Ein Fluch aus der Vergangenheit. Joachim Bräunig
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Zu Beginn der Pferdezucht konnte man kaum von einer systematischen Zucht wie in der heutiger Form sprechen. Es wurden schlicht die zur Verfügung stehenden Tiere nach Gefallen miteinander gekreuzt. Gerne wurden durch Handel oder Raubzüge aus entfernteren Gegenden stammende Tiere gekreuzt. Das Endprodukt war eher zufällig. Die Rassen entsprachen weitgehend dem jeweiligen Gebiet der vorgefunden Naturrassen. Beim späteren Reinzuchtverfahren wurden nur Tiere der gleichen Rasse miteinander gepaart. Die Veredlung einer Rasse durch Einzucht einiger weniger Individuen mit gewünschten Eigenschaften ist Standard in der Pferdezucht. Die beiden Ursprungsrassen werden im Zuchtverlauf immer wieder zur Blutauffrischung und Verfestigung der Zuchtrichtung eingekreuzt. Die Zucht im 21. Jahrhundert ist überwiegend Privatengagement, da staatliche Institutionen die Kosten für eine reine Erhaltung nicht mehr tragen können. Wie auch bei anderen Tierarten werden Pferde mittlerweile nicht mehr nur auf natürlichem Wege, also durch das Zusammenführen von Hengst und Stute, vermehrt. Auch in der Pferdezucht haben künstliche Befruchtung und Embryotransfer Einzug gehalten. Wegen des verhältnismäßig langen Generationsabstandes des Pferdes sind für Züchter meist Hengste, die eine ganze Zuchtlinie begründen können, interessanter als Stuten, die selten mehr als sechs Nachkommen haben und dadurch ihre Merkmale nicht im selben Maße weitervererben.
Ein wesentlicher Faktor bei der Züchtung von Pferden ist deren Gesundheit, dazu gehört die ständige Kontrolle durch einen Tierarzt, einschließlich der Behufung der Tiere. Zu diesem Zweck hatten die Büttners einen Vertrag mit einem ortansässigen Hufschmied, der eine zyklische Kontrolle durchführte und gegebenenfalls neue Hufeisen aufbrachte. Die wichtige Reinigung der Stallungen und die Beseitigung des angefallenen Stallmistes wurden von den Mitarbeitern des Gestütes getätigt. Die Pferde standen unter ständiger ärztlicher Kontrolle durch einen zugelassenen Tierarzt, der den Tieren auch die erforderlichen Spritzen verabreichte und eine gegebenenfalls erforderliche Behandlung durchführte.
Zur Pferdepflege gehören weiterhin solch wichtige Faktoren wie die Zahnpflege, Entwurmungen, Gesundheitscheck, Insektenschutz und eine wiederholte Massage. Pferde sind sehr sensible Wesen und erfordern ständige Beobachtung bezüglich ihrer Gesundheit und stellen an ihre Umwelt eine hohe Anforderung in puncto Sauberkeit. Nach dem Ausreiten oder den Trainingseinheiten müssen sie gründlich getrocknet und abgerieben werden, was viel Aufwand erfordert, sodass die Mitarbeiter des Gestütes ständig unterwegs waren und wenig Zeit für Pausen blieb.
Zum Gestüt gehörten insgesamt acht Mitarbeiter, die in unterschiedlichen Schichten eingesetzt wurden. Die Rangordnung in einer Pferdeherde ist in der Regel weitgehend gefestigt und wird von der Mehrzahl der Pferde akzeptiert. Auf einem Gestüt spielt diese Rangordnung nicht die wesentliche Rolle, ist aber dennoch von Bedeutung, da die Tiere während ihres Aufenthaltes auf der Freikoppel ein ruhiges Miteinander erleben sollen. Zu Konflikten kommt es meist, wenn junge Pferde ihre Grenzen noch nicht genau kennen oder neue Pferde in die Herde eingeführt werden. Der Neuling muss sich vom letzten Platz nach vorn durchkämpfen, bis er schließlich seine feste Position innerhalb der Gruppe gefunden hat. Unsichere oder scheue Pferde fühlen sich im Herdenverband wohler als in Einzelhaltung.
Das Gestüt Büttner hatte sich auf die Zucht von Baden-Württembergern spezialisiert, und ihre Kunden und die Besitzer der beim Gestüt untergestellten Tiere hatten sich gleichfalls für diese Rasse entschieden. Diese Pferderasse ist ein echtes Reit- und zugleich Sportpferd. Der Baden-Württemberger hat einen edlen, ausdrucksstarken Kopf mit freundlichen, großen Augen. Der kräftige, muskulöse Rücken geht in eine runde, leicht abgeflachte Kruppe mit gut angesetztem, getragenem Schweif über. Diese Tiere werden zumeist bei Galopprennen eingesetzt. Bei einem Galopprennen werden die Pferde in ausgeloster Reihenfolge in die Startmaschine geführt. Das Signal zum Start durch den Startrichter erfolgt in seinem eigenen Ermessen, wobei er keine Rücksicht auf schwierige Pferde nimmt. Um eine Chancengleichheit zu gewährleisten, müssen die besten Pferde ein zusätzliches Gewicht von fünf Kilogramm tragen. Die Reihenfolge, in der die Pferde ins Ziel laufen, wird durch den Zielrichter, gegebenenfalls durch Zielfoto, bestätigt. Bei den Wetten von Pferderennen gibt es mehrere verschiedene Wetten. Die häufigsten Wetten sind die Siegwette, Platzwette, Zweierwette und Dreierwette, wobei bereits der Titel der Wette die gesetzte Platzierung des Pferdes zum Ausdruck bringt. Unabhängig von der gewählten Wette kommt es darauf an, die richtigen Ergebnisse des Rennens zu tippen. Die Zahl der Wettscheine ist praktisch unbegrenzt und man kann so viele abgeben, wie man möchte, wobei die professionellen oder süchtigsten Wetter zumeist erst kurz vor dem Start des jeweiligen Rennens ihre Wetten abgeben, was dann meistens zu einem regelrechten Ansturm auf die Wettschalter führt. Alle eingesetzten Renngelder laufen im sogenannten Totalisator zusammen, wo sie dann ausgewertet und in die Quoten umgerechnet werden. Diese Totalisatoren dürfen ausschließlich von Pferdezucht- oder Rennvereinen betrieben werden. Der Totalisator stellt quasi das Wettgeschäft auf der Rennbahn dar.
Die Finanzierung des „Gestüt Büttner“ ruhte, analog aller derartigen Gestüte, auf der Bezahlung der untergebrachten Pferde und der Reitstunden durch deren Besitzer sowie dem prozentualen Anteil am Gewinn der Reitpferde bei ihren gewonnenen Rennen. Ein wesentlicher Bestandteil der Finanzierung des Gestütes ist die Aufzucht und der Verkauf von Jungpferden, deren Preis von der Abstammung ihrer Eltern oder deren Nachzucht abhing. Je höher der Gewinn der elterlichen Pferde bei Rennen gewesen ist, desto höher ist der Verkaufswert der Jungpferde.
Zur guten Finanzlage des Gestütes trug die sehr gute Auslastung des zum Gestüt gehörenden Gästehauses bei, sodass die Familie Büttner finanziell auf guten Beinen stand. Aufgrund der Tatsache, dass das Gestüt keinerlei staatliche Hilfen erhielt, hatte Herr Büttner einen sogenannten „Freundeskreis Gestüt“ ins Leben gerufen. In diesen „Freundeskreis Gestüt“ zahlten viele Sponsoren in einen Finanzpool ein, welcher das Gestüt in die Lage versetzte, jährlich mehrere Veranstaltungen und Feste zu organisieren. Herr Büttner wurde als Geschäftsführer des „Freundeskreises Gestüt“ bestätigt und ging sehr sorgfältig mit den zur Verfügung stehenden Mitteln um und musste jährlich bei der Jahreshauptversammlung Bericht erstatten.
Die Sponsoren kamen aus unterschiedlichen Landesteilen und waren mit dem Gestüt eng verbunden und nahmen zum Großteil an den Veranstaltungen teil.
Am heutigen Tag herrschte auf dem Gestüt wieder Hochbetrieb, da viele Pferdebesitzer sich zu einem Ausritt mit ihren Lieblingen entschlossen hatten. Die Mitarbeiter gingen ihrer geregelten Arbeit nach und behinderten die Pferdebesitzer in keiner Weise, sondern halfen ihnen, ihre Pferde für den Ausritt vorzubereiten. Einige Besitzer waren mit ihren Tieren bereits unterwegs und hatten sich zum Teil zu kleineren Gruppen zusammengeschlossen. Herr Büttner kontrollierte die Arbeiten der Angestellten, während sich seine Frau Katja um das wohl der Gäste kümmerte. Der heutige Tag war jedoch kein Tag wie alle anderen, sondern erweckte bei den Mitarbeitern des Gestütes und besonders bei den Besitzern einen fahlen Nachgeschmack. Am heutigen Tag, genau vor sechs Jahren, war es auf dem Gestüt zu einem tragischen Unfall gekommen, bei dem ein Mann sein Leben verlor. Bis heute war der Fall nicht gänzlich aufgeklärt, obwohl die Polizei den Fall abgeschlossen und als tragischen Unfall zu den Akten gelegt hatte. Das Geschehen um den Unfall ist für die meisten Mitarbeiter noch immer rätselhaft und führt zu teilweise wilden Spekulationen. In der Box einer Besitzerin hatte eine Stute aus unerklärlichen Gründen sehr aggressiv reagiert und einen Mann zu Tode gebracht. Die Stute hatte sich bis zu diesem Augenblick stets unauffällig und ruhig verhalten und war das Lieblingspferd ihrer Besitzerin, welche noch zwei weitere Pferde besaß. Die Frau musste in der Box mit anschauen, wie ihr Mann durch die plötzliche Aggressivität des Pferdes zu Tode kam, erlitt dabei einen schweren Schock und ist bis heute geistig verwirrt. Sie wird immer noch in einer Klinik betreut.
In der Box des Geschehens war an der Rückwand eine Messingtafel mit dem Namen des