Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Bei der Mittagsrunde in der »Stillen Klause« schlug der Assessor das Urlaubsthema an.
»Was machen denn unsre hohen Chefs in den Ferien?« wollte die Bibliothekarin wissen.
»Ha, die lieben sich gegenseitig so arg, daß sie sich gar nicht recht trennen können – jeder meint, er dürfe den andern net allein lassen. Der Boschhofer ischt so besorgt um das Wohlergehen der Abteilung, daß er sich überhaupt noch kein Urlaub ang’setzt hat, und der Nischan nimmt immer bloß acht Tage hintereinander. Der Grevenhagen geht scheint’s Anfang Auguscht, wenn du wieder da bischt, Wichmann. Mehr als drei Wochen bleibt er jetzt net weg, kalkulier’ ich, damit’s ihm im Winter nachher noch zum Skifahre langt.«
Die folgenden Tage vergingen im Flug, und der Morgen kam, an dem Oskar Wichmann im Touristenanzug Dienst tun wollte, um den Mittagszug vom Büro aus zu erreichen. Der kleine Handkoffer war gepackt und verschlossen, der Rucksack lehnte dick beleibt daneben, und der erwartungsfreudige Urlauber verzehrte Ei und Schinkenbrot. Da klingelte es, und Martha brachte die eingelaufene Post. Das treue Tanzstundenfräulein hatte wieder einmal einen dicken hellblauen Brief geschickt, den man auch in der Bahn lesen konnte. Daneben lag auf dem Tablett ein weißes Herrenkuvert. An die Schrift vermochte sich Wichmann nicht zu erinnern. Der Stempel verriet, daß das Schreiben aus seiner Heimatstadt kam. Wichmann aß sein Ei fertig, schaute auf die Uhr – es war noch Zeit –, dann öffnete er und las. »Lieber Herr Oskar!«
Na, wer …? Wichmann drehte den festen Bogen um, um nach der Unterschrift zu sehen: Gottfried Helmbrecht.
Ach, das Diadem! Ob ein reicher Onkel aus Amerika aufgetaucht war?
»Lieber Herr Oskar!
Vor zwei Tagen erhielt ich den überraschenden Besuch einer Frau Marion Grevenhagen, die sich als Gattin des Ministerialdirigenten Grevenhagen auswies. Ich erinnerte mich, daß Sie diesen Herrn als Ihren Vorgesetzten erwähnt hatten.«
Da soll doch der Donner dreinschlagen. Reist das Frauenzimmer hinterher und enthüllt sich …
»Frau Grevenhagen vermochte mir ihr Anliegen als sehr dringend darzustellen, und da ich annahm, Ihnen persönlich durch Entgegenkommen einen Gefallen zu tun, habe ich mich entschlossen, der Dame gegen die Hinterlegung des Schmuckgegenstandes fünfzehntausend Mark auf zwei Monate zinslos zu leihen …«
Zinslos zu leihen … Wichmann ließ den Brief auf den Tisch sinken.
Lieber Helmbrecht, auch du, mein Sohn Brutus – auf deine alten Tage – und du denkst vielleicht, der Wichmann hat Geld und wird einspringen, aus Anstand, wenn die Sache schiefgeht – nein, mein guter Onkel, der Herr Oskar hat auch kein Geld mehr. – Aber die Person war ja wirklich erfolgreich mit ihrer Pumperei.
Fünfzehntausend Mark waren mehr als das Doppelte von dem, was Helmbrecht für das Stück hatte anlegen wollen, wenn er nicht einen Liebhaber dafür fand. Alle Achtung, Marion, du verstehst das Kreditgeschäft. Betreibst du das vielleicht überhaupt im großen, einmal Geliebte? Wichmann konnte sich eines plötzlich aufsteigenden Verdachts nicht erwehren. Was sollte er Helmbrecht schreiben? Sich bedanken für das Entgegenkommen, als ob ihm damit ein Gefallen geschehen sei? Oder sagen: Mein Bester, ich fürchte, du hast eine Dummheit gemacht? Widerliche Angelegenheit, ausgerechnet zum Urlaubsantritt. Man sollte doch die Hände von den Weibern lassen. »Auf dem Weg zu des Teufels Haus haben die Frauen tausend Schritte voraus« – so oder ähnlich sangen ja wohl die Hexlein am Blocksberg.
War dieses Weib doch imstande gewesen – und berief sich auch noch auf die amtliche Eigenschaft ihres Gatten und, weiß der Teufel, auf Wichmann. Es wurde immer besser. Herr Bankdirektor Schomburg schien ihr hart auf den Fersen zu sein. Hoffentlich war er der einzige ungeduldige Gläubiger.
Es tat Wichmann wohl, in so zornigen und groben Ausdrücken über Marion Grevenhagen und auch über den feinen alten Gottfried Helmbrecht zu denken. Er spürte auf einmal den Faden, durch den er immer noch mit der gestorben und begraben geglaubten Liebe verbunden war. Er erschrak wie ein Mann, dem der Geist eines Totgeglaubten wiedererscheint. Er hatte dieses Diadem absichtlich aus seinem Bewußtsein gestrichen gehabt. Nun war es wieder da. Scher dich doch fort … Nein, es blieb. Die Frau Geheimrat hatte einmal erzählt, daß die Japaner ihre Toten auf Umwegen zum Grabe bringen, damit der Geist nicht zurückfinde, und daß sie bei den Gräbern Trauerweiden pflanzen, in denen die Totengeister gerne weilen und die sie davon abhalten, ihre alte Wohnung aufzusuchen. Oskar Wichmann hätte auch eine solche Trauerweide für die Erinnerung an Marion und ihre Geldgeschäfte pflanzen sollen. –
Drüben fuhr das Kabriolett schon ab.
Der Assessor steckte Helmbrechts Schreiben in die Brieftasche und begab sich auf den Weg zum Dienst. Morgen war er hoch oben auf einer Hütte. Von dort konnte er erst einmal kurz, vorläufig, unverbindlich antworten. Hätte er doch Helmbrecht nie in die Sache hineingezogen! Und nie Marion gesagt, daß sie sich unmittelbar mit ihm in Verbindung setzen könne. Lieber Gott, schicke doch dem alten Esel einen recht verrückten Amerikaner, der wenigstens zwanzigtausend Mark bar hinlegt!
Als mittags der Zug ratterte und die Sonne schien, zeigte sich die Relativität von Stimmungen. Wichmanns Hoffnungen auf einen unerwartet guten Ausgang der Angelegenheit schwollen auf einmal an. Zwei Tage später, auf dem ersten Gipfel, versank die unangenehme Erinnerung schon unter den tiefen Talnebeln, und er war zufrieden mit sich, daß er am ersten Abend Helmbrecht mit einigen Zeilen gedankt hatte.
Damit war die Sache vorläufig fortgeschoben.
Als die Urlaubszeit um war und der brausende Zug einen gebräunten Touristen in die Mauern der Stadt zurücktrug, blieben die Gedanken doch noch bei allem Angenehmen. Wichmann zeigte seine helle Freude, als er Kasper an der Bahn vorfand. Der Freund nahm ihn gleich für den Abend in Beschlag und ergriff den Koffer, während Wichmann den Rucksack schulterte. Ein Telefongespräch verständigte die Geheimrätin, daß der Heimkehrer glücklich gelandet, zu Hause aber erst spät zu erwarten sei.
Frau Anna Maria im hellblauen Batist hatte ein opulentes Mahl mit einer Spätzle-Riesenschüssel zum Empfang gerüstet, die Drillinge jauchzten dem Onkel entgegen und bekrabbelten seine Beine und Schultern. Dieta erschien, mit Augen wie der Sommerhimmel, sie warf die Locken aus dem Gesicht und lachte nur, wenn sich die kleinen Fäuste von Hilde, Holde und Tilde, wie sie ihre Lieblinge