Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten. Adrian Plass
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Ulkig, wie einem manchmal so kleine Dinge in den Kopf kommen, nicht wahr? Kleine Eingebungen, die einerseits von Gott stammen, andererseits aber auch nur ein Haufen Blödsinn sein können, wie zum Beispiel bei jener denkwürdigen Gelegenheit, als ich dachte, Gott hätte mir vielleicht gesagt, ich solle mir einen Laubfrosch kaufen und ihn Kaiser Wilhelm nennen. Ich dachte schon, die Geschichte würde mich bis ans Grab verfolgen. Wenn ich es recht bedenke, kann es durchaus noch so weit kommen. Die anderen wärmen diese Sache immer noch jedes Mal auf, wenn sie finden, dass ich mal wieder auf den Teppich geholt werden müsste.
Lass Leonard das machen.
»Weißt du was, Leonard? Wie wär’s, du versuchst mal, die Knöpfe an zwei diagonalen Ecken festzumachen und dann von da aus weiterzuarbeiten?«
»Meinst du, das funktioniert?«
»Einen Versuch wäre es wert.«
Wie ein Jäger beim Anpirschen an einen waidwunden Büffel tastete er sich behutsam bis zu der Leinwand vor und löste, ein Auge zugekniffen, die beiden Knöpfe, die nach seiner letzten Attacke noch gehalten hatten. Wenige Minuten später hatte Leonard mit für seine Verhältnisse beängstigender Leichtigkeit alle Knöpfe befestigt und die Leinwand fest in den Rahmen eingespannt.
»Na so was«, sagte Thynn, als er zurücktrat und die Stätte seines Triumphes begutachtete, »das war der richtige Trick! Ich glaube, während der Tournee sollte lieber ich mich um solche Dinge kümmern, Adrian. Man braucht ein bisschen Fingerspitzengefühl dafür. Am besten überlässt du das mir.« Schließlich fügte er frotzelnd hinzu, »wollen wir ja nicht, dass etwas kaputtgeht, oder?«
Spielte mit dem Gedanken, einen Teil der Saalbestuhlung auf seinem Schädel zu zerschlagen, beschloss aber dann, diese Segnung für mich zu behalten …
Donnerstag, 16. September
Morgen beginnt die Tournee!
Heute Abend kamen alle bei uns zum Kaffee zusammen, um letzte Absprachen zu treffen und Barry mit den anderen bekannt zu machen. Edwin, unser Gemeindeältester, war auch da, sozusagen als Abordnung meiner Unterstützergruppe in der Gemeinde.
War ein bisschen nervös, bevor unser Wohltäter eintraf, und noch nervöser, nachdem er schon eine Weile da war. Fing ernsthaft an, mich zu fragen, ob es nicht doch besser wäre, die ganze Sache mit kleinem Budget durchzuziehen. Ich glaube, die Tatsache, dass er das Ganze finanziert, ist ihm ein bisschen zu Kopf gestiegen. Am Anfang des Abends ging eine Menge Zeit damit drauf, dass Ingstone uns Vorträge darüber hielt, wie wir leben, denken und fühlen sollten, natürlich untermauert von einer Vielzahl von Versen aus einem verwirrenden Arsenal biblischer Bücher.
Angels starrte ihn an, als käme er vom Mars. Edwin machte ein leicht verwundertes Gesicht. Anne kniff die Lippen zusammen und atmete durch die Nase. Leonard bekam solche Kulleraugen, dass er tatsächlich einem Marsianer zum Verwechseln ähnlich sah. Gerald sagte lange Zeit überhaupt nichts. Eigentlich machte er kaum den Mund auf, bis Ingstone, der vielleicht merkte, dass er das ganze Gespräch allein bestritt, in seinem bibelkundlichen Vortrag lange genug innehielt, um Gerald zu fragen, wie denn die Dinge in seiner Gemeinde stünden.
Spürte, wie sich mein Nacken spannte, als Gerald anfing, in jenem bierernsten Tonfall zu sprechen, der, wie Anne und ich nur zu gut wissen, meistens bedeutet, dass er vorhat, absoluten Blödsinn zu reden.
»Tja, nun, Barry, in unserer Gemeinde liegt einer der großen Parks von London«, sagte er, »sodass wir eine Menge mit Leuten zu tun haben, die – nun ja, Sie wissen schon.«
»Mit Leuten, die … ?«
Gerald blies die Backen auf, hielt sich eine Hand zu einer Schale geformt einige Zentimeter vors Gesicht und ballte dann die andere zur Faust, streckte den Arm aus, so weit es ging, um ihn dann wieder zurückzuziehen.
»Verstehen Sie …«
Barry machte Augen, so groß wie Tortenplatten.
»Oh – Sie meinen Leute, die …«
»Genau.«
»Ach, solche Leute meinen Sie.«
»Ja, so ist es – Leute, die im Leben keine wirkliche Erfüllung finden ohne regelmäßige Gelegenheiten, wahllos zu einem Blasinstrument zu greifen.«
»Ohne …«
»Ich weiß nicht, ob es Ihnen bewusst ist, Barry, aber Untersuchungen zeigen, dass mindestens jeder fünfundzwanzigste Mann und ein unbekannter Prozentsatz der Frauen ein irgendwie geartetes Blasinstrument besitzt. Man stelle sich das vor. Die meisten verstecken es natürlich irgendwo. So sehr haben sich die Zeiten noch nicht geändert. Es gibt immer noch eine Menge Intoleranz. Manchmal sind ganze Familien außer sich vor Staunen, wenn sie entdecken, dass der Vater, Bruder, Sohn oder Großvater, den sie doch so gut zu kennen glaubten, seit Jahren ein Waldhorn, ein Flügelhorn oder vielleicht sogar eine Tuba in seinem Schrank versteckt hält.«
»Ein Flügelhorn …«
»Und die Grünanlage in der Nähe unserer Gemeinde ist der Ort, den solche Leute aufsuchen, um andere zu finden, die dieselben – nun, dieselben Bedürfnisse und Probleme haben.«
»Tatsächlich?!«
»Oh ja. Wenn man an einem späten Sommerabend nach Einbruch der Dunkelheit dort entlanggeht, hört man es allenthalben im Unterholz und in den Büschen rascheln. Man erhascht Blicke auf undeutliche Gestalten, die von Schatten zu Schatten huschen, jeder ein irgendwie geartetes Blasinstrument in der Hand, in der Hoffnung, jemanden mit ähnlichen Neigungen zu finden, der zu einem flüchtigen Duett in einer dunklen Ecke bereit ist, ohne groß auf die Pauke zu hauen – was ja auch mit Blasinstrumenten nicht geht, nicht wahr? Das funktioniert so: Sagen wir, ein Mann mit einem Tenorfagott trifft hinter einem Baum einen anderen mit einer Tuba. Man flüstert sich nur ein paar Worte zur Begrüßung zu und einigt sich auf eine Tonart, und ehe man sich versieht, haben sie den Radetzky-Marsch angestimmt. Ein paar Minuten später ist alles vorbei. Beide huschen im Schutz der Dunkelheit davon und werden sich vermutlich nie wiedersehen. Denn leider, Barry, ist es nur die kurzfristige Harmonie, auf die sie aus sind, nicht irgendein längerfristiges musikalisches Engagement. Wenn man um Mitternacht dort entlanggeht, hört man in manchen Nächten von überall her kurze musikalische Ausbrüche. Ist es nicht ein Segen, Barry, dass wir wissen, wie wir als Christen solchen Menschen begegnen müssen?«
Barry schien von Geralds todernster Miene völlig hypnotisiert zu sein.
»Wissen wir das? Ich meine – ja, ja, natürlich wissen wir das. Ich meine – wie meinen Sie das?«
»Ach, das wissen Sie doch so gut wie ich, Barry. Wir hassen die Posaune, aber wir lieben den Posaunisten, ist es nicht so?«
»Lieben den Posaunisten …«, wiederholte Ingstone benommen.
»Mir persönlich fällt das nicht leicht«, fuhr Gerald fort. »Ich habe mit einem tiefen inneren Abscheu gegen solche wahllos herummusizierenden Leute zu kämpfen. Es würde mir viel leichter fallen, wenn sie schwul wären. Finden Sie nicht auch?«
Barry war buchstäblich sprachlos. War nicht das erste Mal, dass Gerald diese Wirkung auf jemanden hatte. Er trägt derartigen höheren Blödsinn mit solch fließender Ernsthaftigkeit vor, dass ein argloser Zuhörer in eine Art Trance geraten kann und sich erst einmal in Gedanken auseinanderklamüsern muss, was er da eigentlich gerade gehört hat,