Spenglers Nachleben. Группа авторов

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mutet an wie eine martialische Fassung der Philosophischen Anthropologie. Spengler klingt zuweilen wie Helmuth Plessner oder Arnold Gehlen im Kampfanzug: Der Mensch ist der »freieste, schwächste, unabhängigste, sieghafteste Typus des Lebens«38, das »schwache Raubtier«, er »braucht widernatürliche Mittel – den Intellekt, [die Technik] – um die leibliche Stärke zu ersetzen, und diese Mittel vernichten ihn zuletzt. Kultur, das Künstliche, ist die Waffe des Schwachen gegen die Natur.«39 Das entscheidende Wort ist »Waffe«: Der Ausritt des ex-zentrischen Menschen aus der Natur wird als feindliche Wendung wider die Natur begriffen. Mensch sein heißt, der Welt »als Feind gegenüberstehen.« »Das Leben wird Krieg«,40 wenn nicht gar »ein endloses Morden.« Der Kern dieses Prozesses ist die Koevolution der Hand mit dem, was sie tötungsbereit umgreift: »Hand und Werkzeug entstehen gleichzeitig, bilden sich gegenseitig als eine einzige Waffe.«41

      Spenglers Ausführungen über das gleichzeitige Entstehen von Hand, Gang und Haltung des Menschen lesen sich bisweilen wie eine martialische Version von André Leroi-Gourhans Hand und Wort. Analog zum heroischen Realismus (und zur heroischen Moderne Kittsteiners) entsteht hier eine heroische Evolution, welche die Rückführung der Technik in die Herkunft des Menschen unter der Voraussetzung gestattet, dass diese Technik wesentlich martialischer Natur ist. Wenn unsere Werkzeuge an der Menschwerdung mitarbeiten, dann vor allem in Form von Waffen. Man veredelt die Nicht-Festgestelltheit des Menschen, indem man ihn zum geschichtsfähigen Raubtier höherer Potenz erhebt.

      Hier bestehen grundlegende Unterschiede zwischen Spengler und Kittler, der sich anthropologischen und evolutionären Fragestellungen dieser Art verweigert hat. Doch wie im Falle Heideggers drängt sich der Verdacht auf, dass die Abwehr auch deshalb so lautstark ausfiel, weil sie dazu diente, Ähnlichkeiten zu verdecken.42 Im Kern läuft die Grundthese von Musik und Mathematik darauf hinaus, dass Medien als Tatsachen und Begriff Sinn machen, weil diese Medien zuallererst Sinne machen. In beiden Fällen geht es um feedback-basierte Kulturtechniken der Hominisierung, oder, im Meßkircher Argot gesprochen, es besteht in beiden Fällen eine daseinsrelevante Verbindung von Medienperformanz und Seinsentbergungen. Ob es sich dabei um das Bekriegen von Neandertalern mit Faustkeilen oder das Besingen von Nymphen mit Kytharen handelt, ist zweitrangig. Gerüstetes Herausfordern oder gelassenes Hervorbringen beruhen gleichermaßen auf Medienvollzug.

      Hier müssen wir nachhaken. In Der Mensch und die Technik betont Spengler, dass die Hand als »eine Waffe ohnegleichen in der Welt des freibeweglichen Lebens«

      plötzlich entstanden sein [muss] im Vergleich zum dem Tempo kosmischer Strömungen, jäh wie ein Blitz, ein Erdbeben, wie alles Entscheidende im Weltgeschehen, epochemachend im höchsten Sinne. Wir müssen uns auch darin von den Anschauungen des vorigen Jahrhunderts lösen, wie sie seit Lyells geologischen Forschungen im Begriffe »Evolution« liegen. Eine langsame, phlegmatisch Veränderung entspricht dem englischen Naturell, nicht der Natur.43

      Die Natur ist also ein recht deutscher Gegenstand. Artenvielfalt entsteht nicht, wie in Darwins »Aufstieg des Menschen vom Affen zum Engländer«44, aufgrund einer langsam und gleichförmig verlaufenden, uniformitaristischen Mikroevolution, sondern durch ›plötzliche‹ makroevolutionäre Sprünge. Die Erwähnung Charles Lyells dient dem Hinweis, dass es auch unterhalb von Menschenfüßen und Tierpfoten keineswegs friedlich und gemächlich zugeht. So wie Darwins Evolution der anglophlegmatischen Geologie Lyells aufsitzt, so beruht Spenglers Sicht auf einer dezidiert anti-uniformitaristischen Sicht der Erdentwicklung. Erdkatastrophen und Faunenschnitte gehen Hand in Hand: Erstere erkennt man anhand letzterer, eben weil letztere sich ersteren verdanken: »Aber wir könnten keine geologischen Schichten unterscheiden, wenn sie nicht durch Katastrophen unbekannter Art und Herkunft getrennt wären, und keine Arten fossiler Tiere, wenn sie nicht plötzlich auftauchten und sich unverändert bis zu ihrem Aussterben hielten.«45 Wir haben es bei Spengler letztlich mit einer in der deutschen paläontologischen Tradition häufig anzutreffenden Mischung aus Saltationismus, Orthogenetik und Typenlehre zu tun. Die Evolution verläuft sprunghaft und mit scharfen Brüchen; Entstehung und Entwicklung der diversen Taxa verdanken sich Eigengesetzlichkeiten oder »Entelechien«; und die Typen oder Taxa bleiben von Anfang bis Ende relativ stabil.

      Meine vorläufige und sehr ausbaubedürftige These – die oben in der 9. und 10. Parallele angedeutet wurde – ist, dass Kittler diese im paläontologischen Zusammenhang sehr klar formulierte Denkform auf dem Umweg über Foucault mediengeschichtlich reproduziert. So wie Spengler sich im Untergang des Abendlandes beim Mutationsexperten Hugo de Vries und in späteren Jahren bei seinem Münchner Mitbewohner und paläontologisch versierten Verehrer Edgar Dacqué evolutionstheoretisch absichert, so greift Kittler auf Foucault zurück.46 Der Foucault von Les mots et les choses – dessen historischer Größe man gerecht wird, wenn man ihn als Revenant des großen Katastrophisten Cuvier erkennt – bietet eine Form der Chronotomie, in der als Alternative zur horizontalen Teilung Braudels die Geschichte vertikal zerschnitten wird.47 Damit wird nicht nur den üblichen Megasubjekten – Mensch, Subjekt, Säkularisation, Weltgeist, Proletariat, Differenzierung, Liberalismus – der nötige Zeitraum zur Entfaltung entzogen, im Verlaufe der für Kittler so attraktiven dramatischen Wechsel von Diskursdämmerungen und -morgenröten tauchen ›plötzlich‹ epistemische Raster auf, die, einmal in Gang gesetzt, nach den Eigengesetzlichkeiten eines historischen Apriori ablaufen und bis zu ihrem Aussterben relativ stabil bleiben. Dieser typologische angehauchte Diskurskatastrophismus Foucaults wird (›selbstredend‹ unter dem Einfluss der seinsgeschichtlichen Zäsuren Heideggers) von der Medienwissenschaft Kittlerscher Prägung technisch geerdet. Kein Wunder, dass auch Kittler mit Darwin wenig anfangen konnte: nichts lag ihm weniger als die scheinbar abgeschmackte Mischung von Kontinuitäts- und Einflussdenken. Damit setzt Kittler eine Linie fort, die man von Spengler und Jünger her kennt: politische Umbrüche, einschließlich der Kriegskatastrophe, werden in eine subpolitische, evolutionäre Basisabfolge verlegt, die zuerst biologisch, dann (wie bei Jünger) mit einer Mischung aus Technik und Biologie und schließlich technologisch beschrieben wird.

      Das unheimliche Usedom

      Damit sind wir beim heikelsten Kriegs-M Kittlers, der Motivation. Woher stammt seine Umschreibung? Welches Valmy gab den Ausschlag? Es beginnt mit einer Selbststilisierung Weimarer Provenienz. So wie Goethe zu Anfang von Dichtung und Wahrheit die Eminenz seines Zurweltkommens am 28. August 1749 an allerlei planetarischen Konstellationen abliest, so betont Kittler gleich im ersten Satz seiner autobiografischen Vignette Biogeographie die kriegsgeschichtliche Signifikanz seines Geburtsdatums, des 12. Juni 1943: »Ich […] geboren am Tag, als Lampedusa kapitulierte, in die Festung Europa also eine erste Bresche geschlagen war.«48 Ganz stimmt das nicht, denn die größere Mittelmeerinsel Pantelleria war im Zuge der Operation Corkscrew bereits tags zuvor besetzt worden. Doch geht es hier weniger um korrekte Daten als um passende Präpositionen: Kittler ist nicht während des Krieges geboren, sondern in ihn hinein – und die Frage drängt sich auf, ob er je ganz aus ihm herausgekommen ist, zumal er schon als Kind immer wieder in ihn zurückgestoßen wurde.

      1953, 1954, 1956 und 1958 verbringt der junge Kittler die Sommerferien im Badeort Zempin auf Usedom. (Am Ende des letzten Urlaubes, an dem zum Erstaunen der Kinder der Vater teilgenommen hatte, setzt sich die Familie in den Westen ab.49) Biogeographie beschwört das Unheimliche von Usedom, das immer schon das Unheimliche des Krieges ist. Bereits während der Anfahrt erscheint im Abteilfenster die kleine DDR in bellizistischer Mehrfachbelichtung als Endkampfgebiet des vergangenen Zweiten und Erstkampfzone des anstehenden Dritten Weltkriegs. Usedom selbst entpuppt sich als Lokaltermin des militärtechnischen Weltgeistes, wo vergangene und zukünftige Kriege wörtlich auf der Straße liegen:

      Denn dort, auf Usedom, begann die strategische Gegenwart. Unter einer Tarnkappe aus Vorpommern, Schilfdächern und Syberbergs Heimweh war jeder Waldweg zur Weltkriegsrollbahn ausgebaut. Betonplatten (wie auf den ältesten Bundesautobahnen) mit Asphalt verfugt und von den Bomben der Royal Air Force, eine ganze Sommernacht lang, auch noch kubistisch aufgeworfen. Dieser heiße, für

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