Ehrenmord ist kein Aprilscherz. Manfred Eisner
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Allerdings war diese Lage weder Saadet noch ihrem mit ihr inzwischen intim gewordenen Freund Uwe geheuer, wussten sie doch aus den Medien, dass außerehelicher Geschlechtsverkehr ebenso wie Abtrünnigkeit vom Islam in einigen Ländern, in denen die Sharia alleingeltendes Gesetz ist, auch heute mit dem Tode bestraft werden. Zudem waren ja bereits in ähnlichen Fällen sogar in Deutschland muslimische Frauen von ihren Vätern, Brüdern oder Ehemännern aufgrund dieser vermeintlichen Verstöße gegen religiöse Sitten getötet worden.1
Als Ermittlungsleiter für die Aufklärung des Doppelmordes war der damalige Staatsanwalt Dr. Uwe Pepperkorn (heute in Kiel tätig) sowie die Bezirkskriminalinspektion Itzehoe unter der Leitung des auch damaligen Kriminaloberrats Werner Thumann zuständig. Sowohl er als auch dessen ermittelnde Beamte KHK Jonas Gehrke und KOK Horst Neumann waren inzwischen vom Dienst ausgeschieden. Die furchtbare Tat war nach gleichlautenden Einschätzungen des Leichenbeschauers vor Ort wie auch von Professor Dr. Klamm vom Gerichtsmedizinischen Institut am Universitätskrankenhaus in Kiel, der die Obduktion beider Leichen vorgenommen hatte, in der Nacht vom achten auf den neunten des vorvorjährigen Oktobers zwischen dreiundzwanzig Uhr und Mitternacht begangen worden. An dem bislang nicht ausfindig gemachten Tatort sei zunächst die schon vorher mehrfach brutal sexuell missbrauchte Frau danach geschlagen und furchtbar misshandelt und schließlich erstochen worden. Daumen und Finger wurden ihr post mortem mit einem scharfen Schnitt – vielleicht mit einer Trennscheibe – von beiden Händen akkurat an den Gelenken abgetrennt und waren nicht aufgefunden worden. Der Täter hatte offensichtlich beim sexuellen Überfall auf das Opfer Kondome benutzt, allerdings fanden sich auf ihrem Kleid geringste Spermaspuren, die ihm wohl beim Entfernen der Präservative unbemerkt entkommen sein mussten. Die DNA-Untersuchung hatte allerdings keine bisher verwertbaren Ergebnisse erbracht, da sie weder in der Kartei vorhanden war noch bei den untersuchten männlichen Verdächtigen eine Übereinstimmung aufwies. Die Tatwaffe zeigte keinerlei brauchbare Fingerabdrücke.
Unmittelbar nach der Ermordung der Frau wurde der Mann – der an Armen und Beinen Spuren von Zwangsfixierung mittels Kunststoffkabelbinder trug – mit einem an der rechten Schläfe aufgesetzten Schuss regelrecht hingerichtet. Durch einen weiteren Abschuss mit der Tötungswaffe waren ihm Schmauchspuren an der rechten Hand beigebracht worden. Diesen hätte er allerdings nicht selbständig durchführen können, da er gemäß Obduktionsbericht zu dem Zeitpunkt bereits tot war. Bei dem auf dem Beifahrersitz neben dem Toten gefundenen Revolver handelte es sich um eine Kurzlaufwaffe der Marke Smith & Wesson Kaliber 22. Sie war nicht registriert und stammte vielleicht auch aus dem Ausland. Aus ihr waren zwei Schüsse abgefeuert worden – die leeren Patronenhülsen befanden sich noch in der Trommel. Dies erhärtete die Mutmaßung über den zweiten Abschuss zur Vortäuschung einer Selbsttötung, da sich nur eines der Projektile im Schädel des Opfers wiederfand. Auf der Waffe stellte man nur Fingerabdrücke des Opfers, aber keine auf den Munitionspatronen fest.
Die toxikologische Untersuchung seines Mageninhalts brachte ans Licht, dass das Opfer mittels starker Überdosis eines Benzodiazepins mit den Wirkstoffen Temazepam und Triazolam sediert worden war. Wilkens hatte wohl deswegen weder von der Folterung seiner Freundin noch von seinem eigenen Sterben etwas mitbekommen. Wahrscheinlich verbrachte der Täter (man mutmaßte allerdings auch, ob er all dies allein getan oder Helfer gehabt haben konnte) dann beide Leichen in den Renault mit belgischem Kennzeichen und fuhr diesen zur Fundstelle am zu dieser späten Stunde verwaisten Fähranleger.
Die Fahndung nach dem rätselhaften Auto über Europol ergab nach langwieriger Recherche, dass der alte Renault Mégane zwar tatsächlich etwa drei Monate vor der Tat vom Hof eines Autohändlers im belgischen Grenzort Bütgenbach entwendet worden war, andererseits aber die am Fahrzeug angebrachten falschen Kennzeichen von einem anderen, längst abgemeldeten Pkw aus Gent stammten. Da zunächst wegen des naheliegenden Verdachts eines sogenannten Ehrenmordes Vater und Bruder als engste Familienmitglieder als mutmaßliche Täter infrage kamen, hatte man diese eingehend vernommen. Man konnte ihnen aber weder irgendwelche Spuren an den Opfern oder am Fundort der Leichen noch anderweitig das Verbrechen nachweisen, da sie beide mit einem wasserdichten Alibi aufwarteten: Bereits vier Tage vor und drei Tage nach der Tat waren die Eltern mit dem Bruder nachgewiesenermaßen zu Besuch bei Freunden in Berlin gewesen. Allerdings war auch die festgestellte Vergewaltigung des Opfers vor der Tötung ein für sie entlastendes Indiz: kaum glaubhaft, dass weder Vater noch Sohn sich am Opfer derart vergangen hätten. Dennoch bestand immer noch die Hypothese, es könnte sich um einen Auftragsmord gehandelt haben, begangen durch einen von der Familie beauftragten Täter. Sowohl die dubiose Herkunft des Fahrzeuges, in dem Saadet aufgefunden worden war, als auch der Tötungswaffe des zweiten Opfers wären damit erklärt. Alle in diese Richtung angestellten Ermittlungen führten jedoch in eine Sackgasse. Auch intensive Suchaktionen mit Unterstützung durch die Kriminaltechniker des LKA führten nicht zur Aufdeckung des Tatortes.
Bei der Rückkehr von ihrer Berlinreise war die Familie vom Gewalttod der Tochter und Schwester zutiefst betroffen und geschockt. Sie trauerten um sie aber eher im Stillen, weil sie sich ihnen doch entfremdet hatte. Nachdem Uwes und Saadets Leichen von der Gerichtsmedizin freigegeben worden waren, hatte Vater Ibrahim Bassir sich mit Imam Durmaz beraten und bestimmt, dass Saadet keine Bestattung, weder von ihrer Seite noch nach dem muslimischen Ritual, zustehe. Es waren die Freunde Bruno und Silke Wittkamp, die für eine Trauerfeier im kleinen Kreis sowie die stille Beisetzung der beiden auf dem Wewelsflether Friedhof sorgten. Da trotz wiederholten Drängens seitens Dr. Pepperkorn keinerlei verwertbare neue Spuren gefunden wurden, erlitt der Fall allmählich das Schicksal all jener, die durch aktuelle und vor allem akute Ereignisse überlagert werden und schließlich ganz unten in der Lade ›unerledigt‹ landen. Nachdem der Staatsanwalt auch noch von Itzehoe nach Kiel versetzt und die damalig zuständigen Beamten in den Ruhestand getreten beziehungsweise verstorben waren, geriet der Fall allmählich in Vergessenheit. Und jetzt, bedingt durch eine plötzliche Laune der Kriminalhauptkommissarin Nili Masal, sollte er wieder aufgenommen werden?
»Was kann sich unsere Chefin wohl dabei gedacht haben?«, posaunt KK Margrit Förster mit skeptischer Miene in den Raum, als sie mit der Lektüre durch ist.
»Na ja, wie ich aus der Akte entnehme, hat man damals wohl eher im Kreis der direkt Betroffenen ermittelt. Wie ich unsere Nili inzwischen kennengelernt habe, hat sie in der Geschichte irgend so einen losen Faden gefunden, den sie jetzt aufnehmen will. Allerdings komme auch ich nicht darauf, welcher es gewesen sein könnte«, kommentiert KK Robert Zander, der inzwischen großen Respekt vor dem besonderen Spürsinn seiner Vorgesetzten hat.
»Am bestn frag’mas glei selbst beim Mittagsessen«, entgegnet Ferdl Csmarits. »Hab i an Hunger!«
»Ist wohl bei Ihnen ein Dauerzustand, Herr Fachinspektor?«, witzelt Zander.
»Ach was!«, antwortet dieser jovial. »Samma fesch und gemma!«
Enttäuscht wird allerdings ihre Erwartung, dass Nili und ›ihr‹ direkter Vorgesetzter Waldi Mohr, mit dem sie bereits seit einigen Monaten liiert ist, sich in der Kantine zu ihnen gesellen. Erst als sie sich nach der Mittagspause wieder im Büro versammeln, treffen sie auf ihre Teamleiterin, die bereits eifrig an ihrem PC tippt.
»Mahlzeit, Nili! Hamma was? Derf