Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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»Ihre Auskunft war mir schon sehr wertvoll und durchaus genügend. Ich danke Ihnen, Herr Helmbrecht, für die Freundlichkeit, mit der Sie sich am Sonntagmorgen meinetwegen geschäftlich bemüht haben. Vielleicht lasse ich das Stück bis heute abend hier – um diese Zeit fahre ich zurück –, und Sie werden bis dahin die Zeichnung und Beschreibung machen lassen?«
»Ich bin Ihnen dankbar, Herr Oskar, wenn es so geht und ich die Sache nicht überstürzen muß. Auf meine Diskretion können Sie sich verlassen.«
Man plauderte noch von vergangenen Zeiten und von Oskar Wichmanns Vater, dann verabschiedete sich der Assessor. Er wurde bei seinen Verwandten zum Mittagessen sehr erfreut und ein klein wenig neugierig empfangen und spürte die Versuche der älteren Schwester, über die Ursache seines plötzlichen Auftauchens etwas zu erfahren. Mit Lächeln wich er aus und blieb bei der Unterhaltung mit dem Schwager, der als Geschäftsmann über die Stimmung der Großstadt manches zu erfahren wünschte. Wichmann erreichte auch, daß er nicht an die Bahn gebracht wurde, so daß er unbemerkt noch einmal bei Helmbrecht vorbeigehen und dann in das Abteil 3. Klasse einsteigen konnte. Die Zahl der Mitreisenden war diesmal geringer, und der Heimreisende konnte sich einige Stunden auf der Bank ausstrecken. Er hatte den früheren Zug gewählt und kam schon um sechs Uhr fünfzehn morgens in der rußgeschwärzten weiten Bahnhofshalle an. Es blieb Zeit, vor dem Dienst in die Kreuderstraße zu gehen und sich zu erfrischen. Die Frau Geheimrat hatte das versäumte Sonntagsfrühstück auf den Montag verlegen lassen.
Als Wichmann an seinem Fensterplatz seinen gewohnten guten Frühstückskaffee trank, wurde drunten die Straße gekehrt. Die Uhr war noch nicht auf acht gerückt, und der Assessor griff nach der Zeitung, die Martha immer noch regelmäßig zum Frühstück mitbrachte. Nach halb neun Uhr, wenn der Ministerialdirigent im Kabriolett zum Dienst gefahren war, wollte Oskar Wichmann in der Kreuderstraße 3 ein Paketchen für Frau Grevenhagen abgeben. Vermutlich wunderte sich niemand darüber, und wenn sich die Wißbegier von irgendeiner Seite doch regte, stand Marion gewiß eine Ausrede zur Verfügung.
Die Ahornblätter hatten sich mit ihren Flächen zur Sonne gestellt. Die Rosenbeete zwischen Weg und kurzgeschnittenem Rasen standen in voller Pracht. Knospen und Blüten drängten sich und leuchteten mit ihren Farben durch die Eisenzierden des Gartentores. Das eine Fenster des Hauses, das auch im Sommer nach der Straße sichtbar blieb, lag in schimmerlosem Graublau. Wichmann hatte die Zeitung sinken lassen und schaute hinüber. Der Klang von Schritten kam an sein Ohr. Zwei Menschen gingen, der Rhythmus des Ganges verriet den ungleichen Wuchs. Von dem hellgrauen Pflaster im Morgensonnenschein hoben sich die beiden Gestalten in dem schwarzglänzenden Tuch der Reitkleidung ab. Die gemeinsame Schönheit der schlanken und aufrechten Linie ließ den Herrn und die Dame wie ein einziges Zusammengehöriges empfinden. Das hellgraue Haar des zurückkehrenden Reiters, sein schmales, Gesicht und die schlanken Hände waren die Einzelheiten, die den Charakter seiner Erscheinung dem Bewußtsein verdeutlichten. Seine Begleiterin war dunkel und weich in der Bewegung. – Er ging zwei Schritte voran und öffnete das Rosentor, und sie trat auf den sandbestreuten Weg, der das Geräusch ihrer Schritte schluckte. Die Pforte klinkte zu; der Betrachter sah die hell behandschuhte Rechte, die den Rosengriff wieder schloß. Der Kavalier führte seine Dame zwischen den blühenden Beeten und den grün schwellenden Rasenpolstern dem Hause zu. Das Schwarz der eleganten Reitkleidung, besonders wirkende Note im hellen Sommer, entschwand dem Auge des Außenstehenden.
Wichmann sah auf die Zeitung, ohne die Buchstaben zu erkennen. Er zweifelte einen Augenblick an sich selbst und daran, daß die Dame, die er soeben beobachtet hatte, dieselbe gewesen sei, die bei Alfons Musa gewesen war. Aber das Diadem in der Schatulle zeugte für die Wahrheit des bösen Traumes.
Der Assessor stand auf und ließ sich von Martha ein kleines Stück gutes Packpapier bringen.
Als das Frühstücksgeschirr abgeräumt war, packte er die Schmuckschachtel um, legte einige Zeilen mit dem Bericht über das Helmbrechtsche Gutachten bei und schrieb die Adresse:
Frau M. Grevenhagen – Kreuderstraße 3
Die Lektüre der Zeitung hatte ihre Anziehungskraft verloren. Die Uhr, die menschlicher Unruhe spottet, ging in nicht zu veränderndem Tick-Tack, Schritt um Schritt, Sekunde um Sekunde, Minute um Minute bis acht Uhr fünfundzwanzig. Der Motor des dunklen Kabrioletts gegenüber sprang an, und der Wagen verschwand in Richtung des Parks.
Oskar Wichmann nahm den grauen Sommerhut und machte sich auf seinen Weg. Es ist der letzte, Justus Grevenhagen, den ich ohne dein Wissen tue. Vielleicht ist es überhaupt der letzte, der mich in dein Haus führt.
Mit einem besonderen Gefühl ging der Besucher durch die eiserne Pforte und im Dufte der Rosen der Villa zu. Als er klingelte, öffnete der Diener, den er schon kannte, auch am frühen Morgen im Dreß. Wichmann trat in die lichte Diele ein, deren Wände mit englischen Stichen geschmückt waren.
»Wollen Sie dieses Päckchen Frau Grevenhagen überbringen, Johann, Frau Grevenhagen erwartet es.«
»Wollen Herr Doktor bitte einen Augenblick Platz nehmen?«
Als Johann gegangen war, bereute Wichmann, zugestimmt zu haben. Er setzte sich nicht. Mißgestimmt über sich selbst betrachtete er an der Wand die Bilder glücklicher Familien und edler Vollblutpferde.
Die gnädige Frau war zu Hause und ließ bitten.
Johann führte durch die Flucht der vorderen Zimmer, die dem Besucher schon genau bekannt war. Aber Wichmann dachte heute mehr an sein erstes Hiersein als an alle späteren.
Im Herrensalon am Kamin stand Marion. In der schwarzen Georgette des schlicht gearbeiteten Vormittagskleides waren dunkelrote, mattfarbene Blüten eingewebt. Die Zartheit des Stoffes ließ Arme und Schultern durchschimmern. Die Hand hielt das Blatt mit den Aufzeichnungen Wichmanns über Helmbrechts Äußerungen.
»Sie haben die Freundlichkeit gehabt, Herr Doktor Wichmann, einen Juwelier Ihrer Heimatstadt wegen des Diadems zu befragen, über das wir kürzlich sprachen. Ich bin Ihnen sehr verbunden für die Mühe, die Sie sich gemacht haben. Sie haben dem Herrn unseren Namen genannt?« – Die Stimme klang dunkel, samten, wie immer.
»Ihren Namen habe ich nicht genannt, gnädige Frau.«
»Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir eine Möglichkeit eröffnet haben.«
Das Morgenlicht fiel auf Marions Gesicht. Die Haut, vom Schmelz eines hellen Rosenblattes, war sehr gepflegt. Um die Mundwinkel und um die Augen lagen beginnende, noch halb verborgene Falten. Das schwarze Haar war glatt aus der schön geformten Stirn gestrichen.
Oskar Wichmann machte seine Abschiedsverbeugung, und Frau Grevenhagen reichte ihm die Hand zum Kuß. Er führte die Förmlichkeit aus, ohne die warme Hand mit den Lippen zu berühren. Als er den Kopf wieder hob, trafen sich zwei Augenpaare, die vieles verbargen. Was sie verschwiegen, wußte doch jeder. Es war Feindschaft.
Oskar Wichmann ging.
Er ging nicht durch den Park. Seine eiligen Füße suchten die Straßen der Stadt. Im Ministerium sprang er die Treppe des Nebeneingangs über zwei Stufen hinauf, um nicht unpünktlich zum Dienst zu sein. Noch einmal dachte er an die Art, wie Marion Grevenhagen ihm die Hand gereicht hatte. Es war der letzte Versuch, die unausgesprochene Frage gewesen, ob sie ihre Macht über ihn wiederherstellen könne. Nein, Frau Marion. Der Stachel sitzt zu tief, und Sie sollen nie erfahren, daß er gequält hat.
Oskar Wichmann saß über den Akten und beantwortete Anfragen.
Dem jungen Manne war zumute wie den Kirchhofgängern,