Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37. Thomas Jung

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Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37 - Thomas Jung

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sogenannten freien Markt ihren adäquaten Ausdruck finden soll. Foucault dekonstruiert diese Natürlichkeits-Überzeugung als historisch gewordene »zweite Natur« der bürgerlichen Gesellschaft, in der nicht mehr die Legitimität oder Illegitimität von Macht, sondern Erfolg und Misserfolg als leitende Kategorien wirken.37

      In der Negativen Dialektik wird, ohne eine direkte Verwendung des Begriffs »zweite Natur«, der ihm entsprechende Gehalt anlässlich einer scharfen Kritik an Freud als »blinde und bewußtlose Verinnerlichung von gesellschaftlichem Zwang« (ND, 269) erfasst und als »inwendige Natur« ans Ende eines perfiden geschichtlichen Fortschreitens der Naturbeherrschung zur Herrschaft über Menschen gesetzt (vgl. ND, 314). Wenn ausgerechnet Zwang dasjenige Moment darstellt, das Natur und Gesellschaft vereinigt, fällt eine positive Besetzung beider Phänomene aus, so dass die Diagnose ausweglos erscheint. Adornos negative, materialistisch gewendete Moralphilosophie bezieht jedoch in dieser vermeintlich ausweglosen Situation die Position des ausgeschlossenen Dritten: »Dem Einzelnen indessen bleibt an Moralischem nicht mehr übrig, als wofür die Kantische Moraltheorie, welche den Tieren Neigung, keine Achtung konzediert, nur Verachtung hat: versuchen, so zu leben, daß man glauben darf, ein gutes Tier gewesen zu sein« (ND, 294).

      Mit der konsequenten Entwertung des subjektiv-idealistischen Betrachterstandpunkts lässt sich, einem Hinweis Miguel Vatters folgend,38 Adornos bemerkenswert dialektisches Fazit über den Wahrheitsgehalt von Kants Lehre vom Intelligiblen in der Negativen Dialektik einem Ansatz zur Seite stellen, den einer der wichtigsten Nachfolger Foucaults in die biopolitische Debatte eingebracht hat: Wenn Adorno wie nebenbei die herkömmliche Differenz zwischen Mensch und Tier aufhebt und das Potential zu einer Befreiung der Menschheit nicht etwa einer Negation der Animalität zuspricht, sondern einer entwertenden Überwindung des vorgeschichtlich-basalen abstrakten Gegensatzes von humanitas und animalitas,39 dann befindet sich diese Wendung in einer überraschenden Nähe zu Giorgio Agambens utopischer Idealvorstellung, die »anthropologische Maschine« außer Kraft zu setzen.40

      In Agambens originärem Verständnis der Lebenswelt als eines maschinenartigen Prozesses gründet die semantische Erzeugung der Spezies »Mensch« (anthropos) gerade darauf, dass zoé (Leben) und bíos (Welt) nach dem Muster einer »einschließenden Ausschließung« bzw. »ausschließenden Einschließung« in einen permanenten Ausnahmezustand eingebracht werden, als dessen Endergebnis (nur) das »nackte Leben« übrigbleibt.41

      Diese anthropologische Maschine aber, die Agamben in Das Offene anführt, funktioniert nach eben der Logik der Identifikation, die Adorno als »totalitär« und »zirkulär« bezeichnet (vgl. ND, 174), da keinerlei »reziproke Kritik« (ND, 149) zwischen dem ausschließenden Moment des Partikularen und dem einschließenden Moment des Universalen vermittelt (vgl. ND, 148 f). Der »dialektische Immanenzzusammenhang« von Natur und Gesellschaft (vgl. ND, 145), der für Adorno aus der Logik der Identifikation hervorgeht und eindrucksvoll die Dialektik der Aufklärung bezeugt, lässt sich mit Agambens biopolitischer Terminologie als Zustand beschreiben, in dem die anthropologische Maschine über die beständige Reproduktion der identifizierenden Unterscheidung zwischen Mensch und Tier ein perfides Kontinuum des beherrschten Lebens erzeugt, in dem das tierische Leben vermenschlicht und das menschliche Leben animalisiert wird.

      Auch Agamben sucht, wie Adorno, durchaus nach einem Ausweg und auch für Agamben kann, wie für Adorno, ein solcher sich nur durch den Abbruch der Identifikation ergeben: Erst eine Außerkraftsetzung der anthropologischen Maschine erlaubt die Hinsicht auf Nicht-Identisches, als das das tierische Leben in einer ansonsten (bei intakter Maschine) von anthropomorphen Identifikationen geschlossenen Welt erscheint.42 Miguel Vatter sieht ein Grundmuster »positiver Biopolitik«43 in Agambens Aufruf an den Menschen wirksam, die Rolle als »Hirte des Seins« anzunehmen, das heißt sich die eigene Animalität anzueignen, die »nicht versteckt bleibt und nicht das Objekt von Beherrschung wird, sondern als solche gedacht wird, als reine Verlassenheit.«44

      Vor dem Hintergrund, dass nach der überzeugenden Darstellung Vatters auch Agambens Konzeptionen einen entscheidenden Initiationspunkt in der Kritik am Phänomen des Warenfetisch besitzen, wie sie Benjamin und Adorno in den 1930er Jahren entwickelt haben,45 lässt sich dieser Aufruf in eine Traditionslinie zu Adornos Utopie von einem über Identität wie Widerspruch hinausgelangten »Miteinander des Verschiedenen« (ND, 153) stellen, die sich an einer Stelle der Negativen Dialektik zudem mit einem ganz ähnlichen Appellcharakter vorgetragen findet: »Der versöhnte Zustand annektierte nicht mit philosophischem Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, daß es in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des Heterogenen wie des Eigenen« (ND, 192).

      III.

      Mit ihrer Privilegierung des als leidenden nichtidentischen Leibes zur somatisch-mimetischen Widerspruchsinstanz gegen das abstrakte Identitätsprinzip lässt sich Adornos materielle Metaphysik als eine weitere potentielle Einflussquelle neben Foucault in den maßgeblich von Agamben geprägten Diskursraum der Biopolitik einbringen. Zugleich weisen die beiden Ansätze jedoch auch unüberwindliche Differenzen auf. Die vorliegende Darstellung konzentriert sich im Folgenden darauf, anhand einer Thematik, die in beiden Konzeptionen gleichermaßen behandelt wird, eine unüberwindliche Grenze zu verdeutlichen: Sowohl Adorno als auch Agamben haben eine neue Ethik nach Auschwitz gefordert. Die jeweiligen Entwürfe stehen sich allerdings im Status absoluter Unvereinbarkeit unversöhnlich gegenüber.

      Adorno hat seine neue Ethik in der Negativen Dialektik selbst bündig auf den Punkt gebracht: »Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe« (ND, 358). Mit diesem apodiktischen Postulat korrigiert Adorno zugleich selbst sein zeitgenössisch vielbeachtetes Diktum, »[…] nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch […]«.46 Die entsprechende Argumentation in der Negativen Dialektik verdeutlicht jedoch, dass die Korrektur weniger den Gehalt als die Rezeption des berühmten Halbsatzes betrifft. Der Verweis auf die in Adornos Augen typisch bürgerliche »Kälte« als Voraussetzung gleichermaßen für Auschwitz wie für ein Weiterleben nach Auschwitz (vgl. ND, 355 f.) widerlegt das Klischeebild vom weltfremden Gelehrten bzw. eines »genialen, realitätsfernen Kindes«47, dessen entscheidende Wirkung sich auf die Rolle eines aus dem Exil zurückgekehrten, unbequemen Mahners und personifizierten Gewissens reduzieren und somit im Nachhinein bequem als Beitrag zum intellektuellen Gründungsmythos der BRD historisieren ließe.48

      Schließlich spricht Adorno Auschwitz nicht nur über die unmittelbare Nachkriegssituation hinaus generell einen »überragenden Stellenwert für die Analyse der Gesellschaft im 20. Jahrhundert zu«.49 Vielmehr besitzt der »neue kategorische Imperativ« eine klare pädagogische Ausrichtung und ist auch von Adorno selbst direkt als Fundament für eine »negative Pädagogik« genommen worden, deren vorrangiges Ziel nur in der zukünftigen Verhinderung von Auschwitz bestehen kann.50 Mit seiner eigenen »negativen Ethik«51 richtet Adorno die Frage nach der Möglichkeit eines glücklichen, gelingenden Lebens gegen die Wirklichkeit des »beschädigten Lebens«, auf die schon der Untertitel der Minima Moralia kritisch Bezug genommen hat. Indem er unerbittlich die Übernahme von Verantwortung fordert, akzentuiert er das bestehende Prinzip der Ethik schärfer und richtet es als Forderung an die gesellschaftliche Wirklichkeit einer historischen Gegenwart nach Auschwitz.

      Während also Adorno die historische Wirklichkeit nach Auschwitz kritisch an der Ethik gemessen und für zu leicht befunden hat, dient Giorgio Agamben Auschwitz im Gegenteil als Beleg für einen per se unrealistischen Charakter aller Ethik. Diese pragmatische Feststellung durchzieht als zentrale These den gesamten ersten Abschnitt von Was von Auschwitz bleibt, wo Agamben die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Veränderung der Ethik darlegt.52

      Ausgehend von einer »autoreferentielle[n] Natur« des Urteils, nach der das Urteil mit der Strafe in eins fällt, warnt Agamben dabei eindringlich vor einer Vermischung ethischer und juristischer Kategorien.53 Die in Hinsicht auf einen Vergleich mit Adorno

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