Der Tag des Schmetterlings. Jens Böttcher
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Innerlich zählte sie bis zwanzig, um die Aggression im Zaum zu halten, die sie gelegentlich überkam, wenn sie ungeduldig wurde. Er würde die Karten schon gleich finden. Solche Leute fuhren nie schwarz.
„Was is denn nu, Rolf?“, sagte die Ehefrau des Suchenden vorwurfsvoll. „Du hast sie doch vorhin da eingesteckt, da in deine Innentasche, das hab ich doch gesehen.“
„ Ja, aber da sind sie ja scheinbar nicht“, sagte der Mann nervös und unterwürfig. Dann startete er die Suche von vorn, noch mal alle Taschen.
„Ro-holf, nu mach doch, du hältst ja den ganzen Verkehr auf ...“
„ Ja, gleich, gleich ...“
„In der Innentasche hab ich doch gesagt!“, insistierte die Frau.
„Aber da hab ich doch schon dreimal gekuckt!“
„ Ja, dann kuck eben noch mal!“
Die hübsche junge Frau schaute kurz von ihrem Modemagazin auf und verdrehte leicht die Augen. Der Herr in Hut und Mantel war sehr viel geduldiger und schaute mit freundlichem Blick und einem Lächeln aus dem Fenster.
„Da! Ich hab sie!“, schoss es plötzlich aus dem älteren Mann hervor.
Er hatte die Tickets am Ende gefunden. Sie waren tatsächlich in der Innentasche gewesen.
„Siehst du, Rolf ... und wo waren sie nun?“, herrschte die Frau ihn triumphierend an.
„Du hattest recht, Herthaschätzchen. Wie immer.“
„Natürlich“, sagte sie. Dann bestand sie darauf, dass ihre letzte Frage beantwortet würde: „Und wo waren sie nun also?“
Der Mann lachte verlegen und gedemütigt.
„In der Innentasche, Schätzchen. Ganz genau, wie du gesagt hast.“
Die Frau wandte sich ab und schaute so zufrieden und selbstgefällig aus dem Fenster, als hätte sie gerade einen Preis für ihr Lebenswerk als Diktatorin eines kleinen afrikanischen Staates verliehen bekommen.
Daniela Kurtz wandte sich nun dem Herrn in Hut und Mantel zu. Er hatte die ganze Zeit nicht aufgehört, freundlich zu lächeln. Sein Gebaren und seine Gesichtszüge waren die eines Gentleman.
„Und Ihre Fahrkarte bitte?“
Er hatte sie bereits in der Hand und reichte sie ihr.
„Das sind die Karten für uns beide hier“, sagte er, weiter freundlich lächelnd.
Daniela verstand nicht.
„Für Sie beide?“
„ Ja, ganz recht“, sagte der Mann, „für mich und für Herrn Meier.“
Dabei machte er eine Kopfbewegung in Richtung des freien Fensterplatzes neben sich.
„Oh, ich verstehe“, sagte Daniela. „Ist Ihr Mitfahrer gerade auf der Toilette oder im Bistrowagen?“
Er schaute sie etwas irritiert an.
„Äh, nein, wieso?“, fragte er mild und lächelte dabei unbeirrt.
„Nur damit ich weiß, dass seine Karte schon abgestempelt ist, wenn ich ihn sehe“, sagte Daniela.
„Aber, ich verstehe nicht?“, antwortete der Fahrgast. Und dann sagte er etwas, mit dem weder Daniela noch die anderen Fahrgäste des Abteils gerechnet hatten.
„Er sitzt doch hier.“ Dabei zeigte er verwundert auf den leeren Platz. Dann schaute er Daniela an, als bräuchte sie eine Brille.
„Wie meinen Sie das?“, fragte sie.
Der Mann lachte. „Die Frage verstehe ich nicht. Darf ich vorstellen, das ist Herr Meier. Mein Name ist übrigens Bergmann. Richard Bergmann.“
Er streckte seine Hand nach ihrer aus und fügte höflich hinzu: „Und wie ist Ihrer, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“
Daniela Kurtz war ebenso irritiert wie die anderen Fahrgäste. Die hübsche Blondine hatte den Blick erneut kurz von ihrem Magazin gehoben, um Herrn Bergmann einen kurzen und verächtlichen Seitenblick zuzuwerfen. Hertha und ihr Rolf staunten ebenfalls nicht schlecht.
Hertha vergaß sogar für eine Weile, ihren Mund zu schließen.
„Ich ... also“, zögerte Daniela. Dann fasste sie sich. Eigentlich fand sie es ja gar nicht weiter schlimm, sich vorzustellen, da sie ja sowieso ein Namensschild trug, das jeder sehen konnte.
Sie nahm seine ausgestreckte Hand.
„Kurtz. Guten Tag.“
„Das ist aber ein schöner Name, Frau Kurtz“, sagte der merkwürdige Fahrgast und lächelte weiter nett. Er schaute auf ihr Namensschild. „Mit Tezett, ja? Wirklich ein schöner Name ... ungewöhnlich, oder?“
Dann wandte er sich zu dem leeren Fensterplatz um, und gleich darauf wieder zu Daniela.
„Herr Meier, das ist Frau Kurtz. Frau Kurtz, darf ich Ihnen Herrn Meier vorstellen? Wir reisen immer zusammen, Herr Meier und ich.“
Bergmann lachte fröhlich.
Die junge hübsche Frau beugte sich ganz leicht vor, um den leeren Fensterplatz besser sehen zu können und sich so zu vergewissern, dass sie keinen Knick in der Linse hatte. Nein, da saß nun wirklich niemand. Dann lehnte sie sich wieder zurück und seufzte leise, was eigentlich keinen anderen Schluss zuließ, als dass sie Herrn Bergmann soeben in ihrem persönlichen Spinnerarchiv abgeheftet hatte.
Herthas armer Mann Rolf schaute Herrn Bergmann mitleidig an. Hertha selbst blickte derweil mit versteinertem Gesicht aus dem Fenster und signalisierte so dem ganzen Abteil, dass sie mit einem solchen Verrückten nichts zu tun haben wollte.
„Herr Meier hat ein kleines Nickerchen gemacht. Er ist gleich eingeschlafen, ganz kurz, nachdem wir in Hamburg-Dammtor eingestiegen sind. Und er ist jetzt gerade erst wieder aufgewacht, müssen Sie wissen“, sagte Herr Bergmann und lächelte dabei fröhlich in die Runde.
„Oh, ja, ich ... verstehe“, sagte Daniela und versuchte angestrengt, sich an die Lektionen in ihrer kurzen Anlernphase zu erinnern, in denen es um psychisch auffällige Fahrgäste ging. Aber sie erinnerte sich nicht so recht und beschloss, das Ganze einfach auf sich beruhen zu lassen.
„ Ja, also dann ... wünsche ich Ihnen allen noch eine gute Fahrt.“
Daniela wollte gerade die Abteiltür wieder schließen.
„Ähm, Verzeihung, eine Sekunde noch bitte, Frau Kurtz“, sagte Herr Bergmann und drehte sich zu Herrn Meier um, der natürlich immer noch nicht wirklich da war.
„Oh, meinst du wirklich?“, fragte er seinen unsichtbaren Mitreisenden. „Denkst du denn, das wäre richtig?“
Hertha rutschte nervös auf ihrem Sitz herum und stupste ihrem Mann mehrfach ans Bein, um ihm so klarzumachen, dass er gefälligst