Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

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Auslaufgebiet - Lotte Bromberg

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gegebener Zeit an den Auffindort gebracht.«

      Nicht mal gesundes Waldpanorama beim Sterben. Ein Kellerloch, Hinterhof, Hotelzimmer, ein Auto? Es gab unendlich viele Orte in Berlin, einen Menschen ins Jenseits zu befördern, grüne Idylle war nicht gerade die Regel. »Also waren es keine Hunde oder Leute aus dem Wald?«

      »Warum nicht? Ich habe nur gesagt, sie war gefroren. Woran sie starb und wo, weiß ich noch nicht. Mit dem genauen Todeszeitpunkt wird es übrigens auch schwer.«

      »Nun mal langsam, Doktor, für Deppen. Es kann also sein, ein Hund hat sie zerfleischt, sagen wir, vor einer Woche, Herrchen schleppt sie in eine tiefgekühlte Truhe, bringt sie zurück in den Wald und beim Auftauen schlägt sich der Rest des Waldes den Bauch voll?«

      »Klingt aufwendig, aber warum nicht. Vielleicht ist der Kerl Zoologe und wollte erst sein Zubehör zusammenbringen, um das kalte Buffet zu dokumentieren.«

      »Sie sind echt eine große Hilfe, Doktor.«

      »Danke, ich gebe mir auch wirklich Mühe, Herr Kommissar.«

      Es war ungewöhnlich, daß einfach jemand klingelte. Zwar wies ein Schild am Hauseingang Dao als Privatdetektivin aus, aber normalerweise bestellte sie ihre Kundschaft ein. Sie sah sich um, ob alles an seinem Platz sei, freute sich an der Sorgfalt ihrer Putzfrau, drückte den Summer und sah zum Fahrstuhl.

      Eine, wenn auch winzige, Detektei zehn Stockwerke über dem Potsdamer Platz mit Blick auf die von der Sonne vergoldete Philharmonie war Dao nicht in die Wiege gelegt. Als erstes Kind überglücklicher Eltern wurde sie in Saigon geboren. Die chinesischstämmige Familie gehörte zur Elite des Landes und richtete ihr Leben nach den bewunderten französischen Kolonisatoren aus. Über Daos Wiege hing eine mit bordeauxrotem Samt bezogene Kugel, die, zog man sie auf, französische Kinderlieder abspielte. Morgens gab es Croissants zur Nudelsuppe Pho, das Kindermädchen sprach Französisch mit dem Säugling, der Vater träumte von einer Anwaltskanzlei in Paris.

      Daos Eltern hielten es für ausgeschlossen, Kommunisten aus dem Norden könnten dieses Idyll zerstören. Sie arbeiteten für die Amerikaner, sahen über ihre schlechten Manieren hinweg, und waren völlig überrascht, als diese mit gewaltigen Hubschraubern flüchteten.

      Den vietnamesischen Angestellten blieb nur der Weg übers offene Meer. In einer löchrigen, unter der Last von zwölf Familien stöhnenden Nußschale ruderten sie in die Finsternis. Der Wellengang wurde stärker, Daos Mutter ging als eine der ersten von Bord. Ihr Mann drückte der nächstbesten Frau sein Kind in den Arm und stürzte sich hinterher. Beide gingen lautlos unter.

      Die fremde Frau sah das teure Mäntelchen, den fremdartigen Spitzenbesatz um die Kapuze, in ihrer Mitte die langen Wimpern über geschlossenen Augen und drückte das Kind an sich.

      Sie wurden von der Cap Anamur gerettet, dreizehn Erwachsene und fünf Kinder. Die kinderlosen Nguyens gaben das Mädchen als ihr eigenes aus und nannten sie Dao Thi. Mit Scharen anderer verängstigter Landsleute erreichten sie ein fremdes Land. Wie eine Handvoll Bauklötze warf man die Heimatlosen über Deutschland aus. Die kleine Familie Nguyen wurde vom niedersächsischem Ministerpräsidenten mit Blaskapelle und Butterkeksen begrüßt und für Oldenburg eingeteilt.

      Dort wuchs Dao behütet auf. Ihre neuen Eltern waren gläubige Christen, besuchten regelmäßig den Gottesdienst, übernahmen Ehrenämter zuhauf, arbeiteten hart und lebten unauffällig. Sie hielten Dao zum Beten und Lernen an, erzählten ihr erfundene Geschichten von den unbekannten Eltern, den Düften, Klängen und Bräuchen der Heimat und sprachen niemals Vietnamesisch mit ihr.

      Dao wurde eine gute Schülerin. Sauste durch das Gymnasium, lächelte höflich in alle Richtungen und schloß als Jahrgangsbeste ab. Sie landete mit Photo im Lokalblatt, alle tätschelten ihre hohen Wangen, ihr seidenschwarzes Haar, mehr stolz auf sich als die norddeutsche Asiatin. Dao hatte es satt. Wollte nicht mehr Exotin sein, gefragt werden, wie man korrekt Reisnudeln zubereitet, ob ihr deutsches Essen nicht zu schwer und Schützenfestkorn bekömmlich seien, wollte sich nicht mehr ducken, schleichen, fehlerlos leben.

      Sie wollte zu den Guten gehören, für Recht, etwas Ordnung sorgen, helfen, schützen. Sich verstecken hinter einer Aufgabe, in einer Uniform, einer großen Stadt, vielleicht sogar dazugehören zu Corps oder struppiger Einwohnerschar, irgendwann. Sie nahm eine Deutschlandkarte, sah die Flecken Hamburg, Köln und München, umkreiste den dicken Flatschen Berlin und blieb hängen. Ihre Eltern bettelten, schimpften, die Mutter weinte, der Vater argumentierte. Sie hatte doch Abitur, sollte studieren, Ingenieurin werden, Brücken bauen, zurückkehren nach Saigon, erfolgreich, europäisch gebildet. Aber Dao wollte Polizistin sein, von dort zur Kripo.

      Natürlich wurde sie genommen. Machte die Ausbildung im Schnelldurchlauf, landete als Streifenpolizistin und einzige Frau auf einem Ostberliner Revier. Nichts von dem, was sie in Oldenburg gelernt hatte, half ihr dort. Sie wurde zur verachteten Fidschi, im Einsatzfahrzeug neben die Besoffenen gesetzt, deren Erbrochenes in ihrem Schoß, deren wütende Fäuste in ihrem Gesicht landeten. Die Kollegen bedrängten sie in der Umkleide und schickten sie unter brüllendem Gelächter Zigaretten holen. Anders als Oskar war sie allein, konnte nicht berlinern und hätte sich nie an den Polizeipräsidenten herangetraut. Sie hatte keine Chance auf die Kripo.

      Bei einer Polizeikontrolle lernte sie Jakob kennen. Oskar hatte mal wieder etliche Verkehrsregeln mißachtet, seine Kutsche keinen TÜV, er glaubte, als Kriminaler könne man das anders regeln. Dao belehrte ihn in oldenburgischem Hochdeutsch, daß er sich irre. Daos Streifenkollege erkannte den Kripokommissar, grüßte devot und stauchte die junge Asiatin mit einer Kaskade sexistischer und rassistischer Beleidigungen zusammen.

      Jetzt zeigte Jakob, was er von seinem Neuköllner Freund gelernt hatte, schredderte den großmäuligen Uniformierten mit Altberliner Schimpfwörtern, daß Oskar zufrieden grunzte. Dann sah Jakob Dao in die Augen. Sie reckte das Kinn hoch, er gab ihr seine Telefonnummer.

      Dao dachte, sie hatte einen Einstieg zur Kripo gefunden. Ein echter Kommissar als Fürsprecher, sie war euphorisch. Aber sie traf auf den Geisterseher. Der lud sie in seine Wohnung, hörte ihren sprudelnden Geschichten zu, wartete, bis sie sich leergeredet hatte, holte eine Flasche Wein, sagte, da ist noch was, und nahm auch die Sintflut an Tränen in Empfang. Als sie damit fertig war, füllte er zwei große Gläser und sagte, Du solltest kündigen.

      Sie hatte sich gewehrt. Wütende Argumente aufgehäuft, die Beine in den Treibsand von Jakobs Augen gestemmt. Wer ändert schon gern die Richtung?

      Eine Woche später kündigte sie. Jakob gab ihr Schlafplatz und Freundschaft. Sie wurde Privatdetektivin. Nach einem halben Jahr konnte sie sich ein Büro in einem Schöneberger Souterrain leisten, nach weiteren drei Monaten die kleine Wohnung darüber. Sie zog unter Tränen und Dankesreden aus Jakobs Besenkammer aus.

      Jetzt schwebte sie in ihrer winzigen Detektei über dem Potsdamer Platz und besaß ein Zwergen-Penthouse drei Straßen weiter. Die stolzen Eltern hatte ihr Wohlstand versöhnt, nur selten sprachen sie vom Studium, umso häufiger von Enkeln. Aber Dao hatte keine Zeit für Familie. Sie arbeitet hart und ließ sich teuer dafür bezahlen.

      Aus dem Fahrstuhl stieg ein Mann um die Vierzig. Unter seinem teuren Anzug appetitlich muskulös, ohne aufdringlich kraftstrotzend zu sein. Markantes Kinn, selbstbewußte Bräune, ein Aktenkoffer in der Linken. Er sah ihr direkt in die Augen. »Mrs Nguyen?«

      Dao nickte und trat zurück.

      Der Mann setzte sich vor ihren Schreibtisch.

      »Hatten wir einen Termin?«, fragte Dao.

      »Mein Auftraggeber möchte Ihnen ein Angebot machen.«

      »Weiß

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