Götter sind auch nur Männer. Christiane Wagner

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Götter sind auch nur Männer - Christiane Wagner

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Wunder, und ich könnte eines sein! In meinem real existierenden Leben ist bis heute noch kein Wunder geschehen, aber ich bereite mich darauf vor. Ich investiere mein Geld regelmäßig in sündhaft teure Kosmetikprodukte und habe damit bestimmt schon eine erdbebensichere Wand der Shiseido-Firmenzentrale finanziert. Und das in Japan!

      Zurzeit beschäftige ich mich mit einem Nahrungsergänzungsmittel, das direkt aus den Tiefen eines amerikanischen Urwalds kommt. Diese „Ur-Essenz“ soll zu neuen und noch größeren Lebensgeistern führen. Ganz nebenbei wird der ganze Körper durchgestrafft, der Fettstoffwechsel angeregt, und „Müdigkeit“ wird zum Fremdwort.

      Selbst das Wort „Krebs“ kann nach regelmäßiger Einnahme des Präparates nur noch mit einem Tier in Verbindung gebracht werden.

      Alles in allem mache ich alles, um mein eigenes Verfallsdatum ein wenig nach hinten zu schieben, damit ich meinem eigenen Erfolg noch in Würde begegnen kann.

      Längere Zeit bin ich wegen meiner spärlichen Beschäftigungssituation nicht einmal mehr auf Partys gegangen. Die lästige Fragerei nach meinem Beruf belastete meine Nerven zu stark.

      Es lief eigentlich immer gleich ab: Ein Mann spricht mich an, so der aparte Durchstarter-Typ, bei dem nach dem Studium haarscharf die große Karriere begann. Nach drei bis fünf Sätzen kommt der „König der Small-Talk-Sätze“: „Und, was machst du so beruflich?“

      Ich überlege, ob es nicht diesmal die Tierpflegerin oder Anwaltskanzleigehilfin, vielleicht auch irgendetwas dazwischen sein kann, und habe schon die graue Wahrheit meiner Existenz ausgesprochen: „Schauspielerin.“

      Alles nimmt seinen gewohnten Lauf: „Mensch, stark, eine echte Schauspielerin, muss man dich kennen?“

      Nein, muss man nicht. Es sei denn, er ist Nebenrollenfetischist bei den Rosenheim-Cops.

      Heute Abend werde ich mich wieder nach langer Zeit auf eine Party wagen. Mein niedriger Kontostand spricht sowieso für einen bezahlten Aufenthalt mit Verpflegung.

      Es fehlt nur noch ein Geschenk. Ich hatte doch letzte Woche noch in meinem Küchenschrank eine Flasche Sekt gesehen. Ein Geschenk meiner Nachbarin.

      Ich habe vor ungefähr drei Jahren auf ihre neurotische Katze aufgepasst. Das Tier lebt seit letztem Jahr nicht mehr, aber die Trophäe meines Dienstes ist schnell entstaubt, und die blaue Schleife wird einfach wieder in Form gebogen. Es ist sogar Champagner. Bei drei Jahren Lagerzeit kann man doch schon von einer Rarität sprechen – genau das richtige Geschenk für Rüdiger.

      Rüdiger ist erfolgloser Regisseur und wird 40. Ich weiß zwar nicht, was es da zu feiern gibt, aber seine Kochkünste sind einfach besser als alles, was er jemals in einem Film inszenierte. Seine Buffets sind ein Fest wert.

      Durch meinen Vater sind meine Geschmacksnerven bestens trainiert. Zwar bin ich vor meiner Familientradition geflüchtet, aber gutes Essen gehört zu den wichtigsten Dingen in meinem Leben.

      Ich halte mich an diesem Abend, als einer der ersten Gäste, in der Nähe seines reichhaltigen Buffets auf und baue es kontinuierlich ab.

      Kein Drehtag weit und breit, kein Figur-alarmierendes Werbecasting. Auf Castings für Schokolade gehe ich sowieso nicht mehr, denn meine Figur würde den Verdacht erregen, das Produkt mache dick.

      Ich lade mir noch ein paar getrocknete Tomaten auf den Teller.

      Langsam finden sich immer mehr Partygäste ein. Sie sind alle auf Knopfdruck gut gelaunt, und man könnte meinen, diese Sonnenscheinmenschen hätten nie Probleme.

      Einige nähern sich dem Buffet, an dem ich wie festgeklebt stehe. Sie lächeln mich an, stellen sich vor. Reizend.

      Nach höchstens 10 Sekunden habe ich ihren Namen wieder vergessen. Das Buffet ist mein Gesprächspartner.

      Die Pflaumen im Speckmantel blicken mich unverschämt provokativ an. Und es gibt Fisch in allen Variationen. Sardellen in Zitrone eingelegt mit Walnüssen oder ein heimisches Felchen-Filet, das wahrscheinlich noch vor kurzem in einem der teuren bayrischen Seen herumgeschwommen ist. Rüdiger liebt diesen Fisch wie sein Gewässer. Da kann auch ich nicht widerstehen.

      Oder einfach mal wieder ein Paar Münchner Weißwürste mit süßem Senf. Auch wenn es nicht mehr Mittag ist. Diese Tradition hat sich sowieso schon mit der Einführung von Kühlschränken erledigt. Ich angle mir ein Paar dampfende Weißwürste aus dem Suppentopf. Sie sind schön prall und nicht geplatzt.

      Gleich wird mich niemand mehr ansprechen wollen. Wer möchte sich schon mit einer Frau unterhalten, die an einer Wurst saugt? Schließlich sollte man alte bayrische Traditionen achten. Das geht so: Man nimmt die Wurst in die Hand und beginnt am offenen Ende und mit leichten Druck, den Inhalt herauszusaugen. Die Pelle ist leider nicht essbar, aber die Füllung. Wenn man dabei noch lange rote Fingernägel hat, erinnert es schnell an einen Porno – jedenfalls kann man damit schnell männliche Stimulationsträume lostreten.

      Also saugen, genießen und schweigen. Schließlich bin ich Single.

      Essen war mir schon als Kind wichtig. Da ich schon immer viel allein war, wurde der Kühlschrank bald zu meinem besten Freund. Er war der Einzige, der mir zeigte, was das Leben an Fülle zu bieten hatte. Er machte es mir schmackhaft. Und er zeigte mir die Welt.

      Wenn ich seine Tür langsam öffnete, sah ich die Skyline von New York. Ich achtete immer darauf, dass meine Mutter mindestens zwei Tüten Milch einkaufte, weil ich das World Trade Center so liebte.

      Eine Colaflasche war das Empire State Building und das verdorbene Gemüse in den unteren Schubfächern die sagenumwobene Bronx.

      Joghurt, Einmachgläser, Butter und Marmelade formierte ich immer wieder neu zum Times Square und zum Broadway. Nutella war auch schon in meiner Fantasie immer ein modernes Museum.

      Die Milchtüten waren aber am wichtigsten. Wenn keine Milchtüten im Kühlschrank waren, konnte ich nur noch auf Paris und London ausweichen. Meine erste Torte im Kühlschrank führte mich nach Rom. Alle diese Städte habe ich immer wieder „verinnerlicht“.

      Eigentlich besteht mein leichtes Übergewicht aus den Städten der Welt. Mein Hintern gehört zu den Megastädten der Welt – São Paulo.

      Da spreche ich auch schon von meiner ersten Problemwurzel. Mein Po hat schon immer eine gute Größe – für meinen Geschmack eine zu große. Also befinde ich mich schon seit Jahren in der Ab- und Zunehmfalle. Ich bin froh, dass er sich hinten befindet und wir uns nicht ständig sehen müssen, geschweige denn uns über den Weg laufen.

      Richtig dick bin ich nie gewesen, aber mit den Bikini-Figuren meiner Kolleginnen werde ich wohl nie mithalten können. Ich sehe mich auch eher in winterlichen Filmen. Mäntel stehen mir einfach gut.

      Sobald ich wieder Arbeit habe, werde ich schlanker.

      Bei einem Theaterstück zum Beispiel nehme ich immer mehr ab, weil ich mich viel bewege, der Vertrag länger als drei Tage dauert und ich glücklich bin, gebraucht zu werden.

      Drehtage beim Film sind eher seltener. In diesem Fall mache ich immer zuvor eine Diät und zwänge mich dann in eine viel zu kleine Miederhose. Der visuelle Effekt entspricht einer dreiwöchigen Suppen-Kur, zwei Wochen Körneressen oder einem zweimonatigen Besuch einer Weight-Watchers-Gruppe.

      Nachdem ich die Weißwürste ausgesaugt habe, kann ich mich dem mediterranen Teil des Buffets widmen. Eine kulinarische Reise.

      Ich

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