Blutige Maiglöckchen zum Hochzeitstag. Manfred Eisner

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Blutige Maiglöckchen zum Hochzeitstag - Manfred Eisner

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Waldi ihm zustimmt und ebenfalls bedauert, dass es aufgrund des strikten Sparkurses der Bundes- und Landesregierungen auch bei der Polizei zu einem eklatanten Personalmangel gekommen sei, erntet er allerdings ein »Papperlapapp, mein geschätzter Herr Erster Kriminalhauptkommissar! Dann müssen sich die werten Herren eben etwas länger auf den Hosenboden setzen und sich mit ihrer Arbeit an den Riemen reißen! Uns hat damals auch niemand gefragt, ob wir mehr Personal brauchen, wir haben eben unsere Aufgaben gewissenhaft und effizient erledigt und haben erst danach Feierabend gemacht oder sind in den Urlaub gefahren, wenn überhaupt! Kein Wunder, dass sich die Aktenstöße der unerledigten Fälle türmen! Da hätte man uns von oben ganz schön die Leviten gelesen, das kann ich Ihnen versichern!«.

      Zu Waldis Glück kommen Nili und ihr Tanzpartner in diesem Augenblick an den Tisch zurück, sodass er aufsteht, um ihr den Stuhl anzubieten, und dadurch den hohlen Law-and-Order-Sermon des aufgebrachten Emeriten beenden kann. Er wendet sich Nilis Begleiter zu, dem Kriminalrat Dr. Ronald Lindner vom BKA, mit dem er damals Kitts und Nilis ›Operation Coca-Trail‹ koordiniert und geleitet hatte, den er aber ebenso von verschiedenen Treffen und Seminaren in Wiesbaden gut kennt.

      »Endlich hatte ich Gelegenheit, Ihre charmante Kriminalhauptkommissarin persönlich kennenzulernen und sogar mit ihr tanzen zu dürfen, mein geschätzter Doktor Mohr. Ich danke Ihnen sehr, geehrte Frau Masal! Es war mir ein besonderes Vergnügen!« Der Kriminalrat verbeugt sich förmlich vor Nili. Selbstverständlich kommt im anschließenden Small Talk das hochaktuelle Umzugsthema des BKA nach Berlin zur Sprache; sehr ungern wolle der Kriminologe in die Bundeshauptstadt umziehen, er hoffe doch inständig, mit seinem Dienstsitz in Wiesbaden bleiben zu dürfen. Keineswegs wolle er mit der Familie in diesem Moloch wohnen, er nehme dann doch eher das beschwerliche wöchentliche Hin- und Herpendeln in Kauf.

      Es ist schon nach Mitternacht, als Nili und Waldi sich von den Gastgebern verabschieden und in das Taxi steigen, das sie zu Waldis Wohnung in der Niebuhrstraße im ehemaligen Kieler Marineviertel Ravensberg bringt. Eng aneinandergeschmiegt sitzen sie im Wagenfond und lassen noch einmal die Erlebnisse des Abends Revue passieren. Dann allmählich geht die Konversation in ein stummes Wohlbehagen über, sie legt ihren Kopf an seine Schulter. Während der Weiterfahrt schwelgt jeder von ihnen in seinen eigenen Gedanken. Waldi sinniert, welch Glück er hat, diese geliebte und bewundernswerte junge Frau als Kollegin, aber noch viel mehr als seine Lebensgefährtin an seiner Seite zu wissen, er muss aber auch daran denken, was für ein vertracktes Schicksal hinter ihrem Lebenslauf steckt.

      Nili Masal wurde in einem israelischen Kibutz am Fuße der Golanhöhen sehr nah an der damaligen Grenze zu Syrien geboren. Ihr jüdischer Vater Rubén Glickmann stammte aus Polen und fand, ebenso wie ihre in Schleswig-Holstein geborene Mutter Elisabeth Keller, von allen Lissy genannt, samt Kindern Asyl vor der Naziverfolgung in Bolivien. Rubén machte in La Paz seine Lehre und arbeitete anschließend in der Bäckerei von Lissys Vater Heiko Keller. Kaum war Israel 1948 zum jüdischen Staat im eigens dafür geteilten Palästina ausgerufen worden, überfielen es feindlich gesinnte Araber, sowohl jene im eigenen Territorium als auch die aus den umliegenden Nachbarländern. Weil wohl die Vernichtung Israels durch die gewaltige Überzahl sowie die übermächtige militärische Ausrüstung der Angreifer drohte, wanderte Rubén ebenso wie Tausende jüdische Männer und Frauen aus aller Herren Länder herbei, um ihr zurückerworbenes Heimatland zu verteidigen. Nach dem Ersten Weltkrieg, der nach blutigen und verzweifelten Kämpfen mit einem Waffenstillstandsabkommen endete, trat Rubén in den Kibutz Halonim ein. Dort nahm er, wie viele andere auch, einen sinngemäß übersetzten hebräischen Nachnamen an: aus dem jiddischen Glickmann wurde Masal, was gleichwohl ›Glück‹ bedeutet.

      Nachdem Nilis Großeltern, Heiko und Clarissa Keller, Anfang der fünfziger Jahre aus dem langjährigen Exil in Bolivien nach Oldenmoor zurückgekehrt waren, verbrachte ihre Mutter Lissy, damals noch ein Teenager, ihre beiden letzten Jahre bis zum Abitur in Hamburg. Danach machte sie ihren bereits in Bolivien gefassten Entschluss wahr, nach Israel auszuwandern. Da ihr Großvater Oskar Keller Jude gewesen war, meinte Lissy, sie sei zwar ja nur ›eine vierteljüdische Deutsche‹, jedoch hatten sie die gravierenden Begleiterscheinungen der argen nationalsozialistischen Ära, die sie, ihren Bruder Oliver und ihre Eltern zur Auswanderung genötigt hatten, derart geprägt, dass sie sich innerlich uneingeschränkt dem Judentum verbunden fühlte. Dies allerdings in einer absolut konfessionslosen Manier, denn ebenso wie ihr Vater und auch ihr Bruder hielt sie absolut nichts von irgendeinem rituellen Glauben oder dessen Religionsausübung. In Israel eingetroffen, trat Lissy ebenfalls in den Kibutz Halonim in Galiläa ein und gesellte sich dort zu den vielen Vereinskameraden ihrer vormaligen Lapazer jüdischen Jugendbewegung. Bereits während der Kindheit war sie betont naturverbunden gewesen. In den zumeist auf der Hacienda ihrer Nennonkel und -tante verbrachten Schulferien3 hatte sie sich immer schon besonders für die Aufzucht und die Hege von Federvieh interessiert. Diese Vorliebe brachte sie auch bald dazu, im großen Hühnerstall des Kibutz, dem Lul, zu arbeiten.

      Es dauerte dann auch nicht lange, bis sie bei der Kibutzleitung den Antrag stellte, Geflügelzucht wissenschaftlich studieren zu dürfen. Nun war Halonim erst zwei Jahre vor der Staatsgründung Israels von den aus mehreren südamerikanischen Ländern eingewanderten jungen Chalutzim4 gegründet worden und deshalb auch noch lange nicht wohlhabend. Trotzdem wurde ihr und einem Kollegen gestattet, an einer spezialisierten Ausbildungsstelle zu studieren, und man sagte ihr die Übernahme der dadurch entstehenden Kosten zu.

      Wegen ihrer riskanten Grenzlage wurde die Siedlung des Öfteren von marodierenden Eindringlingen aus dem syrischen Golan heimgesucht und die Bewohner standen deswegen stets in angespannter Wachsamkeit in Bereitschaft. Lissy war nach einiger Zeit eine engere Beziehung mit Rubén Masal eingegangen. Liliths – Lissys neuer israelischer Name – Liebesbeziehung zu dem ehemaligen Kameraden aus La Paz blieb nicht lange ohne Folgen, und so brachte sie ihren Sohn fast gleichzeitig mit dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums zur Welt. Beide hatten im Kibutz geheiratet und konnten nun von ihren bisherigen Junggesellen-Schlafgemächern zusammen mit dem Neugeborenen in ihren bescheidenen Shikun – eine kleine Behausung für Ehepaare – einziehen. In Erinnerung an Lissys Großvater, Hans-Peter von Steinberg, gaben sie ihrem Nachwuchs den Namen Hanan-Peres, sodass die Anfangsbuchstaben übereinstimmten. Kurz danach konnten sich beide wieder ihren Aufgaben – Rubén in der Bäckerei, Lilith bei ihren Hühnern – voll widmen. Wie in allen Kibutzim üblich, umsorgten tagsüber Kleinkinderbetreuerinnen alle neugeborenen Babys im gemeinsamen Hort. Lilith machte den Lul-Ausbau zu ihrer Lebensaufgabe. Die Stallungen wurden erweitert und den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Allerdings entschied man sich schon seit den Anfängen für eine artgerechte Bodenhaltung der Tiere, anstatt sie in jene engen Legebatterien zu pferchen, die gerade damals überall grassierten, weil als ›state of the art‹ gefeiert. Lilith sah ihre Schützlinge eher als Geschöpfe und eben nicht als nackte Brathändelspießkost oder Eierlegemaschinen an.

      Das friedliche Schaffen in der kommunalen Landwirtschaftsgemeinschaft wurde immerfort durch grausame Kriegsausbrüche jäh unterbrochen. Israel war seit der Staatsgründung ständig der Bedrohung der umliegenden feindlichen Nachbarn ausgesetzt, zu der sich nun auch der blutige Terror der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO unter Jassir Arafat summierte. Die während der ersten Befreiungskämpfe teils aus dem Territorium Israels geflüchteten, teils verjagten Araber hatten zwar in den angrenzenden Ländern ungeliebte Zuflucht, aber keinerlei Integration erfahren oder gar eine neue Heimat gefunden. Sie wurden von den Regierenden in Ägypten, Syrien, Libanon und Jordanien absichtlich in elenden Flüchtlingslagern unter sehr prekären Bedingungen zusammengedrängt und lebten dort wie ein wucherndes Geschwür. Es war in der Tat eine probate Methode, um ihren Hass auf Israel zu wahren und noch weiter zu schüren. Neben den immer wieder vorkommenden militärischen Kriegsscharmützel, die meist von der israelischen Armee erfolgreich abgewehrt werden konnten, waren es die oft vorkommenden Kommandoaktionen der PLO-Attentäter, die alle Grenz-Kibutzim und -städte zur kontinuierlichen und erhöhten Wachsamkeit zwangen. Auch Halonim befand sich in einer dieser unmittelbaren Gefahrenzonen und blieb nicht von solch hinterhältigen Attacken verschont. Da die mordlüsternen Täter meist im Schutz der Dunkelheit heranschlichen, waren an den strategisch relevanten

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