Der Tag des Schmetterlings. Jens Böttcher
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„Na so was“, sagte Herr Bergmann zu Herrn Meier. „Das ist ja mal was ... alle bis auf uns beide steigen hier in Köln aus ... ja, nein, wieso, die Frage verstehe ich nicht ... nein, wie schon gesagt, wir beide fahren ja noch weiter bis Mainz ... nein, nicht ganz zwei Stunden, etwas weniger ... die Strecke soll ganz herrlich sein. Ja, genau, direkt am Rhein entlang! ... ja, sogar die Loreley ... schön, nicht wahr?“
„Leben Sie dort? In Mainz, Herr Bergmann?“, fragte Herr Griesbach im Stehen, während der EC 306 die Rheinbrücke überquerte und man durch das Seitenfenster des Abteils einen ersten Blick auf den Kölner Dom erhaschen konnte.
„Oh, nein“, antwortete Bergmann und lächelte dabei wieder dieses gewinnende Lächeln. „Wir werden dort in der Nähe für ein paar Monate in einer ganz besonderen Klinik wohnen, Herr Meier und ich. Es soll dort sehr schön sein. Meine Familie hat das liebenswerterweise für mich arrangiert. Und Herr Meier begleitet mich natürlich dabei. Nicht wahr, Herr Meier?“
Er lächelte den leeren Sitz an.
Hertha Griesbach richtete sich auf und konnte ihre Mischung aus Neugier und tiefem Mitgefühl für Herrn Bergmann jetzt nicht verhehlen.
„In eine Klinik? Aber mein Lieber, mein Gott ... warum denn? Sind Sie etwa krank?“
„Nein, nein, um Gottes willen, Frau Griesbach ...“, sagte Bergmann. „Ich möchte nur meiner Familie gern den Gefallen tun, weil sie sich doch alle so um mich sorgen, verstehen Sie? Meine Mutter etwa, sie ist wirklich sehr sensibel und grämt sich leicht. Das war schon immer so. Und kürzlich hat ein besonders guter Arzt zu meiner Mutter gesagt, ich und Herr Meier, also, wir seien möglicherweise eine Gefahr für uns selbst und auch andere ...“ Bergmann lachte jetzt und knuffte seinen unsichtbaren Sitznachbarn kräftig in die Seite. „Haha ... gefährlich ... na, ich weiß nicht ... ausgerechnet wir beide? Haha ... nur weil nicht jeder Herrn Meier gleich sehen kann ...“
Nun meldete sich auch Herr Griesbach noch einmal zu Wort.
„Also ... sagen Sie mal, Herr Bergmann ... und bitte entschuldigen Sie, wenn ich das so offen frage ...“
„ Ja, aber natürlich, nur zu, Herr Griesbach“, ermutigte Bergmann ihn, charmant wie immer.
„Würden Sie sagen ...“, stammelte Griesbach zögerlich, „also ... dass ... würden Sie denn sagen, dass Herr Meier ein ganz normaler Mensch ist ...?“
Bergmann lächelte mild und schaute Herrn Meier eine Weile berührt und mit dem Ausdruck tiefster Freundschaft an.
„Ein ganz normaler Mensch? Na ja ... ich weiß gar nicht ... nein, wohl eher nicht, nicht wahr, Herr Meier?“
Der Zug kam zum Stehen. Herr Bergmann stand auf, reichte nacheinander Herrn und Frau Griesbach, dann Daniela Kurtz und schließlich Jasmin de la Roché die Hand, machte trotz der Enge im Abteil einen formvollendeten Diener und verabschiedete sie. Jasmin verharrte einen Moment, schaute ihm in die Augen, dann ließ sie sich für einen sehr kurzen Moment in Bergmanns Arme fallen, bevor sie wortlos und schnell das Abteil verließ.
„Auf Wiedersehen, Herr Bergmann“, sagte Hertha mit einer Herzenswärme, die sie selbst seit mehr als vierzig Jahren nicht in sich gespürt hatte. „Es war wirklich ganz entzückend, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
„Ganz meinerseits, gnädige Frau“, sagte Bergmann und machte erneut einen höflichen Diener.
„Oh, und auf Wiedersehen, Herr Meier“, sagte Hertha und nickte dabei den leeren Sitz am Fenster an.
„ Ja, auf Wiedersehen, meine Herren“, sagte nun auch Herr Griesbach, „eine schöne Reise noch und alles Gute für Sie beide!“
„Für Sie auch, danke“, sagte Bergmann.
Über die Lippen von Daniela Kurtz huschte ein kurzes, bewegtes „Danke“. Sie nickte Bergmann dabei zu und schloss sich dann hastig den Griesbachs an, die soeben das Abteil verließen.
Es stieg niemand zu. Und so fuhren Herr Bergmann und Herr Meier ganz allein weiter am schönen Rhein entlang, die knapp zwei Stunden von Köln nach Mainz, wo sie beide am Gleis von einem überaus schlecht gelaunten Krankenpfleger bereits erwartet wurden. Als sie dann aber schließlich an ihrem Reiseziel ankamen – in dieser schönen Klinik am Fuß des Berges, nach einer kleinen Autofahrt von vielleicht nur 20 Minuten – da war der Krankenpfleger schon gar nicht mehr so schlecht gelaunt.
Warum auch immer, aber irgendetwas hatte sich in ihm während der kurzen Fahrt auf überaus geheimnisvolle Weise verändert.
Seine Kollegen sprechen noch heute davon, dass er hinterher behauptete, an diesem Tag einem echten Engel begegnet zu sein.
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