Ehrenmord ist kein Aprilscherz. Manfred Eisner

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Ehrenmord ist kein Aprilscherz - Manfred Eisner

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Lessing (1729–1781) ein Gleichnis, das ursprünglich aus dem ›Decamerone‹ des Italieners Giovanni Bocaccio aus dem 14. Jahrhundert stammt: die berühmt gewordene ›Parabel der drei Ringe‹. Vom osmanischen Sultan Saladin im vor Kurzem von den Kreuzrittern eroberten Jerusalem befragt, welcher denn – Islam, Christen- oder Judentum – für ihn der ›wahre Glaube‹ sei, antwortet der Jude Nathan mit der Erzählung des vermögenden Vaters dreier Söhne, die er gleicherweise liebt und deswegen beim Juwelier – anstatt des gemäß der Familientradition einzigen an den vorausbestimmten Erben – drei identisch aussehende wertvolle Ringe anfertigen lässt und jeden der Söhne gesondert damit beschenkt. Als der Vater stirbt, meint deshalb ein jeder der drei Söhne, der alleinige Erbberechtigte zu sein. Sie geraten darüber in erbitterten Streit und gehen vor Gericht. Der Richter urteilt, dass keiner der drei Ringe – da sie alle absolut gleich aussehen – als der wahre Erbring erkennbar sei und sie deswegen das Erbe gleichermaßen unter sich zu teilen haben. Den Zank der Brüder deutet der Dramatiker als den Streit um die Frage, welche der drei die einzig wahre Religion sei, und folgert, dass doch alle vom selben Gott stammen. Deswegen sei die Deutung einer einzig gültigen Wahrheit sinnlos und jeder müsste demnach seine Religion gleichwertig und ohne Präjudiz ausüben dürfen.

      Ein derart hochherziger Gedanke stieß gleichwohl bereits bei seiner Veröffentlichung – und dieser Zustand hat sich bedauerlicherweise bis in unsere Tage um keinen Deut geändert – auf geharnischten Widerstand seitens der orthodoxen Eiferer der beiden missionierenden Hauptreligionen: Christentum und Islam. Im Gegensatz zu diesen zwei wird man den Israeliten nicht vorhalten können, Proselytismus zu betreiben; eher ist das Gegenteil der Fall.

      Christliche Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Metropoliten und protestantische Reformer aller Couleur sowie muslimische Sultane, Muftis, Mullas und Ayatollahs – alle, wie sie da waren, beharrten stets auf die ›einzige Wahrheit‹ des eigenen Glaubens und scherten sich nicht einmal in deren Namen, die Herzen ihrer Adepten gegen Andersgläubige aufzuhetzen und in Brand zu setzen, ja sogar sie zu den furchtbarsten Verbrechen gegen ›Heiden, Ketzer und Ungläubige‹ anzustiften. Die gewalttätige Ausbreitung des Islam durch das ›Schwert Allahs‹, Kreuzzüge, Inquisition, Dreißigjähriger Krieg, Zwangskonversion oder Austreibung, Gettozwang, brutalste Pogrome, vernichtende Judenverfolgungen sowie die Nordirland- und Jugoslawienkriege sind als die markantesten Beispiele erbarmungsloser und menschenverachtender Übergriffe auf Andersgläubige zu nennen. Aber nicht nur zwischen den drei monotheistischen Religionen gab und gibt es Zwist, Hass und Mord: Wohlwollend sah der Papst in Rom zu, als die Osmanen unter Mehmed II. anno 1453 die ungeliebte byzantinische christliche Ostkirche niederzwangen, Konstantinopel eroberten und dabei die ehemalige Sophienkathedrale als ihre Hagia Sophia Hauptmoschee etablierten. Die ›Heilige Wahrheit‹, seit 1934 zum Museum als repräsentatives Beispiel der byzantinischen Baukunst gewandelt, soll übrigens gemäß dem Willen des türkischen Präsidenten Erdogan [rückwärtsgewandter geht’s wohl nicht mehr!] wieder in eine Moschee umfunktioniert werden. Nach der Reformation durch Martin Luther lieferten sich Katholiken und Protestanten dreißig Jahre lang heftige und blutige Schlachten, wohlgemerkt im Namen desjenigen, der Nächstenliebe als das zweitwichtigste Gottesgebot predigte. Obwohl mittlerweile in Nordirland ein brüchiger Waffenstillstand herrscht, fetzen sich beide Konfessionen insgeheim immer noch. Menschen, die einer der schätzungsweise über 200 unterschiedlichen Kirchen und Sekten der christlichen Glaubensrichtung angehören (Römisch-Katholisch, Altkatholisch, Orthodox und Evangelisch-Protestantisch), sind sich meist nicht grün. Allein acht davon betrachten sich als Hüter des Heiligen Grabs Jesu in Jerusalem und geraten immer wieder in heftige Querelen. Aufgrund der allmählichen Durchsetzung des ökumenischen Gedankenguts hat sich erfreulicherweise der Status quo eines friedlicheren Nebeneinanders in der christlichen Welt in den letzten Dekaden allmählich etabliert.

      Wuchs die weltweite Bekehrung von Heiden zum Christentum zunächst überwiegend dank Missionierung – die allerdings, wenn schon nicht so brutal wie bei den indigenen Völkern Lateinamerikas, nicht unbedingt zimperlich oder überall friedlich und ohne Blutvergießen erfolgte –, verhält es sich dagegen ganz anders im Islam. Wie bereits erwähnt, expandierte der Glaube Mohammeds im Mittelalter weltweit durch die arabische Besetzung und Unterwerfung der Bevölkerungen hauptsächlich in Afrika, Persien, großen Teilen Asiens und dem Nahen Osten, waren doch die Sarazenen die ertragreichsten Sklavenjäger, die die Europäer mit der Menschenware für ihre Kolonien belieferten. In Europa waren es Mauren, die bis zum Ende des 15. Jahrhunderts große Teile Spaniens und Portugals besetzt hielten. Osmanischen Eroberungstruppen gelang sogar der Vorstoß auf unseren Erdteil bis nach Wien, wo sie zweimal, im 16. und im 17. Jahrhundert, vergeblich einzudringen versuchten. Relikte dieser islamischen Expansionsbestrebungen sind im Balkan die bis heute verbliebenen muslimischen Gläubigen in Bosnien, Montenegro, Kosovo und Albanien sowie auf jenem kleinen Endzipfel des europäischen Kontinents, auf dem der westliche Teil des türkischen Istanbuls errichtet ist.

      Rein historisch betrachtet entstand das Judentum schätzungsweise etwa um das Jahr 1500 v. Chr., obwohl sich bis heute die Historiker darüber streiten, wann genau Moses sein Volk aus der Sklaverei Ägyptens heraus zum Berg Sinai führte, wo sie die Zehn Gebote empfingen. Hinzu zählen 21 Jahrhunderte seit dem Wirken Jesu für das Christentum. Der Islam entstand dagegen erst anno 622 n. Chr. mit der Flucht Mohammeds aus Mekka. Mit 1.395 Jahren ist er also die jüngste der drei Konfessionen. Vergleicht man tentativ, wo sich das Christentum 14 Jahrhunderte nach seiner Entstehung befand, so könnte man räsonieren, dass die islamische Religion sich heute erst auf etwa dem Entwicklungsstand der damaligen Christianisierungskriege des Deutschen Ordens gegen Litauen befindet. Auch zu jener mittelalterlichen Epoche bestimmte ein zutiefst christlicher Glaube bei allen Ständen des Abendlandes (Könige und Adel wie auch beim Klerus und dem gemeinen Volk) deren alltägliches Leben.

      Weit gefehlt ist allerdings die Auffassung, der Islam sei eine homogene Glaubensgemeinschaft. Analog zum Christentum zerfällt er doch in sehr unterschiedliche Glaubensrichtungen (hauptsächlich Sunniten und Schiiten, aber auch Aleviten, Wahhabiten, Yeziden, Ismailiten u. v. a.), die untereinander spinnefeind sind und sich seit dem Wiederaufleben des unseligen militanten Islamismus durch die Machtübernahme Irans anno 1979 seitens des schiitischen Ayatollah Chomeini samt Proklamierung seiner Islamischen Revolution aufs Blutigste bekämpfen. Im unbarmherzigen Stellvertreterkrieg in Jemen beschießen sich gegenwärtig das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran mit gnadenlosen Bombardements und Raketen auf wehrlose Zivilisten. Aber nicht genug zu den eiskalten Serienmördern des selbst ernannten IS-Kalifats, Talibans und Al Queida: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht vor den Moscheen der rivalisierenden Glaubensrichtungen Autobomben explodieren oder Selbstmörder sich sogar innerhalb der Gebetshäuser in die Luft sprengen und Hunderte von Betenden mit in den Tod reißen.

      Die in diesem Roman geschilderten Geschehnisse sowie sämtliche darin vorkommende Namen und Positionen sind fiktiv und von mir frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit real existierenden Personen oder Begebenheiten sind rein zufällig. Dennoch, so glaube ich, würde heute kein Richter bei objektiver Betrachtung und beim besten Willen Lessings ›drei Ringe‹ als identisch rechtsprechen. Zu groß sind die Unterschiede, die sie kennzeichnen, obwohl ihr Ursprung doch dieselbe Quelle ist: jenes religiöse Gedankengut, das Moses im Hause des Pharaos Ramses II., in dem er aufwuchs, prägte und das er seiner Gefolgschaft am Berg Sinai verkündete. Hindern sollte uns all dies allerdings nicht daran, jedem die Freiheit zur Ausübung seines Glaubens zu lassen, sofern er dies für sich tut und – ohne Einschränkungen – Andersgläubigen stets die gleichen Rechte zubilligt. Dies kann allerdings nicht bedeuten, dass hierbei etwaige in unserem Rechtsstaat verbotene Handlungen und Sitten aus religiöser Motivation begangen werden. Auch bei uns gilt die alte Weisheit: ›Bist du in Rom, tu’ wie die Römer‹.

       Manfred Eisner, im Sommer 2018

       1. Rätselhafter Cold Case

      »Ich denke, wir haben hier wieder einen interessanten Fall, der mich besonders bewegt und dem wir uns widmen sollten!« Kriminalhauptkommissarin Nili Masal hält einen Aktendeckel

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