Der Tag des Schmetterlings. Jens Böttcher

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Der Tag des Schmetterlings - Jens Böttcher

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schaute ihn weiter an und wartete gespannt auf das Wort, das Herr Meier soeben souffliert hatte.

      „Vergebung“, sagte Bergmann und schüttelte dabei staunend den Kopf. „Das ist ja wirklich ganz erstaunlich“, fuhr er leise und ergriffen fort.

      Hertha konnte nicht antworten. Allen anderen war ebenfalls kurzzeitig nicht nur die Lust zu reden, sondern sogar das gedankliche Mitkommen vergangen. Was meinte Bergmann denn damit? Vergebung?

      Er führte den Gedanken sogleich aus.

      „Wissen Sie, Frau Griesbach ... es ist etwas so Erbauliches und Wundervolles, wenn man jemanden trifft, der die innere Stärke aufgebracht hat, seinem eigenen Leben zu vergeben. Sich selbst, den anderen ... es ist wirklich ... ach, wundervoll ... ja, natürlich, das Leben ist ja so verdammt schwierig und man muss auch viel einstecken ... aber über den stacheligen Weg der inneren Vergebung schließlich die Gefahr der eigenen Hartherzigkeit abzuwenden und so mit Liebe und Verständnis auf alles reagieren zu können, auch auf die Schwächen der Menschen, die einen umgeben ... das ist wirklich fabelhaft ... das ist wahre Stärke. Und es ist immer wie ein wirkliches Wunder, so einen Menschen zu treffen, dem das gelungen ist ... Frau Griesbach ... und Sie sind so ein Mensch ... Sie haben ein so gutes Herz ... man kann es regelrecht sehen, wenn man nur in Ihre Augen schaut ... was für ein Lebenswerk Sie da vollbracht haben ... es ist bewundernswert ...“

      Bergmann stoppte seinen Satz recht abrupt und wandte sich wieder an Herrn Meier.

      „ Ja, du hast ganz recht gehabt. Du bist wirklich ein guter Beobachter, also: alle Achtung!“

      Nun schien wieder Herr Meier zu sprechen, denn Herr Bergmann hörte offensichtlich sehr interessiert zu und nickte heftig.

      „ Ja, natürlich. Nein, wir fahren ja bis Mainz. Nein, Mainz. Ja, Köln kommt vorher, knapp zwei Stunden. Ja, nein, jetzt kommt Dortmund, wieso? Ach so, nein, darüber mach dir mal keine Sorgen. Nein, überhaupt nicht. Erst in Mainz.“

      Die anderen Reisenden vermieden es dabei, sich gegenseitig anzusehen, so wie sie es vorher getan hatten. Jeder schaute irgendwohin, wo ihm keine durch eigene Blicke signalisierte Stellungnahme abzuringen war.

      Daniela schaute mit gespielter Teilnahmslosigkeit auf den Gang hinaus, Jasmin starrte unverdrossen in ihr Modemagazin und Herr und Frau Griesbach blickten zum Fenster hinaus, wo die vorbeifliegenden Felder und Wiesen der letzten Stunden gerade von einem unwirtlichen, graubraunen Industriegebiet abgelöst wurden.

      Herr Bergmann wandte sich nun wieder an Hertha. Er lächelte.

      „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Ihre Augen. Wunderschön. Sie haben auch so eine herrliche Farbe. Wie würden Sie sie nennen? Vielleicht ... smaragdfarben?“

      „Ähm ... graugrün steht in meinem Personalausweis“, sagte Hertha, längst spürbar entwaffnet. Sogar der Anflug eines Lächelns huschte ihr über das Gesicht.

      „Smaragdfarben trifft es aber viel, viel besser“, sagte Bergmann, nun wieder mit diesem Charme, der von seinen Stimmbändern perlte und von dort direkt in Herthas Herz tropfte.

      Sie bewegte den Kopf leicht verlegen und schenkte Bergmann einen kurzen, leicht verliebten Blick.

      „Sie Schmeichler, Sie ...!“

      Herr Griesbach nahm in diesem Moment Herthas Hand. Teils, weil er sich aufrichtig freute, dass sie wohl doch noch menschliche Züge besaß, und teils, weil er einen Weg suchte, um auszudrücken, dass er sich auch mal wieder wünschte, von ihr auf diese Weise angesehen zu werden.

      „Eine tolle Frau haben Sie, Herr Griesbach“, sagte Bergmann zu ihm und brachte so die Situation auf diese Weise sofort wieder ins Gleichgewicht. „Herzlichen Glückwunsch ... also, wirklich ...“

      Der EC 306 kam quietschend am Dortmunder Hauptbahnhof zum Stehen. Daniela stand kurz auf, schaute sich im Gang um, ob vielleicht ein Kollege in der Nähe war, und nahm dann wieder Platz. Alle schauten sie an.

      „Ich ... na ja, ich wollte nur mal schauen, ob alles seine Ordnung hat ...“

      „Machen Sie ruhig noch ein bisschen weiter Pause, Frau Kurtz“, sagte Herr Bergmann mit dem beruhigenden Tonfall eines väterlichen Freundes. „Sie haben es sich wirklich verdient. Und es wird heute schon kein betrügerischer Schwarzfahrer dabei sein ...“

      Daniela lehnte sich zurück und entspannte sich. Sie wollte tatsächlich nichts lieber, als auf diesem Platz zu bleiben. Eine so schöne Fahrt hatte sie schon lange nicht erlebt. Sie genoss es einfach. Normalerweise hätte sie natürlich ein ganz schlechtes Gewissen gehabt, aber heute war das alles irgendwie anders.

      Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Herr Bergmann wandte sich wieder Herrn Meier zu. Er hatte jetzt für einen Moment etwas Spitzbübisches.

      „Siehst du, genau, wie ich gesagt habe. Gar nichts passiert!“

      Dann lehnte er sich zufrieden lächelnd in seinen Sitz zurück und reckte die Arme in die Höhe.

      „Ach, herrlich so eine Zugfahrt, finden Sie nicht?“

      Er schaute Hertha an, die für ihre Verhältnisse nun geradezu lieblich zurücklächelte und nickte.

      Nun schien sich Herr Meier abermals zu Wort zu melden. Bergmann drehte seinen Kopf wieder zu ihm und hörte ihm aufmerksam zu.

      „ Ja, ich weiß, dass du möchtest, dass ich Fräulein de la Roché das sage, aber das kann ich doch nicht einfach so tun. Nein, verzeih mir, dass ich dir da so vehement widerspreche, aber du musst doch zugeben, dass das, na, sagen wir mal, etwas delikat ist, oder?“ Bergmann begann zu flüstern. Natürlich konnten trotzdem alle hören, was er sagte: „ Ja, das denkst du vielleicht! Nein, und wenn du dich auf den Kopf stellst, das tue ich nicht!“

      Alle schwiegen. Bergmann schaute nun etwas verlegen an die Decke des Abteils und ließ seinen Blick über die Gepäcknetze schweifen. Dabei summte er unbeholfen.

      Jasmin de la Roché schaute ihm dabei zu. Sie schaute ihn nämlich schon seit seinem kleinen Zwiegespräch mit Herrn Meier herausfordernd an und wusste genau, dass er wusste, dass sie es tat. Schließlich trafen sich ihre Blicke. Herr Bergmann war das Ganze offensichtlich sehr peinlich.

      „Entschuldigen Sie bitte Herrn Meier, verehrtes Fräulein de la Roché“, sagte er leise.

      Sie allerdings nahm den herausfordernden Blick nicht von ihm und entließ ihn so nicht aus seinem Erklärungsnotstand.

      Bergmann versuchte ein Ablenkungsmanöver.

      „Sagen Sie, ist das eigentlich Ihr richtiger Name?“

      „ Ja“, presste Jasmin mit beinahe komplett zusammengedrückten Lippen heraus. Und immerhin war das ja auch nur halb gelogen, denn sie hieß tatsächlich Jasmin. De la Roché war natürlich ein Künstlername. Das klang einfach besser als Wiedemann.

      Und sie wollte es schließlich zu etwas bringen.

      Jasmins Tonfall verriet indes, dass sie nicht auf Small Talk aus war. Sie wollte jetzt endlich wissen, was Herr Meier so dringend zu wissen begehrte.

      „Es ist ... recht schönes Wetter heute ... also draußen ... also jedenfalls ... dann, wenn es nicht dauernd regnet ...“, stotterte Bergmann und versuchte weiter, sich aus der heiklen Situation zu befreien.

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