Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten. Adrian Plass

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Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten - Adrian Plass

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blickte zu Boden. Ihre Stimme hörte sich deutlich leiser an.

      »Ich habe schon seit Langem nicht mehr viel gemacht. Es war schwierig. Aber morgen Nachmittag mache ich etwas bei den alten Leuten im Seniorenstift Clay House. Keine große Sache, aber wenn Sie wirklich Lust haben …«

      Vereinbarten, morgen Nachmittag zum Zuschauen zu kommen.

      »Übrigens«, sagte Angels, »was ist das eigentlich für eine Tournee, auf die Sie gehen?«

      Thynn wurde bleich und sah Anne und mich beschwörend an.

      »Es ist eine christliche Vortragsreise«, sagte Anne freundlich, aber bestimmt. »Wir sind Christen. Adrian schreibt christliche Bücher, die die Leute – nun, sie finden sie ziemlich witzig und manchmal auch hilfreich. Die Tournee ist für uns eine Gelegenheit, den Leuten mehr über Jesus zu erzählen.«

      »Ach so«, sagte Angels. Sie runzelte die Stirn und wandte sich an Leonard. »Dann bist du auch Christ, Leonard?«

      »Manchmal«, sagte Thynn unglücklich, »aber nicht wirklich, na ja, ich schätze schon.« Plötzlich geriet er in Panik:

      »Aber ich kann jederzeit damit aufhören, wenn du mich deswegen nicht mehr magst! Mir ist es egal, was ich bin, ehrlich! Was bist du? Ich werde auch einer.«

      »Warum hast du mir das nicht gesagt?«, fragte Angels. »Ich bin froh, dass du einer bist. Wahrscheinlich hilft dir das dabei, so ein guter Mensch zu sein.«

      Schaute zu, wie Erleichterung, Verwirrung und Verlegenheit auf Thynns Gesicht Ringelreihen tanzten.

      »Und Sie, Angels?«, fragte Anne. »Haben Sie auch irgendeinen Glauben?«

      Wieder der abwesende Blick.

      »Ich glaube an eine heilige Verantwortung, sich auszustrecken und die Berührung des schlechthin Anderen zu empfangen, und ich glaube, wir sollten stets danach streben, die ätherischen Stränge zu zelebrieren, die in das wahre Menschsein eingewoben sind.«

      »Methodistin also«, sagte Gerald.

      Alle lachten, Angels genauso wie wir anderen.

      Fragte Anne beim Schlafengehen, was sie von Angels hielte.

      »Ich mag sie sehr«, sagte sie, »und es ist schön, Leonard so glücklich zu sehen. Sie hat wohl ziemlich schwere Zeiten hinter sich und es fällt ihr schwer, gewissen Dingen ins Gesicht zu sehen. Wir sollten sie in unsere Reihen aufnehmen, meinst du nicht? Vielleicht ist sie genau das, was wir brauchen, um unserer Tournee mal einen anderen Touch zu geben. Warten wir mal ab, wie es morgen ist.«

      Hmm! Ich mag Angels auch. Kann aber einfach die leise Sorge nicht abschütteln, dass die »philosophischen Parameter eines spezifischen kreativen Prozesses« sich am Ende als ein bisschen Herumhüpfen und Mit-den-Armen-Wedeln entpuppen werden. Wir werden sehen.

      Anne, Gerald und ich machten uns heute Nachmittag auf zum Seniorenstift, um Angels beim Tanzen zuzuschauen. Riefen vorher noch mal an, um uns zu erkundigen, ob das geht. Die verantwortliche Person meinte, das sei kein Problem. Ihre alten Damen und Herren sähen gern mal neue Gesichter, sagte sie uns, aber wir müssten darauf gefasst sein, dass sie ein bisschen komisch reden und sich benehmen würden, da etliche von ihnen schon ziemlich abständig seien.

      »Wie Tante Felicity im ›Eight Bells‹«, sagte Anne, als ich ihr davon erzählte.

      Die Erinnerung an unsere früheren Ausflüge ins Eight-Bells-Wohnheim für Matrosenwitwen machte mich ein bisschen nervös. Die gute Tante Felicity, inzwischen längst dahingeschieden, behauptete immer stocksteif, ich sei vor einigen Jahren gestorben, und wenn Anne und ich sie besuchten, schien sie mein Aussehen als endgültige Bestätigung dieser fest verwurzelten Überzeugung aufzufassen. Einmal, als ich selbst im Zimmer stand, sogar direkt vor ihr, gab sie Anne den dringenden Rat, mich kremieren zu lassen, bevor ich anfinge zu stinken.

      Clay House, das Seniorenstift, machte innen einen angenehm freundlichen und heiteren Eindruck, obwohl einige der alten Leutchen, denen wir heute begegnet sind, mich ein bisschen traurig gemacht haben. Gleich jenseits der sorgfältig verschlossenen Eingangstür stießen wir auf eine Dame mit rosigen Wangen, die wohl Ende achtzig, Anfang neunzig sein musste. Unterm Arm hielt sie einen ebenso antik aussehenden Teddybären an sich geklammert.

      »Hallo«, sagte sie in freundlichem, etwas nervösem Tonfall.

      »Ich heiße Elizabeth. Ich warte hier auf meine Mami und meinen Papi. Sie kommen bald, um mich abzuholen.«

      »Oh, das ist aber schön«, sagte Anne. »Aber wollen Sie nicht erst noch beim Tanzen zuschauen, Elizabeth?«

      Wie ein kleines Kind nahm Elizabeth Annes Hand und wir gingen einen langen, breiten Korridor entlang zu einem sonnendurchfluteten, rechteckigen Aufenthaltsraum, in dem zwanzig oder dreißig Heimbewohner auf ringsum an den Wänden aufgestellten Lehnstühlen saßen. An einer Seite des Raums, in der Nähe einer Durchreiche zu einer kleinen Küche, kniete Angels auf dem Boden und hantierte mit einem tragbaren CDSpieler. Als wir hereinkamen, blickte sie auf und sah uns. Sie winkte, wurde ein bisschen rot und lächelte; dann kümmerte sie sich weiter um ihre Musik.

      Wenige Minuten später stand Mrs. Banyon, die Dame, mit der ich telefoniert hatte, auf und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

      »Nun, meine Damen und Herren«, sagte sie schwungvoll, »heute Nachmittag haben wir etwas ganz Besonderes. Angels Twitten ist hier und wird für uns tanzen – Sie erinnern sich doch alle an Angels, nicht? Sie hat uns schon einmal besucht.« Ihre Frage rief zustimmendes Gemurmel und hier und da ein Lächeln von einigen der betagten Heimbewohner hervor, doch etliche fuhren einfach fort, auf ihrem Stuhl zu schaukeln oder vor sich hin zu starren oder zu schlafen, während ein gebückt gehender Mann, in dessen Gesicht sich tiefe Unmutsfalten eingegraben hatten, einen Ausfall zur Tür machte und dabei mürrisch vor sich hin knötterte, er hasse »dieses blöde Rumgehopse«. Zwei Pfleger geleiteten ihn sanft zurück zu seinem Platz. Sie gingen sehr freundlich mit ihm um, aber ich konnte nicht umhin, Mitleid mit dem alten Mann zu empfinden.

      »Und außerdem«, fuhr Mrs. Banyon fort, »haben wir noch drei weitere Gäste unter uns – Adrian, Anne und Gerald Plass, Freunde von Angels, die wir sehr herzlich hier begrüßen wollen.«

      Wieder Gemurmel, Lächeln und hier und da ein Brummen. Dann war Angels mit ihrer Tanzdarbietung an der Reihe.

      Inzwischen graute mir davor. Ich war richtig sauer auf Anne, weil sie von der Tournee gesprochen hatte, bevor wir Angels überhaupt hatten tanzen sehen. Falls ihr »künstlerischer Ausdruck«, wie ich vermutete und fürchtete, sich als eher gekünstelt und schlecht erweisen sollte, würde es scheußlich peinlich für uns alle werden. Irgendwie mussten wir es dann hinkriegen, nicht mehr von der Tournee zu sprechen, und sie würde natürlich genau wissen, warum nicht, und die Situation würde auf der ganzen Linie angespannt und unangenehm sein. Als die Musik begann und Angels ihre Ausgangsposition in der Mitte des Raums einnahm, war mir das Herz schwer.

      Sie war fantastisch.

      Das erste Musikstück, zu dem sie tanzte, war ein Orchesterstück im Staccato mit einem Chor, dessen vereinte Stimmen die Funktion eines zusätzlichen Musikinstruments zu haben schienen. Das Stück hatte einen drängenden, jagenden Rhythmus und einen leicht hysterischen Unterton, der einen aufregenden, fast gefährlichen Eindruck hinterließ. Angels begann mit langsamen, forschenden

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