Die Geschichte der Zukunft. Erik Händeler

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Die Geschichte der Zukunft - Erik Händeler

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      Auch sind die Zeiten um Jahrhunderte vorbei, als es für einen König die beste Wirtschaftsförderung bedeutete, Flächen an die Kirche oder Klöster zu übertragen, die daraus dann blühende Landschaften machen. 1789 sehen die Unternehmer den Klerus ein Drittel des Nationaleinkommens schlucken (wenn auch nicht nur für den Luxus der Bischöfe, sondern ebenso für soziale Aufgaben) und damit eine Theologie aufrechterhalten, die Gebildete schlicht als infantil empfinden. Die Ortspfarrer, in der Regel lauter und tugendhaft, müssen den größten Teil der Einnahmen an die adeligen Bischöfe abgeben und daher sowohl der Kirche dienen als auch ihren Lebensunterhalt selbst auf dem Feld erarbeiten. Viele von ihnen werden bei der Revolution den dritten Stand unterstützen, während die Bischöfe gegen gesellschaftliche Veränderungen sind. Es ist nicht die Schuld des Kirchenvolkes, wenn die Institution – und eng an ihr Zeugnis gekoppelt der Glaube an Gott – an Boden verliert. Die Zahl der Priester geht immer weiter zurück, alte Klöster zerfallen – zwischen 1766 und der Revolution sinkt ihre Zahl von 26.000 auf 17.000, manche nur noch mit wenigen Mönchen belebt.

      Während die Dörfler gläubig sind – sie werden ihren Glauben in der Revolution gegen den aggressiven Atheismus der Pariser Zentralregierung mit Aufständen verteidigen –, glaubt in den Städten nur noch jeder zweite gebildete Mann an Gott. Die französische Kirche fordert daher 1770 eine Medienzensur und schickt dem König eine Denkschrift über »die gefährlichen Konsequenzen der Freiheit des Denkens und des Druckens«.12 Das ist keine gute Idee. Denn damit behauptet sie, sie hätte keine besseren Argumente, von dem persönlichen Beispiel der Kirchenfürsten ganz zu schweigen. Wer die Gewalt des Staates in Anspruch nimmt, um sich durchzusetzen (wie alle Staatskirchen), der verliert jede ideelle Unterstützung. Skeptizismus wird bei den Adeligen Mode. Und wenn sie sonntags in die Kirche gehen, dann nur, damit ihre Diener eine bessere Meinung von ihnen haben.

      Ärgerlich daran ist für die Bauern und geschäftstüchtigen Bürger, also für den dritten Stand, dass sie alleine Steuern zahlen – Adel und Klerus sind befreit. Hinzu kommt, dass sich der König selbst das Recht verleiht, jederzeit zu erklären, der Staat sei bankrott und das vom Mittelstand geliehene Geld verloren. Nun spitzt sich Ende der 1780er Jahre die Situation zu: Der König ist bereits ausweglos verschuldet. Die Regierung will Staatsanleihen nicht mehr in fester Edelmetall-Währung, sondern nur noch in Papiergeld auslösen, dessen Wert durch Inflation aufgefressen wird. Die steuerzahlende Mittelklasse hat plötzlich Angst um ihr Erarbeitetes und ist nicht mehr bereit, sich ihren Reichtum von Arroganten und Unfähigen gefährden zu lassen.

      Es geht den Bürgern also um ihre eigene Brieftasche und darum, wenigstens kontrollieren zu dürfen, wie die unfähige Staatslenkung das sauer erarbeitete Geld der Gewerbetreibenden ausgibt. Von den 26 Millionen Franzosen gehören über 25 Millionen weder dem Adel (erster Stand) noch dem Klerus (zweiter Stand), sondern eben dem dritten Stand an – aber jeder der drei Stände hat in der Generalversammlung dasselbe Stimmgewicht. Da die oberen beiden Stände mit der Monarchie stimmen, haben die Bürger von vornherein verloren. Ihnen bleibt gar nichts anderes mehr übrig, als sich zur eigentlichen politischen Macht, zum Repräsentanten der ganzen Nation, zu erklären.

       Neues destabilisiert die Gesellschaft

      Die Französische Revolution vollzieht auf der politischen Ebene nach, was auf der wirtschaftlichen und religiösen Ebene schon begonnen hat. Sie stürzt nicht nur einen Bereich der Wirklichkeit, sondern alle Systeme: Wirtschaft, Glaube und Staat. Technische Entwicklungen und die dafür nötigen institutionellen Innovationen haben freie Bahn. Die Dämme der bisherigen Gesetze, Bräuche und Frömmigkeit brechen schneller, als eine neue funktionierende Ordnung errichtet werden kann. Alle Emanzipationsbewegungen sind am Anfang destruktiv. Als die Konstituierende Versammlung nach zwei Revolutionsjahren die Macht erobert hat, schafft sie die Feudalherrschaft der Adeligen ab, konfisziert Kircheneigentum, legalisiert Organisationen und Zusammenschlüsse der Kaufleute und Fabrikanten, verbietet aber – von wegen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – alle Zusammenschlüsse der Arbeiter. Die chaotische Volksherrschaft mit massenweisen Hinrichtungen wird erst domestiziert durch die Rückkehr zu einem Alleinherrscher Napoleon, später dann durch eine funktionierende Gewaltenteilung. Das macht Hoffnung, daran zu glauben, dass die destruktiven Erscheinungsweisen eines befreiten Individualismus heute auch wieder domestiziert werden können – durch eine ausbalancierte Kooperationsfähigkeit.

      Es ist jedoch glatt gelogen, darüber zu klagen, wie alles immer schlimmer wird, wo doch früher alles so gut und die Menschen so gesittet und friedlich gewesen sind. Wahr ist, dass technische Veränderungen die Gesellschaft durcheinander rütteln und die alten Verhaltensmaßstäbe und Organisationsstrukturen destabilisieren, sodass der nächste Kondratieffzyklus mit chaotischen Begleiterscheinungen beginnt. Damit neue Strukturen aufgebaut werden können, müssen alte zerstört werden. Das Problem daran ist, dass es nicht gelingt, beides gleichzeitig und langsam zu gestalten.

      1. Kondratieffabschwung Feudalismus macht Deutschland arm

      Dass Deutschland im ersten Kondratieff ein armes Land bleibt, hat daher aus Sicht der Kondratiefftheorie gesellschaftliche Gründe: Wenn seine Bewohner nicht die (Infra-)Strukturen für eine neue Basisinnovation bereitstellen, dann machen sie ein paar neue Dampfmaschinen allein eben auch nicht wohlhabender. Auch wenn es am Anfang noch danach aussieht: Deutschland erlebt den ersten Kondratieff im Krieg als Hochkonjunktur. Im Ruhrgebiet blüht die Industrie kurz auf, weil sie die Kontinentalsperre vor englischen Waren schützt; die Bauern erzielen dank der hohen Nachfrage gute Preise. Doch nach dem Krieg haben die Deutschen als kaum industrialisiertes Land keine Chance im Wettbewerb. Sie profitieren zuwenig vom Aufschwung und sind vom Abschwung der 1820er/​30er Jahre doppelt getroffen.

      Schuld daran sind nicht die Engländer, die ihre Dampfmaschinen-Technologie hüten und Ingenieuren verbieten, ihr Wissen ans Ausland weiterzugeben; es liegt an der deutschen Gesellschaft selbst, die nichts von dem vorbereitet hat, was dieser neue Strukturzyklus braucht: Arbeiter, eine Unternehmerschicht, Kapital, einen Binnenmarkt, Transportwege wie die Kanäle in Frankreich und England, und es fehlt an Ballungszentren als Absatzgebiet, die größere Ressourcen für Investitionen mobilisieren können. Die deutschen Adeligen schauen auf Geschäftsleute herab – sie lassen niemanden von ihnen in ihre Kreise einheiraten. Mutigen fehlen Anreize, Kohle und Erze im Boden industriell zu verwerten. Zünfte schränken gewerbliche Freiheit ein. Jedes Fürstchen kocht seine eigene Suppe.

      Bauern sind je nach Region noch an ihren Boden oder als Leibeigene an den Feudalherrn gebunden. Das ändert sich, als Preußen 1806 bei Jena von Napoleon gründlich geschlagen wird: Der Staat sieht ein, dass er mit gepressten Söldnern keine Schlachten gewinnen kann, sondern nur mit freien Soldaten, die für einen Staat kämpfen, von dem sie zumindest glauben, dass er ihre Sache sei. Also kommt es in Deutschland zur Bauernbefreiung (bis das revolutionäre Frankreich besiegt ist – danach werden die Möglichkeiten, ein freier Bauer zu werden, wieder zugunsten der Grundherren eingeschränkt).

      Aus Leibeigenen werden lohnabhängige Landarbeiter. Das hat auch einen Vorteil für den Grundherrn: Er ist nicht mehr verpflichtet, seine Bauern sozial zu versorgen – ihre Arbeit ist mit dem Tagelohn abgegolten. Und wenn es ihnen schlecht geht, weil sie oder ihre Kinder krank werden, dann ist das ihr Problem. Dort, wo Kleinbauern den Boden eines Grundherrn beackern und dafür bislang einen Großteil der Ernte abgeben müssen, wird es möglich, den Boden abzukaufen. Dafür nehmen viele Bauern einen Kredit auf, der sich auch gut bedienen lässt – zumindest während des ersten Kondratieffaufschwungs in den Napoleonischen Kriegen, als die Nachfrage groß ist: Die Preise, welche die Bauern für Lebensmittel erzielen, sind hoch, obwohl die Ernten steigen. Weideland und dörfliche Gemeinschaftsflächen werden mit der Bauernbefreiung in Äcker umgewandelt, Tiere kommen in den Stall. Statt Dreifelderwirtschaft (jedes dritte Jahr bleibt ein Acker brach liegen) kann der Boden dank wechselnder Fruchtfolge und Stallmist jedes Jahr bebaut werden. Der Markt saugt die gestiegenen Ernteerträge auf.

      Aber nur, bis der Krieg vorbei ist und die große Nachfrage ausbleibt, welche

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