Mörderisches Spiel in Leipzig. Uwe Schimunek
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Читать онлайн книгу Mörderisches Spiel in Leipzig - Uwe Schimunek страница 6
Ein wenig wunderte sich Kutscher über sich selbst, normalerweise kam er als Letzter. Doch nach der Turmuhr, die er auf dem Weg hierher passiert hatte, blieb noch reichlich Zeit bis zum vereinbarten Treffen. Dabei erschien es ihm durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Herren Studenten das akademische Viertel verstreichen ließen, bevor sie im Park erschienen. Leider trug er keine Uhr bei sich, um die Zeit zu überprüfen.
Doch das musste er nicht mehr, denn plötzlich hörte er aus Richtung der Stadt Fahrräder nahen. Die Fahrer unterhielten sich lautstark. Sie waren zwischen den Bäumen nur zu erahnen, den Stimmen nach mussten es fünf, sechs oder mehr sein.
Als die Gruppe die Lichtung erreichte, zählte Kutscher nicht weniger als neun. Die jungen Herren trugen leichte Jacken und darunter bereits ihre Sportbekleidung. Sie lehnten ihre Fahrräder an die Bäume und eilten auf ihn zu. Er kannte nur den hochgewachsenen Blondschopf in der Mitte, der einen grauen Ball in der Hand trug. Der Student hieß Anton Rübele, stammte aus dem Badischen und hospitierte gerade am Alten Theater.
»Desch isch der neue Sportfroind«, sagte Rübele im Dialekt seiner Heimat zu den Kameraden und wandte sich Kutscher zu. »In der Monnschoft pflegen wir de Du, wenns rescht isch.« Er streckte seine Hand aus. »Anton – oder Tony.«
Die anderen Studenten riefen ihre Namen, zu schnell, als dass Kutscher sie sich hätte merken können. Ein Johann oder Johnny war dabei, ein Harald beziehungsweise Harry, ein Gerhard oder Gerry …
»Thomas«, entgegnete Kutscher und zögerte kurz. Wenn er schon einen englischen Sport betrieb, dann richtig. »Gern auch Tommy.«
Rübele rief ein paar knappe Anweisungen, und die Studenten stoben auseinander. Dann warf der Wortführer Kutscher den Ball zu. Der versuchte ihn zu fangen, das gelang ihm aber nicht. Die Kugel prallte von seiner Hand ab und hüpfte über die Wiese.
»Der ist viel leichter, als ich gedacht habe«, sagte Kutscher.
»Da gewönschte disch schnell dran, Tommy.« Rübele lachte.
An den beiden Längsenden der Wiese markierten Studenten mit ihren Jacken die Tore. Ein Kamerad kickte den Ball zu Rübele. Der stoppte die Kugel mit dem Fuß.
»Mit dir wäre mer schon zehn Sportfroinde. Nun noch ei Mann, und ab Herbscht könnte es rischtisch loschgehe.« Mit der Innenseite des Fußes schob Rübele den Ball zu Kutscher.
Die Kugel holperte über einen Grashügel. Kutscher hob den rechten Fuß an, und es gelang ihm, das Leder mit dem Fuß an den Boden zu bringen. Der Ball sprang nur ein paar Fußbreit zurück und blieb liegen. So schwer war das also gar nicht.
Rübele nickte anerkennend. Der Blonde trat ein paar Schritte zurück und rief Kutscher zu: »Spiel! Mit da Innenseite vonsch de Fuß!«
Kutscher guckte den Blondschopf an. Der schien nicht zu scherzen, vielmehr stand der lange Kerl mit angewinkeltem Bein da und klopfte mit dem Finger auf den Spann. Also gut, Kutscher kam sich zwar ein bisschen vor, als watschele er wie eine Ente, doch er trat mit dem linken Bein einen Schritt vor und stupste die Kugel dann wie verlangt zu Rübele. Erstaunlicherweise rollte der Ball tatsächlich in dessen Richtung.
»Haschte gut gemacht!« Rübele dribbelte den Ball noch ein paar Meter weiter und kickte ihn mit viel Kraft zu Kutscher.
Kutscher stoppte und spielte zurück. Dieses Spiel wiederholten sie noch ein paar Mal. Rübele entfernte sich dabei immer weiter. Kutscher fiel das Spiel mit dem Ball immer leichter.
»So wie du desch machst, wern mer noch die Spieler von Britannia und de VfB schlagen«, rief Rübele begeistert.
Als der Blondschopf mindestens zehn, zwölf Meter entfernt war, legte er den Ball mit der Hand zurecht. Rübele nahm Anlauf und trat mit dem Spann gegen den Ball. Die Kugel flog unerwartet schnell. Das Leder setzte kurz vor Kutscher auf und sprang ihm dann mit voller Wucht gegen den Oberschenkel.
»Au, verdammt!« Kutscher griff an sein Bein. Es schmerzte wie nach einem Peitschenhieb.
Rübele eilte herbei und rief: »Bischt du verletzt?«
»Nein«, stöhnte Kutscher. Während der Schmerz nachließ, hörte er einige der Studenten kichern. »Es wird schon gehen.«
Rübele hob die Hand, und die anderen verstummten und trotteten herbei. Der Blondschopf ließ einen Moment der Ruhe verstreichen und erklärte dann mit der Stimme eines Festredners: »Gentlemen, lascht unsch den englischen Sport beginnen. Wir werden einen fairen Wettkampf auschtragen und Mitspielern wie den Gegenspielern högschten Reschpekt entgegenbringe.« In weniger offiziellem Ton teilte Rübele die Mannschaften ein. Zu Kutscher sagte er: »Du gescht am beschten erscht mal ins Tor. Schau dir an, wie die anderen spielen. Und lasch dir von Johnny die Handschuh geben.«
Noch vor wenigen Minuten hätte Kutscher sich nicht vorstellen können, dass er je Handschuhe zu kurzen Hosen tragen würde, noch dazu gerade von einem Fremden getragene. Doch der rote Fleck auf seinem Oberschenkel, dessen Farbe bestimmt bald ins tiefste Blau wechseln würde, ließ jeden Widerspruch ersterben. Hauptsache, er blieb unverletzt, damit er die Kameraden später nach dem toten Fußballer befragten konnte.
»Ist Ihre Tochter zu sprechen, Frau Fritzschmann?« Willibald Gelsenrath verbeugte sich und nahm dabei die Melone mit Schwung vom Kopf.
Rosalindes Mutter füllte in ihrem hochgeschlossenen Kleid den Rahmen der Wohnungstür beinahe aus. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete: »Ich werde sehen, ob die junge Dame in der Verfassung ist, Herrenbesuch zu empfangen.«
»Lassen Sie den Herrn doch bitte herein, Frau Mama!«, bat Fräulein Rosalinde aus dem Korridor. »Ich werde ihm in der Essküche eine Limonade bereiten.«
Die Mutter stapfte beiseite, gab den Eingang frei und wies, ohne ein Wort zu sagen, auf den Kleiderständer. Das mannshohe Biedermeier-Möbelstück war überladen mit Verzierungen. Lediglich an einem Haken hing ein Gehrock. Darüber ragten geschwungene Stäbe aus der Konstruktion. Gelsenrath stülpte die Melone über das Holz.
Frau Fritzschmann trottete in die gute Stube, sodass Gelsenrath mit Fräulein Rosalinde allein im Korridor stand. Die junge Dame trug auch noch zwei Monate nach dem Tod ihres Verlobten Schwarz. Ihr Kleid war derart schlicht, dass ihr Gesicht wie ein Schmuckstück wirkte. Sie hatte ihr aschblondes Haar am Hinterkopf zu einem Dutt gebunden. Nachdem ihre Mutter die Tür hinter sich geschlossen hatte, seufzte das Fräulein und schritt in die Essküche.
Um den runden Tisch standen sechs Stühle. Gelsenrath wusste, dass Rosalinde ältere Brüder hatte, die bereits in eigenen Haushalten wohnten. Auf ihr Zeichen setzte er sich und beobachtete die junge Dame, wie sie Zitronen und weiteres Obst aus einer Schale nahm und sich der Limonade widmete. In den letzten Wochen hatte sie ihre Haltung wiedergefunden, keine Spur mehr von den hängenden Schultern. Sie war freilich noch schmaler geworden als vor Schöpfs unerwartetem Ableben, das verlieh ihren anmutigen Bewegungen etwas Zerbrechliches.
Fräulein Rosalinde stellte den Becher mit der Limonade vor Gelsenrath ab, setzte sich und blickte ihn an, als erwarte sie dringende Neuigkeiten aus der Welt.
»Es ist sehr freundlich, dass Sie mich empfangen«, sagte Gelsenrath eine Spur zu hektisch, wie er selbst feststellte. »Ich möchte Sie noch einmal meiner vollen Unterstützung in dieser schweren Zeit versichern.«
»Dafür danke ich Ihnen ganz herzlich. Wie Sie sich vorstellen