Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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»Mir ist die Stille recht, Martha. Darum bin ich hierhergezogen.«
»Ja, es ist auch wieder schön, das ist wahr. Ich möchte auch nirgends anders mehr sein. Man hat seine Arbeit und ist zufrieden, und mehr will man auch nicht.«
Wichmann schaute das Mädchen jetzt aufmerksam an. Mehr will man auch nicht? Vielleicht stand hier ein Mensch, der doch mehr wollte oder einmal mehr gewollt hatte?
Martha hatte ein eigenartiges Gesicht. Sie war ein dunkler Typ, das schwarze Haar war sehr voll, und sie trug es altmodischer Weise lang, mit einem Knoten im Nacken. Ihre von Natur bräunliche, matte Haut brauchte keine besondere Pflege, um gut auszusehen. Auch ihre Hände waren feinporig und trotz der Arbeit des Gemüseputzens und Kartoffelschälens niemals rot. Sie hielt sich aufrecht und betrachtete die Menschen aus Augen, die das eigenartigste an ihr waren. Diese Augen lagen zurück und blieben meist halb geschlossen; die Wimpern waren lang und gaben dem Blick als Rahmen noch mehr Ausdruck. Martha sagte nie etwas Dummes, wenn sie vielleicht auch nie etwas besonders Kluges gesagt hatte. Trotz des langjährigen Dienstes bei der Geheimrätin hatte sie deren Gewohnheit, zu plaudern, nicht angenommen. Was wollte sie jetzt?
»Wenn Sie zufrieden sind, ist es ja gut«, meinte Wichmann vorsichtig. Er hatte mit der Weiblichkeit in der großen Stadt schon einige schwierige Erfahrungen gemacht und war sich bewußt, daß ein junger und gut aussehender Mann äußerst zurückhaltend bleiben mußte, sofern er nicht wünschte, einem Mädchen wirklich näher zu kommen. Das aber wünschte der Assessor in dem gegebenen Falle nicht. »Dann schlafen Sie sich mal schön aus, Martha.«
»Ach, mir ist oft gar nicht ums Schlafen. Des Tags hat man seine Arbeit, aber abends, da denkt man oft nach und hat so seine Gedanken …«
Was war denn nur mit dem Mädel? Er konnte sie nicht aus dem Zimmer hinauskriegen. Von zwanzig Honigplätzchen hatte er jetzt acht gegessen.
»Die Gedanken lassen Sie sein, Martha, und legen sich aufs Ohr. Das ist gesünder.«
»Wenn man’s so könnte. Ach, ich denke oft, ich werde wohl nicht allein meine Sorgen haben …«
»Sicher nicht, Martha.«
Wichmann hatte nun doch angefangen auszupacken, und Martha half ihm.
»Aber lassen Sie das, Martha. Sie sind müde genug. Gehen Sie zu Bett!«
»Ich bin nicht müde, ich habe ja heute Ausgang gehabt.« Martha machte sich an den Rucksack.
»Haben Sie einen Ausflug gemacht?«
»Nein. Wir sind ins Café gegangen und ins Kino, meine Freundin und ich. Ich habe ja meine Freundin drüben in der Kreuderstraße 3 – die Franziska. Erinnern Sie sich an Fanny?« Wichmann erinnerte sich wirklich. Fanny, diese blonde Katze, graziös und flink, kokett in den Formen, die der Dienst ihr gestattete, war ihm aufgefallen. Sie war sehr verschieden von Martha, aber vielleicht zog gerade diese Verschiedenheit die beiden Mädchen zueinander.
»Ganz recht, Herr Assessor, sie hilft beim Nachmittagsempfang mit. Sie ist eigentlich die Jungfer, ganz perfekt, aber beim Servieren springt sie mit ein, wenn jemand auf Urlaub ist. Sie hat eine schöne Stellung drüben, aber auch anstrengend.«
Wichmann überlegte wieder. Wollte Martha über das Haus Grevenhagen klatschen? Fanny war sicher eine gute Nachrichtenquelle.
»Ja, anstrengend, das glaube ich, bei der vielen Geselligkeit«, antwortete der Assessor, reserviert und doch nicht abweisend. Im Grunde wollte er ebenso gern etwas erfahren, wie Martha hoffte, etwas erzählen zu dürfen. War es nicht lächerlich, wie ein gut erzogenes Mädchen und ein gut erzogenes Mitglied des Ministeriums hier um den springenden Punkt herumredeten, nur weil sie sich beide schämten, das zu tun, was sie letzten Endes doch nicht lassen würden? Wichmann hegte keinen Zweifel mehr, daß Martha irgendeine Neuigkeit auf dem Herzen hatte, die sie noch aussprechen mußte, ehe sie schlafen ging, und er selbst wünschte diese Neuigkeit zu erfahren … Wünschte er das wirklich? Ja, er wünschte es. Aber weil keiner dem anderen gestehen wollte, mitteilungsbedürftig und neugierig zu sein, mußte um Mitternacht viel Zeit verschwendet werden, in der man den Erfordernissen der gesellschaftlichen Erziehung durch Redensarten formal Genüge tat.
»Die gnädige Frau drüben, die junge, ist sehr anspruchsvoll«, fing Martha wieder an.
»Kann ich mir denken.«
»Und Fanny ist froh, wenn sie einmal einen wirklich freien Sonntag hat. Sonst, bezahlt wird ja gut, und dazu kommen die hohen Trinkgelder.«
»Es hat je de Stellung ihren Vorteil und ihren Nachteil.«
»So ist’s, Herr Assessor. Wenn man älter wird, sieht man’s ein. Aber heute – nein – das war furchtbar.«
»Was denn?«
Der Rucksack war ausgepackt und alles an seinen Platz geräumt. Der schlaffe Sack lag beim leeren Koffer. Martha wollte beides zum Ausstauben mitnehmen. Wichmann hatte sich zur zweiten Hälfte seiner Honigplätzchen zurückgezogen.
»Ja, furchtbar, das muß man sagen. Die Fanny zitterte noch am ganzen Leibe.«
»Warum denn? Ist ihr gekündigt worden?«
»Nein, nein, was Sie denken, Herr Assessor. Es geht sie eigentlich gar nichts an, aber man regt sich doch auch auf – wenn man eben so lang bei den Herrschaften ist.«
»Was hat’s denn gegeben?«
»Sie wollte es mir erst gar nicht sagen. Ich hab’ gleich gemerkt, daß da was ist, und sie war noch ganz blaß, wie wir uns am Nachmittag trafen. Erst wollt’ sie’s nicht wahrhaben, aber im Kino hat sie geheult, und wie wir dann noch ein Glas Bier trinken gegangen sind …«
»Da hat sie Ihnen die Schauermär erzählt? Es wird ja gar so furchtbar nicht sein, Martha.«
»Ach, ich kann nicht schlafen, wenn ich daran denke. Wie so etwas nur möglich ist!«
Wichmann betrachtete die beiden letzten Plätzchen auf seinem Teller.
»Erzählen Sie, Martha, was Sie auf dem Herzen haben. Obwohl ich ja sonst nicht fürs Klatschen bin. Das wissen Sie.«
»Nein, wer wird denn ans Klatschen denken! Der Herr Assessor ist doch verschwiegen wie’s Grab. Sonst dürfte ich ja gar nichts sagen.«
Wichmann warf sich in den Lehnstuhl mit den Löwenköpfen. »Schießen Sie los, Martha! Sonst wird’s zu spät!«
»Ja – wo soll ich anfangen? Die Fanny hat so geweint, und beim Bier hat sie’s mir dann erzählt. – Herr Ministerialdirigent Grevenhagen ist am Sonnabend ganz verstört heimgekommen …«
»Woran war denn das zu erkennen?«
»Er hatte schon die Fleischgabel für den Fisch in der Hand – ganz durcheinander und noch blasser als sonst. Johann hat es gut gemerkt. Aber am Sonnabend geschah weiter nichts, da war die ganze Familie zum Gartenfest bei von Lincks eingeladen und kam erst spät nach Hause. Der Herr und die gnädige Frau schlafen ja durch eine Zwischentür getrennt. Am Sonntag morgen war es dann, nach dem Ausritt und nach dem zweiten Frühstück.«
»Hm?«
»Die Fanny