Dr. Love und die schüchterne Forelle. Michael Bresser
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Ich betrete den Prüfungsraum und bin geschockt. Nicht wegen Professor Anrain, den kenne ich vom Sehen. Nein, Martin Lehmkuhl ist eine Frau. Das muss ein Druckfehler gewesen sein. Wahrscheinlich heißt sie Martina. Und attraktiv ist sie. Mein Herz beginnt zu pumpen, die Schweißdrüsen öffnen sich. Die Lehmkuhl muss Mitte bis Ende dreißig sein. Sie trägt ihr hüftlanges Haar offen, durch ihre blauen Augen kann man in die tiefe der Seele schauen. Knackige Figur, soweit ich sehen kann. Die wird so einen hässlichen Vogel wie mich hassen. Warum muss so etwas immer mir passieren.
»Guten Morgen«, begrüßen mich Anrein und die Lehmkuhl. Die Lehmkuhl lächelt. Über mich? Eigentlich muss sie neutral bleiben. Obwohl Prüfer immer durch persönliche Vorlieben beeinflusst werden. Das stand zumindest im Spiegel oder im Stern.
»Na, Herr Singer. Wir haben heute die Romantik und E.T.A. Hoffmann als Thema. Das haben Sie bereits in Ihrer Magisterarbeit beleuchtet. Gute Arbeit, nur zum Ende hin etwas schwammig. Da wollten Sie schnell fertig werden, was?«, grinst mich Mörike an. Was will er denn damit sagen? Vielleicht ist er doch nicht so nett, wie ich gedacht habe.
»Käffchen?«, wendet er sich an die Kollegen.
»Gerne. Für mich mit Milch und zwei Kapseln Süßstoff.
Das ist nicht besonders gesund, sagen Kollegen von der medizinischen Fakultät, aber ich kann es einfach nicht lassen«, lacht Anrein affektiert.
»Ich trinke nur grünen Tee. Da gibt es einen Versand in Brandenburg. Die importieren die besten Grüntees Chinas. Und alles ökologisch angebaut. Kaffee macht mich immer nervös. Höchstens mal eine Tasse aus Eine-Welt-Bohnen. Da weiß ich, dass die Bauern fair entlohnt werden, gel«, verkündet die Lehmkuhl mit einer seltsamen Sprachmelodie. Wenn mich nicht alles täuscht, spricht sie mit leicht hessischem Akzent.
»Es ist schade, dass Hannover dem Lehrkörper nur Kaffee anbietet. In Hildesheim gab es wenigstens Kamillentee. Das ist zwar kein richtiger Tee sondern nur ein Aufgussgetränk, aber immerhin.«
»Für mich wäre das nichts, Kamillentee, bah. Den musste ich als Kind immer trinken, wenn ich krank war. Diese Flüssigkeit ist in meinem Unterbewusstsein fest mit Magen-Darm-Grippe verbunden«, weiß Anrein beizusteuern.
Hallo! Ich habe hier eine Prüfung. Wollen meine Prüfer die ganze Zeit verquatschen?
»Ich bevorzuge zum Kaffeetrinken die Oststadt«, verliebt sich Anrein in das Thema. »Die Lister Meile ist doch pittoresk. Der Engelbosteler Damm ist in Fakultätskreisen auch beliebt und hat einige schöne Ecken. Das muss ich zugegeben. Dennoch gibt es dort soziales Konfliktpotenzial. Ich habe von der Bekannten eines Bekannten gehört, dass sie dort am helllichten Tag ausgeraubt wurde. Da trinke ich meinen Kaffee doch lieber in friedlichen Gegenden. Aber ich bin in diesem Punkt auch einfach gestrickt. Diesen neumodischen Schnickschnack wie aromatisierten Kaffee bei Starbucks brauche ich nicht. Meine Frau trinkt so was gerne. Um Ehestreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, sage ich immer: ›Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden.‹ Gott sei Dank leben wir nicht mehr im Dritten Reich, wo alles vorgeschrieben wurde.«
»Ich glaube kaum, dass sich Herr Hitler Gedanken über Kaffe gemacht hat«, wirft Frau Lehmkuhl schnippisch ein.
»Das wäre ein interessantes Forschungsthema für eine Kollegin aus der Historiker-Abteilung.«
»Ja, solche Geistesblitze kommen oft aus heiterem Himmel, mitten im Gespräch oder beim Baden. Mein letztes Aufsatzthema schoss mir durch den Kopf, als ich mich in der AWDArena über ein Tor unserer Roten freute.«
»Fußball ist langweilig. Ich kann nicht verstehen, Herr Kollege, wie sich ein Mann mit Bildung für Leute interessiert, die wie von der Tarantel gestochen neunzig Minuten hinter einem Ball herhecheln.«
»Ähm«, trage ich auch meinen Anteil an der Diskussion bei und hoffe, nicht zu forsch aufzutreten. Erstaunt schauen mich die drei an.
»Entschuldigen Sie, Herr Singer. Da sind wir etwas vom Thema abgekommen«, räuspert sich Mörike. »Meine Kollegen stellen sich kurz vor.«
»Anrein«, knurrt der Fliegenträger mit Mittelscheitel, Mitte fünfzig, in der Mitte der drei. »Wie bekannt sein dürfte, bin ich die Instanz für marxistische Literaturtheorie in Deutschland.« Mir wird schlecht. Von Marxismus verstehe ich weniger als vom Schafezüchten. War Kalle Marx nicht der Typ, der alle Produktionsmittel dem Volke schenken wollte? Aber den Bezug zur Literatur kenne ich nicht. »Man kann nicht alles wissen«, sagt meine Oma immer.
»Martina Lehmkuhl. Ich bin von der Universität Marburg gewechselt. Mein Schwerpunkt liegt im Bereich der ökologisch orientierten Frauenliteratur. Ich hoffe, Sie haben keine Probleme mit Frauen«, zwinkert sie mir zu.
Mist, sie hat mich durchschaut.
Ich fühle, wie sich Wasserlachen auf meiner Brust und in meinen Achselhöhlen bilden. »Nei ein«, stottere ich. Sie sieht klasse aus. Wahrscheinlich fragt sie sich, warum sie an der Leibnitz-Universität angeheuert hat, wenn hier so hässliche und ungebildete Vögel wie ich herumfliegen. Von Frauenliteratur habe ich natürlich ebenfalls keinen blassen Schimmer. Das kann nur in einer Katastrophe enden. Und zwar ausschließlich für mich.
»Gut, sehr gut«, sagt sie und lächelt dabei spöttisch.
»Dann wollen wir ad hoc in medias res durchstarten«, strahlt Mörike. »Herr Singer, seien Sie so nett und ordnen Sie die Romantik literaturhistorisch ein.« Er will mir einen leichten Einstieg verschaffen. Guter Mann. Leider ist mein Kopf leerer als der Bratwurststand in einem Veganercamp. Ich schaue ihn mit großen Augen an und warte, dass Worte sich aus meinem Unterbewusstsein heraus über meine Zunge artikulieren. Die Lehmkuhl ist eine Wahnsinnsfrau. Die muss einen Verlierer wie mich hassen.
»Herr Singer, sind Sie noch bei uns?«, fragt Anrein. Dabei zieht er eine Augenbraue provokativ nach oben.
»Ja, Herr Singer, so schwer ist die Frage nicht. Sie haben sie doch in Ihrer schriftlichen Arbeit beantwortet«, macht Mörike mir Mut. Vergeblich. Mein Schädel ist ein Vakuum. Doch dann … Bitte. Ich presse mit höchster Anstrengung. Es ist wirklich verdammt schwierig, die zum Sprechen notwendigen Muskeln bewusst in Bewegung zu setzen. Das hätte ich nie gedacht. Aber es funktioniert. Wenn auch widerwillig.
»Äh«, gelangen schließlich Schallwellen aus meinem Mund. Das ist alles. Die Prüfer starren mich an, als hätte ich soeben das elfte Gebot verkündet, das mir Gott auf dem Lindener Berg offenbart hat. Gefühlte fünf Minuten verstreichen.
»Vielleicht sollten Sie Hoffmanns Beziehung zu Frauen mit den weiblichen Figuren seiner Texte in Korrelation setzen. Herr Singer. Er verwendet – Sie haben es sicherlich bemerkt – starke Frauenfiguren, die aber selten dem heutigen Bild einer emanzipierten Frau entsprechen.«
Was will sie jetzt von mir? Immerhin habe ich die Sprache wiedergefunden.
»Äh, ja. Äh.«
Allerdings gebe ich nichts Produktiveres von mir, was mich dem Bestehen der Prüfung näherbringt. Jetzt kann nur ein Wunder helfen. Der Schweiß von meiner Brust ist inzwischen über den Bauch in meiner Boxershorts gelaufen und juckt in einer sensiblen Gegend wie ein Rudel Sackratten, das Tango tanzt.
»Eine ausgezeichnete Frage. Nehmen Sie bitte auch Stellung zu dem Verhältnis Künstlertum und Kapitalismuskritik in Hoffmanns Novelle Das Fräulein