Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten. Adrian Plass
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»Eigentlich ist es noch nicht fertig«, sagte sie entschuldigend, »das heißt, nichts, was ich mache, ist jemals wirklich fertig, aber ich werde es euch vorlesen. Es heißt ›Regenbogen‹.«
Ich habe es mir abgeschrieben.
Mit unverschämter Bescheidenheit
Schwelgerischer Schlichtheit
Einzigartiger Normalität
Stürzen wir, die wir über den Erdboden fliegen
Kopfüber ins springende Meer
Aufgetürmt zu bodenloser Tiefe am stillen, rastlosen Himmel
Grob liebkost von monströser Schönheit
Gefangen in der Freiheit des verdunkelnden Lichts
Selbstsüchtiges Geschenk der Mitternachtssonnen
Verbrannt vom Eis
Verraten von der Treue
Entfesselt in unseren Ketten
Aus dem Kern geschüttelt
In den sengenden Schatten
Wir, die heruntergekommenen Reichen, liegen aufgebahrt
Und sehnen uns nach Unerfüllung
Und dem blühenden Tod
Verfluchen voller Freude die donnernde Stille
In die wir tragisch, tödlich geboren sind
Heilige Weltlichkeit
Uralte Frische
Ermüdend Neues
Solch gigantische Details
In Gold gefasst und düster
Weichen auf uns zu durch den Nebel, der alles offenbart
Bis der Regenbogen wie ein Traum vom Krieg
In strahlender Einfarbigkeit
Sich schnurgerade wie ein Pfeil
Unsichtbar
Ins Blickfeld schwingt.
Eine widerhallende, verdatterte Stille legte sich über uns, als Angels ihre Lesung beendet hatte.
Hörte Gerald tonlos murmeln: »Weichen auf uns zu? Entfesselt in unseren Ketten? Heilige Weltlichkeit? Hmm …«
Kam zu dem Schluss, dass dieses Gedicht definitiv zur undurchdringlichen Sorte gehörte, wahrscheinlich zur undurchdringlich schlechten, denn, wie Gerald später sagte, es schien auf so etwas wie einem verbalen Zaubertrick zu beruhen, wo man einfach eine lange Liste von Begriffspaaren macht, die nicht zusammenpassen, und sie dann trotzdem zusammenstellt. Auf der anderen Seite hatte das Ganze irgendwie einen grandiosen Klang an sich. Sehr eigenartig. Fragte hinterher Anne, wie sie es gefunden habe. Sie sagte, für sie habe es sich angehört wie das Werk einer sehr intelligenten Person, deren Gehirn durch irgendetwas, was nicht gut für sie war, durcheinandergebracht worden sei. Fragte mich, ob ich bemerkt hätte, dass Angels die meiste Zeit gesprächig und normal und fröhlich war, aber immer dann, wenn sie anfing, über Kunst oder irgendein anderes abstraktes Thema zu sprechen, in eine andere Welt abzudriften schien, in der man ihr nicht mehr recht folgen konnte. Dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass sie recht hatte. Später am Abend zum Beispiel teilte uns Leonard noch etwas über seine neue Freundin mit.
»Angels ist Tänzerin, nicht wahr, Angels?«
»Nun, ja, das stimmt – das ist mein Beruf.«
»Wirklich!«, rief Anne. »Wie interessant. Davon haben wir so gut wie keine Ahnung. Darf ich fragen, was Tanz für Sie bedeutet, Angels?«
Wieder dieser abwesende Ausdruck in ihren Augen, aber auch noch etwas anderes – eine Furcht, etwas Drängendes. Beim Sprechen machte sie elegante, wedelnde Bewegungen mit ihren Fingern, doch die Worte kamen aus ihrem Mund wie tote Blätter, die ziellos im Wind wehen.
»Was Tanz bedeutet? Nun, für mich geht es beim Tanzen im Wesentlichen darum, die philosophischen Parameter eines spezifischen kreativen Prozesses zu erfassen und dann den Mut aufzubringen, sie mit künstlerisch kohärenten Kommunikationslinien miteinander zu verknüpfen. Ich sehe den Tanz als eine fundamentale Neuausrichtung spiritueller Energie, die sich verbindet mit der Vision eines konkreten Anderen oder auch innerhalb der eigenen selektiven Vorstellungswelt. Für Tänzer ist es wichtig, sowohl den Fluss als auch die Unterströmungen des menschlichen Herzens als Schöpfer von Wellen und Gezeiten auf dem Ozean der menschlichen Erfahrung zu empfinden. Das ist es, künstlerisch ausgedrückt, was Tanz für mich bedeutet.«
Erneute widerhallende Stille. Dann sagte Thynn: »Dann geht es also nicht darum, nach einem bestimmten Muster die Beine zu bewegen?«
Angels machte die Augen wieder weit auf und sah ihn schmachtend an. »Doch, Leonard, das hast du sehr gut ausgedrückt. Du bist ein Mann mit außerordentlichem Einsichtsvermögen.«
»Bin ich das?«, sagte Leonard und machte ein überraschtes, geschmeicheltes Gesicht. »Bisher haben mir eigentlich alle zu verstehen gegeben, dass ich alles andere bin als das. Mein alter Schuldirektor sagte mir, ich sei das primitivste Überbleibsel neandertalscher Begriffsstutzigkeit, dem er je zu begegnen das Missgeschick gehabt habe.«
Er lächelte nicht ohne einen gewissen Stolz.
»Das habe ich mühelos auswendig gelernt. Er hat es mich nämlich hundertmal abschreiben lassen, nachdem er so kleine weiße Flecken in den Mundwinkeln bekommen hatte, weil er mir etwas partout nicht beibringen konnte – irgendetwas mit einer x Zentimeter tiefen Badewanne, die sich in y Stunden füllte, wenn z Liter Wasser alle was weiß ich für ein Buchstabe Minuten hineinflossen.«
»Wisst ihr was? Das ist doch großartig!«, sagte Anne. »Wir könnten eine Tänzerin für unsere Tournee gebrauchen, meinst du nicht, Adrian? Besonders jetzt, wo Barry uns so ein großzügiges Angebot gemacht hat?«
»Äh, ja – ja, warum nicht?«
Versuchte, mir gegenüber Anne nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich dieser angedeutete Vorschlag erschreckte. Ich habe gelernt, den Instinkten meiner Frau zu vertrauen, aber ich muss zugeben, dass ich mit Tänzern in der Kirche selbst unter günstigsten Voraussetzungen nicht viel anfangen kann. Mir kommt es immer so vor, als ob sie sich in Gewänder hüllen, die verhindern, dass man sieht, was für Bewegungen sie machen oder welchen Geschlechtes sie sind, und dann mit einer von ungefähr vier verschiedenen flehenden Gesten nach oben deuten und mit einem Knie in der Luft anbetend auf die Lampenschirme starren. Außerdem konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass Angels, wenn ihr Tanz von der gleichen Qualität war wie ihre Lyrik, sich vermutlich in der Tat gleichzeitig vorwärts und rückwärts bewegen sowie in die Luft springen und zu Boden fallen würde. Vermutlich würden wir nicht einmal eine Chance haben, Angels selbst tanzen zu sehen, bevor die Tournee begann.
»Sagen Sie, Angels«, fragte Anne, als hätte sie meinen letzten Gedanken gelesen, »treten Sie in den