Götter sind auch nur Männer. Christiane Wagner
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Es ist trotzdem mein Paradies. Diese Fünfzimmerwohnung meiner Eltern ist wie eine große Wiege für mich. Der Schutzraum der Vergangenheit, in dem nichts Neues passiert. Die Luft bleibt immer die gleiche. Bald muss ich wieder aufbrechen. Ein Wochenende vergeht immer schnell.
Zwei Trommeln Wäsche am Nachmittag und ein Kinobesuch am Abend, schon ist es Sonntag.
Auf dem Weg zur Bahn schaue ich noch im „Büro“ meines Vaters vorbei, wie ich gerne seinen fettigen Arbeitsplatz nenne. Sein kleines Restaurant liegt nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt. Sonntags steht er schon morgens am Herd, um alles vorzubereiten. Als ich in die Küche komme, kocht schon das Mittagessen in den Töpfen.
„Mensch Kleine, schön dich zu sehen.“ Mein Vater blickt mich erstaunt durch dampfende Töpfe an. Der Dampf wirkt bestimmt wie ein Weichzeichner und macht mich Jahre jünger.
„Ich bin seit Freitagabend da. Na, vielleicht das nächste Mal.“
„Was macht der Job, Kleine?“
Auf diese Frage hätte ich verzichten können. Hätte er einfach „Wie geht es dir?“ gesagt, hätte ich gerne den nächsten Zug verpasst. Wenn er mich gebeten hätte, noch einen Tag zu verlängern, damit wir etwas zusammen unternehmen können, ich wäre geblieben.
Montag ist sein freier Tag.
„Warte kurz, ich muss noch ein Blech aus dem Ofen holen. Kannst du mir schnell helfen?“ Mein Vater streckt mir ein Handtuch wie eine weiße Flagge entgegen. Schnell ziehen wir ein großes Blech mit überbackenem Fisch aus dem Ofen.
Der Duft ist überwältigend. Bei diesem kulinarischen Hochgenuss läuft mir sofort das Wasser im Mund zusammen. Er muss bei diesem Rezept mit Sternanis und Zimt gearbeitet haben. Vielleicht hat er noch mit etwas Wein abgeschmeckt und mit einem Hauch Vanille verfeinert.
„Du wärst bestimmt eine grandiose Köchin geworden.“
Erst jetzt bemerke ich den Blick meines Vaters. In diesem Augenblick hat er meine Gedanken lesen können. „Kardamom oder Nelken?“, frage ich ihn verlegen.
„Nein, Hannah. Zimt, Sternanis und ein kleines Stück Vanille.“
Ich nicke meinem Vater mit perfekt gespielter Verlierermiene zu. „Siehst du, gut, dass ich Schauspielerin geworden bin.“
Die Enttäuschung in seinen Augen ist nicht zu übersehen.
Jetzt steht es unentschieden. Ich bin nicht bereit über meinen Schatten zu springen. „Papa, ich muss.“ Ich küsse ihn auf seine warmen, weichen Wangen. Immer glatt rasiert. Was ihn, in seiner weißen Arbeitskleidung, schuldlos wirken läst.
„Tschüß, Kleine.“
Ich versuche die Tränen zu unterdrücken, die schlagartig meine Augen füllen, aber mein Vater hat sich schon wieder einem Kochtopf zugewandt.
20 Minuten später sitze ich mit einer von meiner Mutter spendierten Fahrkarte im Zug Richtung München.
Das Wochenende ist vorbei. Ich wünsche mir ein neues Paradies.
2
München. Es ist Montagmorgen. Banktag.
Gegen 10 Uhr bin ich bereit, der finanziellen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. In Zeiten der wirtschaftlichen Nullrunde auf die Bank zu gehen, um sich von einem gesichtslosen Kontoauszugsdrucker in eine Krise stürzen zu lassen, nenne ich mutig. Mein Kontoauszug ist mittlerweile zur Ikone meiner Erfolglosigkeit geworden. Meine Kündigung am Stadttheater bedeutete gleichzeitig das Ende meiner Liquidität.
Ich hatte mich damals entschieden, nur noch Stückverträge am Theater anzunehmen und mich intensiv um meinen Einstieg beim Film zu kümmern. Theater und Film. Eine glänzende Mischung. Das Problem war nur, dass ich dies zwar entschieden, aber mich niemand darum gebeten hatte.
Am liebsten wäre mir Job-Sharing mit Angelina Jolie. In diesem Fall würde ich auch freiwillig ihr Privatleben teilen.
Die Realität sah schon lange anders aus. Sie bestand aus einer Kombination von Drehtagen mit Seltenheitswert und ein paar Monatsgagen am Theater. Seitdem kaufe ich Kleider nur im Secondhandshop oder zu sensationellen Tiefpreisen. Wenn es H&M nicht gäbe, stünde ich jetzt halb nackt auf der Straße. Keine Frage, dass ich mich lieber in Kleider von Jil Sander oder Armani XL hüllen würde, aber das Schicksal hat mir bisher das große Tor des Erfolges verschlossen. Das damit verbundene Geld natürlich auch, ganz zu schweigen von Anerkennung.
Ich übe mich in Geduld, obwohl es nicht meiner Natur entspricht. Die Zeit des Wartens auf den wirtschaftlichen Aufstieg vertreibe ich mir mit ständig wechselnden Beschäftigungen.
Nebenher arbeite ich als Testperson für alles Mögliche. Bei meinem letzten Job habe ich Kniebandagen auf einem Laufband getestet. Als der schwach schwitzende Typ habe ich immer gute Karten und werde als Testperson regelmäßig eingesetzt.
Der Gang zur Bank fällt heute sogar mir, dem schwach schwitzenden Menschen, schwer. Nach meinen Berechnungen dürfte sich mittlerweile nur noch eine eher kleine Gruppe von Euros auf meinem Konto befinden. Ich ziehe die sechs Seiten des Auszuges aus dem widerspenstigen Automatenschlitz und habe nach dieser Freitagserfahrung mit der Bahn eigentlich keine große Lust mehr, meine Dienstleistungsverhältnisse nur noch auf Maschinen zu beschränken. Aber da ich Kosten dämpfe, wo ich nur kann, habe ich mich für das anonyme Kontoführungsmodel der Sparkasse entschieden. Die Maschinen sind tapfere 24 Stunden für mich da.
Wie ich erwartet habe, sind meine Mittel fast erschöpft. Ich wollte mir ohnehin nichts kaufen und verlasse das Automatenfoyer mit der stolzen Haltung der letzten russischen Zarin.
Ein Job, am besten eine gut bezahlte Werbung – und jeder Dispokredit möchte meine Kontonummer tragen.
Wie viele Schauspielerinnen sich in meiner Altersgruppe auf dem Markt tummelten, wollte ich nie wissen. Ich weiß nur, dass man mich vor wenigen Jahren noch als jung bezeichnete, und heute legt man mir nahe, „Vollgas“ zu geben oder mein Alter zu fälschen.
Da ich nie ein guter Lügner war, werde ich nicht an meinem Alter herumschrauben. Die meisten meiner Kolleginnen, die Mitte oder Ende dreißig sind, schummeln ihr Alter auf Anfang dreißig herunter, sodass es in meinem natürlichen Altersgefüge zu einem leichten Überhang kommt. Ich habe mir schon ernsthaft überlegt, mein Alter in die Region von „endlich über vierzig“ zu verlegen, um dann ein Kompliment nach dem anderen einzustecken. Ich könnte meine Schönheitsgeheimnisse teuer verkaufen, hätte meine eigene Kolumne bei einer Frauenzeitschrift, und schon bald würde einer der Verkaufssender aus dem Fernsehen auf mich zukommen.
Ich hätte endlich eine Menge Geld und wäre in diesem Zuge interessant für Serien oder TV-Movies und dürfte bestimmt die Titelrolle in „Margot und die Killerbienen“ spielen.
Und was meine mögliche Besetzung fürs Traumschiff angeht: Ich warte nicht mehr darauf, bis mich der Rademann für seine Rentnerschiffsserie besetzt, damit ich endlich mal was von der Welt sehe. Bei so vielen Angeboten hätte ich natürlich kaum Zeit zu reisen und würde in jeder Talkshow ein wenig darüber jammern.
Mein Buch „Wie Sie mit 40 wie Anfang 30 aussehen können“ wäre der reinste Kassenschlager, und wenn ich fünf Jahre später mein