Blutige Maiglöckchen zum Hochzeitstag. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Blutige Maiglöckchen zum Hochzeitstag - Manfred Eisner страница 8
Es ist schon fast fünf Uhr nachmittags, als Nili sich aus der Umklammerung des Liebsten löst und auf den Wecker schaut. Sie setzt einen zarten Kuss auf Waldis Stirn, der nur mit einem leichten Grunzen quittiert wird. Grinsend dreht sie sich um und will gerade aus dem Bett steigen, als ein fester Griff an ihrem Handgelenk sie daran hindert. Mit einem kräftigen Ruck landet sie wieder an Waldis Brust.
»Die Flucht vor dem Feind ist arge Feigheit und wird auf der Stelle strengstens bestraft«, ertönt es von unterhalb der Bettdecke, unter die sie nun gezogen wird.
»Ich bekenne mich schuldig und sehne mich nach deiner Bestrafung«, flüstert Nili, indem sie Waldi auf den Mund küsst und sich anschließend auf ihn legt. »Was gibt’s hier heute Leckeres zum Abendbrot?«, fragt sie spitzbübisch, weiß sie doch ziemlich genau, dass Waldi fast nie etwas Nennenswertes, weder in seinem Kühlschrank noch in der Speisekammer, vorrätig hält.
»Was für dich der ›Grieche um die Ecke‹, deine Taverna Syrtaki mit dem liebenswerten Georgios und seiner Marita ist, ist bei mir mein ›grande amico‹ Massimo in der Feldstraße«, antwortet Waldi mit einem breiten Lächeln. »Nachdem uns Lutz und Marion bereits einige Male bei sich zum Essen hatten, habe ich die beiden für heute Abend eingeladen und einen Tisch bestellt, denn erfahrungsgemäß ist dort am Sonntag immer ›full house‹!«
»Ja, ich weiß, Waldi«, sagt Nili, küsst ihren Liebsten ein weiteres Mal und steigt aus dem Bett. »Wir waren ja schon einmal bei ihm. Aber für mich heißt es heute definitiv: nur eine Insalata Caprese zum Dinner. Sieh mal, ich kriege die Hose kaum noch zu!«
»Deine gute Absicht in Ehren, meine Liebe. Aber warte mal ab, bis du einen Blick auf Massimos Menükarte geworfen hast. Ich möchte nicht mit dir wetten, ob du dann noch bei deinem heroischen Entschluss bleibst!«
»Du mieser Schuft!«, schimpft Nili laut lachend und zieht sich an. »Aber ich möchte bitte keine Klagen hören, wenn du deswegen bald eine fette und hässliche Polizistin umarmen must!«
Ein wenig später sitzen beide Paare im Ristorante da Massimo an einem Tisch am Fenster, durch das man auf die Straßenterrasse mit Glasdach und -fensterwände blickt, für die es allerdings zurzeit in den frühen Abendstunden noch etwas zu kühl ist. Massimo, bei dem Waldi schon seit vielen Jahren Stammgast ist, heißt sie mit einem breiten »Benvenuti, carissimo dottore ed amici!« herzlich willkommen. »Wunderbar, Sie gerade ’eute zu mir da sind fur meine Spezial Osso buco! ’abe extra gemackt fur buoni amici mit Kalbs’axe kommt von Bio’of Kuhl in Krumbeck; due Kalbe hat er esclusivi fur meine Ristorante geschlachtet!«
»Dann muss ich mich eben wohl oder übel meinem Schicksal ergeben!«, seufzt Nili resigniert, nachdem keiner ihrer Einwände Massimos begeisterndem Redeschwall gewachsen war.
Waldi grinst. »Habe ich dir doch prophezeit, oder?« Er lauscht in Richtung eines der Nachbartische, wo Massimo gerade seinen Block gezückt hat, um die Bestellung aufzunehmen.
»Qui bei Massimo nix Pizza! Hier eccellente Ristorante! Wenn du Pizza wollen, dann geh’ Bahnhof!«, dröhnt die empörte Stimme des ›Padrone‹. Vergnügt beobachtet die Viererrunde den aufgebrachten Ein-Stern-Gastronomen, der sogleich die Banausen, die es gewagt haben, bei ihm eine Pizza zu bestellen, zur Tür hinauskomplimentiert.
»Salve, dottore Walter, buona sera, signori«, begrüßt wenig später eine adrette Frau mittleren Alters die Runde und stellt eine dunkle Flasche Olio di oliva extravergine dal Vall’Prino der Marke Frantoio Banzini, Dolcedo sowie eine Schale mit kleinen schwarzen Taggiasca-Oliven und einen Korb mit selbst gebackenem Brot auf den Tisch. »Come sempre, dottore! Wünsche wie immer buon appetito mit dem ›Primuruggiu‹ meines Zio Alberto.« Sie lächelt ihnen freundlich zu und entschwindet genauso lautlos, wie sie an den Tisch gekommen ist.
»Mille grazie, carissima Laura!«, ruft Waldi ihr hinterher. »Massimos Tochter«, erläutert er. »Dieses Primuruggiu ist ein wahres Juwel unter den nativen Olivenölen aus Ligurien. Ich lernte es vor fünf Jahren kennen und schätzen, als Massimo mir anbot, in seinem kleinen Häuschen Urlaub zu machen. Es liegt in dem malerischen Bergdorf Canneto Soprano inmitten von Olivenbäumen an einem Südhang oberhalb von Imperia. Das Dorf zählt vielleicht gerade mal zwanzig Häuser, von denen etwa die Hälfte noch von einheimischen Olivenbauern bewohnt ist. Die restlichen Häuser gehören heute Deutschen, Schweizern und Franzosen, die dort nur gelegentlich einige Urlaubswochen verbringen. Ich lernte im Ort sehr liebe Nachbarn kennen, denn dank meiner dafür gerade noch ausreichenden italienischen Sprachkenntnisse gelang es mir, rasch mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Besonders freundete ich mich mit dem Olivenbauernehepaar Maria und Angioletto an. Eines Tages nahm mich Angioletto mit in das Nachbardorf Dolcedo zum sogenannten Frantoio – das ist eine Ölmühle. Dorthin brachte er seine am Vortag so mühsam an den terrassenförmigen und sehr steilen Hängen von Hand geernteten kleinen Taggiasca-Oliven zur Pressung. Es war früh im Februar und die in diesem Monat geernteten Früchte sind bei der Familie Banzini – ein Schwager unseres Massimo – ziemlich begehrt, weil Lauras Onkel Alberto daraus diesen besonderen ›Nektar der Götter‹ – wie er ihn bezeichnet – herstellt. Zu Saisonbeginn und wenn sofort verarbeitet, haben nämlich Oliven einen markant hohen Anteil an ungesättigten Ölsäuren, was sie, von Diätetikern empfohlen und von Kennern besonders begehrt, sehr wertvoll und teuer macht. Diese Taggiasca-Oliven – nach der kleinen Ortschaft Taggia in der Nähe von San Remo benannt –, die nur an den Hängen der ligurischen Täler gedeihen, sind zwar klein, haben aber einen sehr aromatischen und charakteristischen Geschmack, wie ihr hier selbst feststellen könnt.« Waldi pickt demonstrativ ein paar Oliven mit einem ZahnstocTitleher und probiert sie. Nachdem er die abgenagten Kerne auf dem kleineren Teller abgelegt hat, führt er fort: »Stimmt doch, oder? Also, obwohl heute die Oliven nach dem Aussortierern und Waschen üblicherweise von modernen Trommel-Mahlwerken samt ihren Kernen zu Brei gemahlen werden, bedient sich Alberto für dieses spezielle Öl noch immer eines althergebrachten ›Mulino a pietra‹, des traditionellen Naturmühlensteins, der auf dem ebenfalls steinernen Mühlenbett langsam kreisend die Olivenkerne behutsam zerquetscht und zum Brei maischt. Die Maische wird anschließend in aus Naturfasern selbst geflochtene korbähnliche Biete überführt und diese in der handbetriebenen Holzpresse gestapelt. Nun wird der Pressstempel heruntergefahren und nur ganz leicht auf das Maischepaket gelegt, sodass das fast klare Öl aufgrund des Eigengewichts von selbst langsam aus den Körben herabtröpfelt und sich in der Abflussrinne der Presse ansammelt. Von dort wird es in den Vorratstank oberhalb der Flaschenfüllanlage gepumpt und sofort abgefüllt. Das ist der berühmte Primuruggiu, ein Ausdruck im ligurischen Dialekt, den man sinngemäß mit ›erstem Erguss‹ übersetzen kann: das pure, reine Öl, die Seele der Olive, wie mir Angioletto verklärt vermittelte.«
Waldi öffnet die Flasche und gießt eine Portion des hellgrün schimmernden und leicht trüben Öls auf einen Teller. Dann greift er sich eine Scheibe von dem Brot, bricht davon ein kleines Stück ab und stippt es hinein.
»Probiert es! Für den ungeübten Gaumen mundet es vielleicht ein wenig pikant, aber mit Sicherheit