Dr. Love und die schüchterne Forelle. Michael Bresser
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Dr. Love und die schüchterne Forelle - Michael Bresser страница 8
»Sicher weisch ich dasch. Mir ischt nach Rotsch.«
Opa und Oma schauen wie hypnotisiert auf die Tischdecke, als würde diese gleich psychedelische Bilder werfen.
»Unser Timo ist jetzt Magister«, verkündet Gerhard, der mit einer Flasche Sekt aus der Küche kommt. »Das müssen wir feiern.«
Alle setzen sich kerzengerade auf, auch Udo schafft es, sich in die Senkrechte zu hieven.
»Für mich keinen Sekt, nur noch ein eiskaltes Bier.« Er artikuliert sich erstaunlich deutlich.
»Ich halte wenig von diesen sogenannten Geisteswissenschaften«, hebt Opa nun an. »Jura, BWL oder Maschinenbau sind Fächer, mit denen man in der Wirtschaft unterkommen kann. Ich hätte dir bei einem entsprechenden Studium einen guten Posten bei der SMB besorgt. Aber du wolltest nicht. Nun gut. Magister ist besser als nichts. Daher auch von mir die besten Glückwünsche.«
»Dir ist nichts gut genug, weder dein Sohn noch dein Enkel. Timo hat Tag und Nacht gelernt, um es den Professoren zu zeigen. Du solltest stolz sein«, keift Gerhard.
Opa verdreht die Augen und winkt ab.
»Seid ruhig. Wie kann man sich an diesem Tag nur streiten. Mein Geburtstag und Timos Examenstag. Wenigstens heute sollten wir ohne Zank feiern«, bittet Mama.
Alle stoßen an, ich mit – und schäme mich maßlos für meine Feigheit. Selbst vor Onkel Udo. Der Mann ist zwar ein Idiot, aber auf seine Art ehrlich.
»Prostatata!«, tönt er.
»Und warum ist dein permanent alkoholisierter Bruder hier? Du weißt, dass solche Leute nicht dem Niveau der Singers entsprechen.«
»Was?«, fragt Udo.
»Das finde ich garstig«, schaltet sich Tante Gerti ein. »Udo kann doch nichts für sein kleines Alkoholproblem. Er ist krank.«
»Krank im Kopf«, erwidert Opa und stößt mit seinem Stock aufs Parkett.
»Halt die Klappe, du alter Geldsack!«, keift Udo.
Ich nehme mir auch einen Jägermeister. Schmeckt gar nicht so schlecht. Ich kippe einen zweiten hinterher, sonst kann ich das alles nicht aushalten.
»Jetzt hört aber auf. Mir geht es nicht gut«, wirft Mutter ein.
Das bringt die Streithähne zur Ruhe.
»Was hast du denn?«, fragt Oma Ilse.
»Ich habe seit zwei Wochen Schmerzen in der Magengegend. Die kommen und gehen in unregelmäßigen Abständen. Mein Hausarzt hat mir ein Mittel gegen Sodbrennen verschrieben. Das hilft aber nicht wirklich. Ich werde morgen zu einem Facharzt gehen.«
»Toi, toi, toi! Wenn du einen wirklich guten Internisten brauchst, kann ich mit Doktor Lappmann sprechen. Der weiß, wer zur Crème de la crème gehört«, zeigt sich Oma hilfsbereit.
»Lass mal. Doktor Poggenbühl soll auch sehr gut sein. Klara Steinbach geht zu ihm und ist sehr zufrieden. Ein kompetenter Mann, und du hast keine Wartezeiten.«
»Na, Ihr seid doch auch privat versichert, da sollten die Ärzte Termine sowieso einhalten. Wie läuft die Ehe der Steinbachs? Die hatten doch Probleme, habe ich gehört.«
»Die haben sich mittlerweile zusammengerauft«, plaudert Mama aus dem Nähkästchen. »Klaus ist mit seiner Firma verheiratet, das wird sich nie ändern. Aber er hatte zwischenzeitlich eine Affäre mit einer Sekretärin angefangen. Das hat sich, wie Klara erzählt, mittlerweile erledigt. Sie gehen jede Woche zur Paartherapie. Das hilft.«
Ich trinke noch einen Jägermeister.
Onkel Udo nickt mir aufmunternd zu. »Kommscht auf den Geschmack, Timo, wasch?«
Mein Nicken verläuft bereits ein wenig unkoordiniert, da ich keinen Alkohol gewöhnt bin, zumindest nicht in erhöhter Taktzahl.
»Wo ist eigentlich Nadine?«, fragt mich Oma Ilse. Alle im Raum verstummen.
Nun kommen wir zu einer weiteren Geschichte, für die ich mich maßlos schäme. Ich möchte eine Freundin haben, nichts lieber als das. Aber durch meine Angstzustände, das Zittern, Stottern, Schwitzen beim geringsten Anzeichen von Attraktivität war es mir bisher unmöglich, eine Beziehung zu einem weiblichen Wesen einzugehen.
Nun fragte meine besorgte Familie andauernd, was mit einer Freundin sei.
»Willst du nicht?« – »Du solltest mal, wir möchten gerne eine Schwiegertochter und später Enkelkinder.« – »Mach dir nichts draus. Du bist halt nicht der Allerschönste. Aber irgendwann. Du weißt: Jeder Topf findet einen Deckel.« – »Wenn du vom anderen Ufer bist, das ist kein Problem für uns. Wir sind tolerant.«
Irgendwann nervt das. Vor allem wenn die Fragen gut gemeinten Aktionen weichen. Zuerst wurden mir Kontaktanzeigen von Parship und Elitepartner zugesteckt. Natürlich ganz unauffällig. Ich ging bei meinen Eltern auf die Toilette, da lag eine Anzeige auf dem Klodeckel. Intelligenter, solventer Akademiker Ende zwanzig sucht repräsentative Sie. Aussehen zweitrangig. Daneben war mit Kuli geschrieben: »Die Gebühren für die Vermittlung würden wir übernehmen.« Super.
Mein Vater gibt sich immer progressiv, doch hat er quälende Ängste, dass ich homosexuell bin. Das würde er nie offen zugeben. Aber in seinen Erzählungen von der wilden Studienzeit spielen die schwulen Unikumpel immer nur witzige bis blamable Rollen. Er versichert hinterher immer, dass seine Generation auch die Schwulen von der Geißel der Gesellschaftsdoktrinen befreit habe, doch überzeugend klingt seine liberale Haltung nicht.
Da musste eine Lösung her. Und die hieß Nadine – wie in dem Song der irischen Bluesröhre Rory Gallagher. Und es war reiner Zufall. Ich war auf der Party eines Kommilitonen in der List, nicht weit von meinem Elternhaus entfernt. Nadine war mir gleich zu Anfang aufgefallen: hochgewachsen, schlank, schwarze Lackstiefel, dazu ein Ledermantel, wie ihn SS-Offiziere getragen hatten. Sehr provokativ. Dazu trug sie ihre dunklen Haare wie die Filmstars der Vierziger und besaß ein loses Mundwerk. Sie sah einfach fantastisch aus, als sie zu Whole lotta love abtanzte.
Durch mehrere Wodka-Redbulls ermutigt, traute ich mich, sie anzusprechen.
»Ich bin die Gitarre und du meine Blues-Harp. Lass uns gemeinsam im Takt der Liebe grooven», artikulierte ich ohne Stottern. Den Spruch hatte ich aus einem Buch mit dem Titel Angriff auf die Frau – Flirten für Dumme. Sie musterte mich von oben nach unten und wieder retour.
»Mit einem hässlichen Ekelschlumpf wie dir würde ich nicht mal die Toilette abputzen. Verpiss dich.«
Ich habe gelesen, dass langfristige Beziehungen oft mit Missverständnissen beginnen. Allerdings kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Julia Romeo »Ekelschlumpf« genannt hat. Selbst Nancy dürfte Sid Vicious freundlicher begrüßt haben. Dennoch, das war sie: meine große Liebe. Ich nahm ihr die reservierte Reaktion auf meinen Anmachspruch nicht krumm und beschloss, die Zeit für mich spielen zu lassen. Ich setzte mich in eine Ecke und beobachtete meine Wunderfrau beim Tanzen, Trinken und Chillen. Um ein Uhr begann sich die Fete zu leeren. Nadine hatte gut getankt, wie ich bemerkte. Sollte sie ihren Spaß haben.