Derzeit brachten die Stuckateure die Verzierungen an die Zimmerdecken an. Insbesondere die Rosetten gerieten prächtig. Wenn Gelsenrath über genug Berufserfahrung für die Eröffnung eines eigenen Architekturbüros verfügte, würde er sparen, um sich selbst eine solche Wohnung zu leisten. Dort ließe es sich prächtig mit einer Familie leben – etwa mit Fräulein Rosalinde und später einer ganzen Kinderschar.
Gelsenrath stellte sich vor, wie er nach getaner Arbeit, wenn die Sprösslinge in ihren Bettchen ruhten, mit Rosalinde in der Loggia bei einem Glas Rotwein saß und über Kunst philosophierte. Sicher käme seine Frau dazu, sich neben den häuslichen Pflichten ab und an dem Zeichnen zu widmen. Ihre Werke würde er in seinem Büro ausstellen und die Kundschaft beeindrucken. Dafür lohnte es sich schon jetzt, bei seiner ersten Anstellung, ein höchstes Maß an Pflichtbewusstsein an den Tag zu legen.
Möbius riss ihn aus seinen Träumen. Der Architekt stapfte schweren Schrittes an den Tisch und brummte unter seinem gezwirbelten Schnurrbart hervor: »Ich sehe, Sie sind vorbereitet, Herr Gelsenrath. Bringen Sie mich auf den neuesten Stand!«
»Sie sehen hier die einzelnen Etagen. Die Stuckateure sind im ersten Obergeschoss am Werke. Der Zimmermann arbeitet im Treppenhaus.«
Möbius beugte sich über den Tisch, setzte den Kneifer auf seine Nase und fuhr mit dem Finger über die Zeichnung. Ohne aufzuschauen, fragte er: »Sie haben den Zeitplan im Blick, junger Mann?«
»Ich denke, die Stuckateure werden pünktlich fertig sein. Gleich am Montag werde ich den Fortgang der Arbeiten wieder überprüfen. Mit dem Fahrrad bin ich ja schnell dort.«
»Sie mit Ihrem Fahrrad!« Möbius rückte den Zwicker auf der Nase zurecht. »Sie müssen Obacht geben, dass die Handwerker Sie nicht für einen Studenten halten und es an Respekt mangeln lassen.«
Der Herr hat Sorgen, dachte Gelsenrath, aber er nickte beflissen.
»Die jungen Leute denken immer, sie müssten alles ganz anders machen.« Möbius strich mit der Hand durch seinen Bart und guckte wie ein strenger Lehrer. »Doch Sie müssen bedenken, dass die Zeit ohnehin nicht stillsteht. Und häufig sind es die Menschen mit einem großen Maß an Wissen und Lebenserfahrung, die Neues erschaffen.«
Gelsenrath dachte an die Häuser, die Möbius baute. Mit ihrer Pracht prägten sie nicht selten das Bild einer ganzen Straße. Dennoch fehlte ihnen der Pomp älterer Bauwerke. Möbius baute mit Stil, ohne falsche Bescheidenheit, aber mit sicherem Geschmack – und das überall in der Stadt. Nun ging Möbius sicher auf die vierzig zu und machte mit seinen unübersehbaren Geheimratsecken alles andere als einen jugendlichen Eindruck. Doch der Mann veränderte das Stadtbild mehr als die Studenten mit ihrer modischen Kleidung.
»Es ist natürlich für mein Büro von großem Vorteil, dass Sie mit Ihrem Fahrrad in Minutenschnelle an die Baustelle gelangen, ohne weitere Kosten zu verursachen«, fügte Möbius hinzu. Er klang dabei wie ein Jockey, der einem Gaul nach einer schwierigen Übung ein Zuckerstück reichte. »Lassen Sie es die Handwerker einfach nicht bemerken!«
»Sehr wohl, Herr Möbius.«
Möbius strich sich erneut durch den Schnurrbart und wandte sich zum Gehen. Nach ein paar Schritten blieb er an der Tür stehen und wies auf den Zeichentisch. »Sie haben einen feinen Strich, möchte ich noch anmerken. Wie mir scheint, sind Sie nicht nur den Leibesübungen zugetan, sondern auch den schönen Künsten. Ist es an dem, Herr Gelsenrath?«
»In der Tat verkehre ich mit einigen jungen Malern und besuche regelmäßig die Galerien der Stadt.«
Möbius wiegte den Kopf, als suche er nach den rechten Worten. Für einen Augenblick blieb die Zeit stehen. Gelsenrath traute sich kaum noch zu atmen.
»Es ist Folgendes, Herr Gelsenrath.« Möbius sprach die Worte so langsam aus, dass seine Stimme noch tiefer klang. »Die Familie Kronenbaum lädt am Abend in den Salon. Der Herr des Hauses trat an mich mit dem Ansinnen heran, ihm neue Gäste zu empfehlen.«
Gelsenrath