Zwei gegen Ragnarøk. Hans-Jürgen Hennig
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Читать онлайн книгу Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig страница 46
Alvitur schnaufte leise und schaute plötzlich traurig drein: „Wisst ihr, was das für ein Gefühl ist, nach so vielen Jahren die Heimat wieder zu sehen? Als ich die Füße auf den Strand setzte, bekam ich weiche Knie. Hätte ich nicht Einurd an der Hand gehabt, ich hätte mich der Länge nach auf den Strand geworfen, aber sie gab mir Kraft, aufrecht zu bleiben. Ich sog meine Lungen voll Luft und atmete unseren Fjord regelrecht ein. Ein paar Schritte weiter griff ich in den Boden, nahm eine Handvoll Erde, roch daran und ich spürte — Glück. Mein Herz pochte, wie im Pferdegalopp. Ich war wieder zu Hause, nach so langer Reise durch eine faszinierende Welt, die aber so ganz anders war, als unsere. Leute waren plötzlich um mich, alte Bekannte, die damals junge Fifilla, Sigudur und viele neue, junge Gesichter, wie deine Eltern, Hilda. Sie waren noch Kinder, als ich wegfuhr, nun waren sie ein Paar. So, nun wisst ihr alles, und ihr seid die Ersten, denen ich diese Geschichte vollständig erzählt habe. Ich erzählte sie euch, weil ich so viel von der Welt außerhalb unseres Lebens gesehen habe und weiß, dass diese andere Welt unerbittlich nach uns greift. Ihr neue Gott und ihre Könige greifen nach uns und durch diese Prophezeiung, die Worte der Nornen, glaube ich, dass wir Ragnarök aufhalten können, nämlich das Sterben unserer Götter und unserer Welt.“
Alvitur machte eine kleine Pause und lächelte Hilda an. „Hilda schau nicht so entgeistert drein. Niemand im Dorf wird dich jetzt anders ansehen. Alles wird so sein, wie es hier jeden Tag ist, nur du wirst in der nächsten Zeit öfter nachdenken müssen, aber das wird für dein späteres Leben nur nützlich sein. Irgendwann wird dir das Schicksal deutlich machen, welche Aufgabe es dir zugedacht hat, damit unsere Welt und unsere Art zu leben erhalten bleiben.“
Alvitur lehnte sich entspannt zurück, griff wieder nach seinem Trinkbecher und nahm genussvoll einen großen Schluck von seinem Lebenselixier.
Bei Hilda merkte man, das sie kurz vor dem Zerplatzen war. „Alvitur, ich verstehe im Moment nur wenig von dieser Prophezeiung der Nornen, aber ist das alles wirklich war und für mich wichtig? Was ist, wenn ich das nicht wissen will und einfach so tue, als ob ich es nicht wüsste? Dann ist da noch etwas Komisches. Wie soll man aus dem eigenen Blut Kraft schöpfen? Das Blut ist doch immer in mir, ob ich will oder nicht und was hat der Fenriswolf mit mir zu tun? Das ist doch eine alte Legende. Wieso schützen uns unsere Götter nicht vor dem anderen Gott und dieser anderen Welt?“
Sölvi drehte aufgeregt seinen Trinkbecher in den Händen hin und her, dann schaute er mit großen Augen auf Hilda und nickte mehrfach. Fifilla hielt ihren Kopf in beide Hände gestützt und grübelte.
Alvitur griff nach Hildas Hand: „Hilda, ich kann dir deine Fragen nicht so einfach beantworten, aber du kennst die Geschichten um Ragnarök, und ich möchte nicht mehr Alvitur heißen, wenn das hier nichts damit zu tun hat. Diese andere Welt, mit ihren Königen und ihrer bösartigen Gier, das ist Ragnarök. Geht jetzt nach Hause und lasst euch Zeit zum Nachdenken. Ich bin ja morgen auch noch da und übermorgen und unser Dorf wird dann auch noch da sein. Lasst euch Zeit und wenn ihr etwas herausgefunden habt, lasst es mich wissen. Eines noch, Etwas, das wichtig für uns ist: So wie wir hier sitzen, sollten wir immer aufeinander Acht geben.“
Dann lehnte Alvitur sich zurück und schloss sein Auge. Er sah jetzt sehr erschöpft aus.
Hilda fühlte sich richtig durcheinander. Sie zupfte nervös an ihrer Tunika herum, stand auf und verließ mit zögernden Schritten Alviturs Hütte. Sie wollte nur noch nach Hause, oder in eine dunkle Ecke und Ruhe haben. Alviturs Worte und die rätselhafte Weissagung schwirrten wie hundert Möwen in ihrem Kopf herum.
Während des Laufens kreisten ihren Gedanken um diese kleine und geheimnisvolle Insel. Sie sah sie jetzt vor sich, ganz kahl, mit einer verfallenen Hütte. Sie marterte ihr Gehirn, bis sie auch den verzweifelten Alvitur dort stehen sah. Alles um sie herum wurde immer leiser und kein Geräusch drang mehr an ihr Ohr.
Immer wieder, immer wieder kreisten die Gedanken …, dann sah sie den Nebel und ihr wurde schwindlig im Kopf. Hilda setzte sich ins Gras und stellte fest, dass sie nicht zu Hause gelandet war, sondern zwischen den knospenden Apfelbäumen saß.
Die Nornen, ja, die Schicksalsfrauen, aus den Geschichten, die man sich erzählte, kannte sie auch. Nun sollte ihr Schicksal von diesen Frauen vorherbestimmt sein, oder vorhergesehen?
Die kahle Insel erschien wieder nebelhaft vor Hildas geistigem Auge, sie sah Alvitur und die drei alten Frauen.
Erschöpft hielt sich Hilda die Hände vor das Gesicht und ließ sich rückwärts in Gras fallen. Sie lag ganz still, ausgestreckt, sog den frischen Duft der Wiese tief ein und ließ die nebelhaften Vorstellungen ihrer Fantasie langsam verfliegen.
Korrrr, korrr klang es plötzlich an ihr Ohr, dann flatterte etwas neben ihr zu Boden. Sie spürte den Luftzug der Flügel und dann stupste Skyggis Schnabel sie an.
Hilda brauchte einen Moment, die Wirklichkeit wieder richtig zu empfinden. Dann richtete sie sich auf und streckte die Hand nach ihrem Raben aus.
„Bist du auch ein weiser Rabe Skyggi, so wie Hugin oder Munin? Kannst du mir sagen was ich von all dem halten soll? Mein Blut, was ist da so besonderes dran, das ich Stärke daraus ziehen soll?
Hilda kraulte ihrem Raben den Kopf, machte dabei die Augen zu und begann wieder in die neblige Vorstellungswelt zu gleiten. Sie merkte gar nicht, dass sie sich wieder hinlegte hatte und einschlief.
Skyggi hüpfte um Hilda herum, flog dann in den Apfelbaum und ließ ununterbrochen sein Korrr,