Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Pfui, Wichmann. Wohin bist du geraten.
Nein – was hast du dir schon vorzuwerfen? Gedanken – Träume – keine Sünden, die die Welt faßt. Einmal hatten ihre Hände an seinen Wangen gelegen, einmal hatte ihr Kopf an seiner Schulter gelehnt. Ich habe dich nie geküßt, Marion. Warum muß in einem schönen Körper nicht auch eine schöne Seele wohnen? Wie du die Zigarette hieltest, Marion – ich hätte dich getötet, wenn ich nicht ein Feigling wäre.
Sie sind bieder und schal – Kasper, Korts, die Hüsch und Dieta. Du warst einmal anders als alle – aber wenn du Frau Musa sein wirst … Marion, bist du kein Geheimnis mehr – und Anuschka ist größer als du.
Anuschka, es ekelt mich hier alles an. Es ekelt mich vor mir selbst. Ist solches Gedankengewimmel eines Mannes würdig? Du hast ganz einfach gehandelt. Das wollen wir auch tun. Laß uns doch einmal ruhig nachdenken und ordnen, was ist. Wir sind um einen wunderbaren Traum ärmer geworden. Gestehen wir, daß es schmerzt, und arbeiten wir.
Wichmann wartete an den folgenden Tagen darauf, ob in der ›Stillen Klause‹ von dem Abend bei Musa gesprochen werde. Niemand erwähnte ihn. Loeb war schweigsam.
Als das Wochenende kam, meldete Oskar Wichmann ein Ferngespräch zu seiner verheirateten Schwester an und teilte mit, daß er vom Sonntagmittag bis zum Abend bei seinen Verwandten sein werde, Sonntag vormittag wolle er gern unbehelligt streunen und eine kleine persönliche Angelegenheit ins reine bringen. Er werde des Nachts hin- und herfahren – ja, mit Schlafwagen, natürlich.
In Wahrheit natürlich nicht, liebe Schwester Olga, denn Oskar hat zwanzigtausend Reichsmark verliehen und eine Barschaft von dreihundert Reichsmark am vorigen Abend in Anuschkas Manteltasche gesteckt. Er ist heute auf die Bank gegangen und hat hundert abgehoben, was nicht zu tun er doch entschlossen gewesen war.
Die Nachtfahrt war langweilig und ermüdend, aber als Wichmann in der Morgenfrühe des Sonntags durch die stillen, besonnten Straßen ging, die er alle kannte, und als die Leute ihn grüßten, die alle noch von seinem Vater Professor Ludwig Wichmann wußten, da hoben sich seine Stimmung und seine Kräfte. Er pfiff vor sich hin. Ein Frühstück in der kleinen Kneipe, in der er als Primaner den ersten heimlichen Rausch gehabt, erfreute ihn sehr. Er aß Würstchen mit Senf, ein Paar, ein zweites und ein drittes Paar. Die Sonne schien herein, und der Wirt ließ sich erzählen, was man in der großen Stadt denn am Sonntag tue und wie es wohl in den Restaurants zugehe, in denen man ein halbes Hundert Mark für ein einziges Essen mit unbewegter Miene auf den gedeckten Zahlteller legte.
Als zehn Uhr vorbei und die Würstchen verzehrt waren, machte sich der Gast auf den Weg zur Helmbrechtschen Wohnung. Sie befand sich in einem alten, gediegenen, nur zweistöckigen Haus der gartenreichen Seitenstraßen, und als der Ankömmling die Klingel drückte, kam Emmeline, das Faktotum, um zu öffnen.
»Nein, aber was, der junge Herr Doktor!« Sie lief fort, um anzumelden.
Als Wichmann bei dem alten Herrn in dem vertrauten, altväterisch reich möblierten Zimmer stand, wurde er in einen Sessel genötigt und mußte erzählen. Man sprach dies und das, von Politik, von der Arbeit, von der Stadt, von den gemeinsamen Bekannten. Es wurde Wichmann doch schwer, mit seinem Anliegen herauszurücken. Die sehr hellen blauen Augen des zierlichen alten Mannes beschworen eine Erinnerung. Endlich gab Wichmann sich einen Ruck. Zu lange konnte man einen Vormittagsbesuch nicht ausdehnen.
»Bitte stellen Sie sich vor, Herr Helmbrecht, daß ich Sie heute als Geschäftsmann – vertraulich – um ein Gutachten bitten möchte. Sie sind der einzige, zu dem ich mit diesem Anliegen kommen kann, und ich habe, ehrlich gestanden, darum die Reise hierher unternommen.«
Der Gesichtsausdruck des Juweliers mit dem weißen Henri-Quatre-Bart wechselte. Er wurde sofort ernst, es war, als ob ein dünner Vorhang vor seinen Augen niederginge. »Und was für ein Gutachten wäre das, lieber Oskar?«
Wichmann öffnete ein Paketchen und klappte den Deckel der Schmuckschatulle auf, die er sich zur Aufbewahrung des Diadems verschafft hatte.
»Der Gegenstand hier gehört einer mir gut bekannten und sehr angesehenen Beamtenfamilie, deren Namen ich zunächst nicht nennen möchte. Eine Verlegenheit – es handelt sich wohl um die Schulden eines Verwandten, die bezahlt werden sollen – eine Verlegenheit gibt Anlaß zu dem Wunsch, dieses Stück hier in nächster Zeit zu verkaufen oder zu beleihen. Der Kaufpreis war achtundzwanzigtausend Mark. Die Familie möchte sich unter der Hand und ohne Aufsehen erkundigen, ob sich eine mehr oder weniger zufällige Möglichkeit auftun kann, das Diadem ohne allzu großen Verlust abzugeben, oder zu welchem Preis ein Juwelier es heute übernehmen würde.«
»Ja, mein lieber Herr Oskar, das sind sehr schwierige Fragen.«
Der alte Herr holte eine scharfe Brille und ein Vergrößerungsglas.
»Im Juweliergeschäft rechnet man mit langen Lagerzeiten und großen Verdienstspannen beim einzelnen Stück. – Es ist auch ein wenig Spekulation dabei, und damit sieht es jetzt schlecht aus, denn die Geschäftsleute fangen an zu jammern. Man spricht mehr von Baisse als von Hausse. Das Stück ist gut, das sehe ich schon. Aber es muß einen Liebhaber finden. Haben Sie schon einmal einen Fachmann gefragt?«
»Nein.«
»In einer sehr großen Stadt finden sich natürlich immer mehr reiche und kauflustige Leute als gerade bei uns.«
»Sicher. Aber die Familie möchte die Sache nicht an die große Glocke hängen und nicht in der Oper ihrem eigenen Schmuck wiederbegegnen.«
»Tja … ja. Platin ist natürlich wertvoll, und der Stein ist schön. Ich weiß nicht, wann der Preis von achtundzwanzigtausend Mark bezahlt worden ist. Heute und bei uns – da muß ich Sie leider sehr enttäuschen – gibt ein Juwelier für dieses Stück nicht mehr als sagen wir – sechs- bis siebentausend Mark, wenn er es auf Lager nehmen muß und nicht zufällig schon einen privaten Interessenten an der Hand hat.«
»Das bedeutet allerdings einen beachtlichen Verlust – zweiundzwanzigtausend Mark Verlust. Und wie steht es mit den möglichen privaten Interessenten?«
»Reiner Zufall. Ich glaube nicht, daß eine der eingesessenen Familien bei uns das Ding kauft. Sie kennen ja die Leute hier. Höchstens ein Ortsfremder, irgendein reicher Gast, dergleichen Herren zeigen sich manchmal. Man muß warten können.«
»Was würden Sie in dem Fall raten?«
»Guter Rat ist teuer. Wenn die Familie nicht gezwungen ist zu verkaufen, würde ich den Besitz jetzt halten bis zu besseren Zeiten. Wenn sie aber verkaufen muß aus irgendwelchen Gründen, und zwar bald – dann allerdings so schnell wie möglich! Denn die Preise werden vorläufig kaum besser, wahrscheinlich aber noch schlechter.«
»Können Sie vielleicht eine Zeichnung und Beschreibung des Diadems hierbehalten, Herr Helmbrecht, für den Fall, daß einmal ein Deus