Dr. Love und die schüchterne Forelle. Michael Bresser

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Dr. Love und die schüchterne Forelle - Michael Bresser

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die Hoffmann-Rezeption von den Zeitgenossen bis zur Gruppe 47. Bitte legen Sie besonderen Wert auf die Diskussion im Nationalsozialismus.«

      Trotz gähnender Leere droht mein Kopf zu platzen. Alle Vakuummoleküle pressen sich zusammen und warten darauf, sich in einer Explosion zu entladen. Das kann nur in einer Katastrophe enden.

      »Ich bin krank, ich kann nicht mehr. Da die Prüfung noch nicht begonnen hat, melde ich mich ordnungsgemäß als indisponiert«, verkündige ich.

      »Bitte?«, reibt sich Professor Mörike die Nase.

      »Das ist nicht Ihr Ernst!«, haut Anrein auf den Tisch. »Mich beschleicht der Eindruck, dass Sie uns veralbern wollen. Die Fragen haben bis jetzt höchstens Bildzeitungsniveau. Die könnte mein Großvater beantworten, und der war Landwirt.« Die Stöckelschuhe der Lehmkuhl klacken staccato aufs Parkett, als wenn sie mich auf den Boden nageln wollte.

      »Herr Singer«, sagt sie mit sanfter Stimme. »Versuchen Sie es doch noch mal. Ich bin mir sicher, dass Sie unsere Fragen beantworten können. Der Reihe nach. Keiner hetzt sie.«

      »Werte Kollegin, der Student zieht feige den Schwanz ein. Solche …«, überlegt Anrein, »Leute brauchen weder wir im akademischen Betrieb noch die Menschheit im Berufsleben.«

      »Nun machen Sie mal halblang, Herr Kollege!« Die Lehmkuhl scheint etwas an mir zu finden. Was das ist, weiß nur sie allein, denn ich schäme mich selbst zutiefst für meine Unfähigkeit. »Herr Singers Magisterarbeit war passabel. Wenn er unter Prüfungsangst leidet, sollten wir ihm noch etwas Zeit geben. Vielleicht möchten Sie für fünf Minuten frische Luft schnappen?«

      Die Männer schauen sie entgeistert an.

      »Das ist doch meines Erachtens zu viel des Guten. Andere Prüflinge kneifen auch nicht mitten im Gespräch«, sagt Mörike und nimmt einen Schluck Kaffee. Seine Hand zittert, als er sie auf die Untertasse zurückstellt, so dass Kaffee überschwappt. Gedankenverloren wischt er die braune Tunke mit seinem Hemdärmel auf.

      »Verlassen Sie bitte den Raum! Wir beraten, ob wir die Krankmeldung anerkennen.« Anreins Stimme klirrt vor Eiseskälte. »Bitte! Wir rufen Sie wieder herein.«

      Wie ein geprügelter Hund schleiche ich aus dem Raum. Seltsamerweise lösen sich alle Blockaden, nachdem ich die Türschwelle überschritten habe. Den Flurwänden hätte ich unzählige Fakten und Theorien über Hoffmanns Damenwelt und die Romantik erzählen können. Aber ich weiß genau: Wieder im Raum, verlässt kein vernünftiges Wort meine Lippen. Ich würde am liebsten eine Flasche Schnaps leeren. Dann wäre ich lockerer.

      Die Beratung dauert gefühlte drei Stunden. Dann ruft mich das Exekutionskommando wieder hinein.

      »Bitte!«, befiehlt Anrein. »Nehmen Sie Platz.«

      Frau Lehmkuhl nestelt verlegen an ihrem Armreif. Mörike nippt alle fünf Sekunden an seiner Tasse. Was können sie beschlossen haben? Sie müssen mich die Prüfung wiederholen lassen. In der Zwischenzeit gehe ich zu einem Psychologen, der meine Ängste eliminiert, schwöre ich mir. So eine Blöße wie heute gebe ich mir kein zweites Mal.

      »Herr Singer, unser Entschluss ist einstimmig gefallen.« Anrein blickt etwas verärgert auf Frau Lehmkuhl. »Wenn auch nach einigen Diskussionen. Wir erkennen Ihre Krankmeldung nicht an. Somit wird Ihre Magisterprüfung als ›insufficienter‹ bewertet. Dies ist gleichzeitig die Gesamtnote. Laut Prüfungsordnung hätten Sie eventuelle Unpässlichkeiten vor Beginn der Prüfung anzeigen müssen. Es blieb uns keine andere Wahl. Wenn Sie wollen, können Sie ihr Studium wieder von vorne beginnen, denn die Studienordnung hat sich geändert. Dies war der letzte Zeitpunkt, um die Prüfung nach den alten Regularien abzulegen. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre weitere Zukunft.«

      Mir bleiben alle Worte im Halse stecken. Alle Studienleistungen verfallen? All die vielen Vorlesungen und Seminare umsonst? Doch dann quillt es aus mir heraus.

      »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Ich bin wirklich krank. Prüfungsphobie gepaart mit Sozialphobie.« Warum rede ich erst jetzt?

      »Wir sind nicht das Sozialamt, Herr Singer. Sie können selbstverständlich Einspruch einlegen. Da empfehle ich Ihnen aber, sich sehr gute Atteste zu besorgen. Sonst sehe ich schwarz. Außerdem wüsste ich nicht, was Sie mit einer sogenannten Sozialphobie« – er lächelt selbstgefällig – »beruflich machen wollen. Mir fällt da Wärter auf einer Vogelinsel ein. Es sei denn, Sie haben auch eine Vögelphobie.«

      Er lacht über seinen Altherrenwitz, als hätte er das Bonmot des Jahrhunderts kreiert. Seine Kollegen wirken peinlich berührt, sagen aber nichts.

      »Bitte geben Sie mir eine Chance. Bei der nächsten Prüfung läuft es besser. Oder fragen Sie mich jetzt«, bettele ich.

      »Herr Studiosus, manchmal verliert man, manchmal gewinnen die Anderen.« Anrein fühlt sich in seiner Rolle als Zerstörer meiner Existenz sichtlich wohl.

      »Wir nehmen es Ihnen übel, dass Sie nach den ersten Fragen eine Krankheit vorschieben. Da gehe ich mit dem Kollegen d’accord. Wir wollen aber jetzt nicht auch noch Kübel voll Häme über Sie ausschütten«, sagt Mörike mit einem schiefen Blick in Richtung Anrein.

      »Nein«, versichert Frau Lehmkuhl. Es schmerzt mich besonders, mich vor ihr blamiert zu haben. »Wenn Sie Ihre Krankheit von einem Arzt attestieren lassen, bekommen Sie vielleicht eine Wiederholungschance. Aber nach unserem jetzigen Eindruck müssen wir Sie durchfallen lassen. Sorry.«

      Wahrscheinlich hat sie gar nichts gegen mich. Sieht aus, als ob ihr mein Schlamassel leidtäte. Aber ich habe es selber versaut, die Prüfung und mein Leben. Schon lange vorher hätte ich mein Leben auf die Reihe bringen sollen. Es kann nicht mehr schlimmer kommen. Das denke ich zumindest zu diesem Zeitpunkt. Manchmal bin selbst ich Optimist.

      Wie betrunken wanke ich aus dem Raum, stolpere fast.

      »Geht es Ihnen gut?« Die Lehmkuhl scheint wirklich besorgt.

      »Mhm«, murmele ich und bin schon draußen. Studienabschluss ade, Volontariat good-bye, Hartz IV willkommen!

      Ich torkele durch die Gänge der Universität, bade in Selbstmitleid und verfluche die Ungerechtigkeit der Professoren und der Welt. In meinem Kopf erklingt Redemption Day von Johnny Cash: »It’s in the soul to feel such things. But weak to watch without speaking. Oh what mercy sadness brings. If God be willing.« Ich fühle mich von Gott und dem Rest der Welt verlassen. Eine Art Erlösung im irdischen Leben wäre klasse. Ein platzender Knoten, ein Eimer voll Glück, den das Schicksal über mich ausschüttet. Aber das sind unerfüllbare Träume.

      Ich trete aus der Uni, gehe zur Rasenfläche und drehe mir eine Zigarette. Das Nikotin des schwarzen Tabaks durchflutet sofort mein Gehirn, und ich nehme die Welt durch Rauchschleier wahr. Es fühlt sich weniger schlimm als vorher an. Mein Handy vibriert. Zorro.

      »Timo, wie ist es gelaufen? Alles roger?«

      »Nix ist roger. Ich habe versagt. Alles war weg. Mensch, ich war vollkommen blockiert.«

      Schweigen. Dann fragt er »Wirklich so schlimm?«

      »Schlimmer, Lehmkuhl war eine Frau. Vor der habe ich mich bis zum Gehtnichtmehr blamiert.«

      Zorro hustet. »Sorry, habe ein Rachenspray inhaliert. Das scheine ich nicht besonders zu vertragen. Was spielt es für eine Rolle ob Lehmkuhl

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