Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich

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singt leise, Frau Katja, sie sieht die Sterne und weites Land und will eine große Reise tun.«

      Frau Katjas Augen hatten sich erschreckt geweitet. »Bitte … was sagen Sie …«

      »Nichts, wovor Sie sich zu fürchten brauchen, Frau Katja. Wollen Sie so freundlich sein und mir Herrn Musa herausrufen, damit ich mit ihm sprechen kann.«

      »Ich werde es tun.«

      Wichmann wartete auf dem Vorplatz. Er sah die Mäntel übereinanderliegen auf dem Tuch, das Anuschka noch ausgebreitet hatte.

      Marions Mantel lag oben. Als die Zimmertür auf- und zuging, drangen Stimmen in den Korridor heraus. Die Luft war dick geworden von Zigarettenrauch. Eine weiße Hand, die aus dem zierlichen, kunstvoll gestickten Bündchen des schwarzen Ärmels kam, hielt die Teetasse. Katja schien zu sprechen. Die Hand zitterte ein wenig und fing sich wieder.

      Herr Musa kam allein heraus.

      »Sie wünschten mich unter vier Augen zu sprechen, Herr Wichmann?«

      »Was ich zu sagen habe; ist ebenso einfach wie seltsam. Frau Anuschka will auf ein Schiff gehen und fortfahren. Sie bittet um ihre Kleider und ihre Papiere.«

      Hinter den Brillengläsern mit den dunklen Rädern hoben sich die Augenlider.

      »Sie fahren mit ihr, Herr Wichmann?«

      »Nein, Herr Musa. Ich bleibe hier und bin nichts als Frau Anuschkas Bote. Sie geht – in Liebe zu Ihnen.«

      Musas Hände zuckten nervös.

      »Warum ist Anuschka nicht selbst zu mir gekommen?«

      »Ich weiß es nicht, Herr Musa. Sie sitzt auf der Bank am Ufer, unter der Kastanie, und wartet. Sie glaubt, daß Sie frei sein wollen, und geht – aber wenn Sie sie noch lieben und brauchen, so holen Sie Anuschka zurück. Sie liebt Sie immer.«

      Musa ging auf der gestrichenen Diele auf und ab. »Ihre Botschaft ist wirklich seltsam, Herr Wichmann. Wenn ich ein bürgerlicher Mann wäre …«

      »Seien Sie in diesem Augenblick nichts als ein Mensch, Herr Musa, wie Anuschka auch. Weder bürgerlich noch …« – Wichmann sah mit schmerzlichem Spott auf die guten Bügelfalten und dachte an die amerikanischen Zigaretten –››noch proletarisch.«

      Musa war stehengeblieben. Er stand vor dem Haufen der Mäntel, die auf dem Boden lagen, und vielleicht sah er Marions schwarzseidenen Mantel mit Bewußtsein. Kannte er ihn? Er wandte sich brüsk um. »Einen Augenblick bitte, Herr Wichmann. Meine Lebensauffassung erlaubt nicht, irgend jemanden in Fesseln zu legen – ich gebe Anuschka frei – sagen Sie ihr das – warten Sie nur kurze Zeit. Sie werden ihre Kleider und ihre Papiere bekommen.«

      »Es ist viel, worauf Sie verzichten, Herr Musa.«

      »Darüber bedarf ich nicht Ihrer Belehrung. Eben weil ich Anuschka kenne – weiß ich, daß ein Zugvogel im Käfig sterben müßte. Er ist schön und froh, wenn er frei in der Luft ist.«

      Wichmann antwortete nichts mehr. Er sah dem Hausherrn zu, der eine Leiter aus dem Toilette- und Badezimmer herbeischleifte und sie aufstellte, um zu dem Hängeboden im hinteren Teil des Vorplatzes hinaufzusteigen. Mit einem alten, staubigen Koffer kam er zurück. Er machte ihn auf, betrachtete sein verschrundenes Inneres und ließ ihn offenstehen, um in das Zimmer zu entschwinden. Was würden die Gäste sagen? Vielleicht waren sie snobistisch genug, die eleganten Theoretiker, um ihr Vergnügen an der kleinen Sensation zu haben.

      Musa kehrte aus dem Zimmer in Begleitung Katjas zurück. Er brachte drei Kleider, zwei Paar Strümpfe mit Löchern, ein Paar Schuhe und ein leichtes Mäntelchen, noch eine Decke dazu, in der vielleicht Wäsche steckte. Katja räumte die Sachen in den Koffer. Es war merkwürdig anzusehen, wie diese rundliche Frau in Tüll und Spitze Anuschkas ärmliche Sachen packte. Der Koffer wurde kaum voll. Wichmann stand bei Musa und studierte die Papiere. Anna …, geb. 19o6 …« Es folgte der Name einer Stadt, den Wichmann sich nicht zu merken vermochte. Er steckte die Papiere zu sich, und auf einmal sah er, wie völlig hilflos Musas Augen waren, wenn er die Brille abnahm.

      Katja hatte den Koffer geschlossen.

      Musa putzte seine Brille.

      »Ich kann Ihnen das eigentlich nicht zumuten, Herr Wichmann.«

      »Wollen Sie nicht selbst zu Anuschka gehen?«

      Musa ließ einen Augenblick die Hände sinken, dann setzte er die Brille wieder auf. »Nein. Es soll alles sein, wie es Anuschkas Wunsch war. Sagen Sie ihr, daß ich sie geliebt – habe.«

      »Perfektum, Herr Musa?«

      »Perfektum.«

      Wichmann nahm den alten Koffer, er war leicht.

      »Adieu, Herr Musa, Sie erlauben, daß ich mich schon ganz verabschiede.«

      Frau Katja kam mit, als Wichmann den Koffer hinuntertrug. Ihre kleinen Füße in den Schuhen mit feinen und hohen Hacken wirkten wie die einer Chinesin. Der Rist trat breit hervor, und die winzigen Zehen waren abgeknickt. Sie trippelte; die Muskeln ihrer geschwungenen Waden waren gespannt. Aber die Mienen des nicht mehr jungen Gesichtes bewegten sich weich und leicht wie die molligen Hände. Wichmann ging mit ihr an dem Buick vorbei durch den Laternenschein, und der Chauffeur hob den Blick über die Abendzeitung und schaute den beiden nach.

      Der Mond war gestiegen und spiegelte sich in dem schmutzigen Wasser.

      »Sehen Sie, Sterne, Wichmann, viele, viele, viele. Einer ist Anuschkas. Anuschka ist bessere Seele als wir alle, wissen Sie?«

      »Ich habe es erfahren.«

      »Warum wird Anuschka gehen?«

      »Weil ihr Stern es will. Glauben Sie das?«

      »Glauben – aber ich bin sehr betrübt.«

      Die Kastanie streckte ihre breiten Zweige über das Ufer zum Wasser, und Wichmann entsetzte sich vor dem Gedanken, daß die Bank leer geworden sein könne.

      Aber Anuschka hatte gewartet.

      Als sie Katja erkannte, ließ sie sich umarmen, die beiden Frauen herzten und küßten sich, und Katja weinte.

      Dann gingen alle drei zusammen am Ufer entlang zum Hafen.

      »Wir haben Angst um dich, Anuschka.«

      »Warum denn Angst haben, Katja? Ich kann arbeiten.«

      Wichmann hängte Anuschka den dünnen Mantel über die Schultern, sie band ein Tuch um den Kopf und schritt mit großen Schritten aus. Katja hatte ihren Arm gefaßt und trippelte mit. Die Masten im Hafen sahen immer noch schwarz und leise schwankend in den Sternenhimmel, und die dicken Kähne schliefen in dem Mondwasser und träumten von der Fahrt. Das eine Licht brannte noch.

      »Jetzt will ich allein gehen«, sagte Anuschka, »und ich danke euch für alle eure Liebe, Katja und Osa.«

      Sie küßte Katja, und dann gab sie ihren Mund Osa. Der Mund Anuschkas war breit und schmallippig, er war nicht schön. Der junge Mann küßte ihn anders, als er je eine Frau geküßt hatte.

      »Du

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