Katzmann und die Dämonen des Krieges. Uwe Schimunek
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«Dein Spiel.» Helmut Cramer hörte seine Worte, das vermeintliche Bedauern in ihnen - er war stolz auf sich.
«Eichel-Hand.»
Verflixt! Eichel-Hand war 36 wert, Hans/Franz hatte ihn gefoppt! Spielte der auch falsch?
Hans/Franz trank einen Schluck Bier, guckte arglos wie ein pflanzenfressender Waldbewohner, ein Reh vielleicht.
Jetzt ging es um Schadensbegrenzung. Mit Edes Skatkünsten rechnete er lieber nicht, der spielte an diesem Tisch das Opfer. Aber auch wenn er das Spiel abschrieb, lag er noch gut im Plus.
Alles lief schief. Hans/Franz spielte seine Trümpfe gekonnt aus. Kleine Stiche nutzte er, um lästige Karten abzuwerfen und Ede nach vorn kommen zu lassen.
Erst ganz zum Schluss reichten die Trümpfe nicht mehr. Mit den letzten beiden Stichen rettete Helmut Cramer sich und Ede aus dem Schneider.
«Da haben wir aber Glück gehabt.» Ede zählte ihre gewonnenen Stiche.
Der zählte während des Spiels nicht mal mit.
Helmut Cramer trank einen winzigen Schluck Bier. Hier in der Kanalschenke musste er natürlich Alkohol trinken, sonst würde er auffallen. Aber Geld mit Skat ließ sich nun mal nur in nüchternem Zustand machen. Nur mit voller Konzentration.
Ede mischte die Karten neu, legte den Stapel vor Helmut Cramer zum Abheben hin und trank einen großen Schluck von seinem Bier.
Helmut Cramer nahm die Karten in die Hand und schaute Ede an. Er ließ die Ecken der Karten schnippen und teilte den Stapel. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, wie zwei Buben und das Rot-Ass in seinen Händen kurz vors untere Ende des neuen Blattes wanderten. Ohne den Blick von ihm zu lassen, schob er die Karten wieder zu Ede.
Erst als der gab, trank Helmut Cramer einen weiteren Schluck und sah beiläufig zu Hans/Franz hinüber. Nur kurz. Dann drehte er seinen Kopf, als würde er sich vor lauter Langeweile umgucken. Hans/Franz wirkte arglos. Die Kneipensitzer interessierten ihn nicht, auch nicht der Kollege seines Bruders aus dem Großhandel, der in der Ecke mit großer Geste Reden schwang. Aber dieser feine Pinkel dort - wieso starrte der ihn so an?
«He, Schöner, du sagst an! Hannes hört.» Ede riss ihn aus den Gedanken. Und Hans/Franz hieß also Hannes.
«Immer mit der Ruhe.» Helmut Cramer nahm sein Blatt auf. Eichel-Bube, Schell-Bube, Rot-Ass lagen ganz unten. Den grünen Buben fand er auch und die Rot-Zehn, das Eichel-Ass. Ja, er half dem Glück ein bisschen auf die Sprünge, aber es ließ sich auch gerne helfen.
«18.»
«Nach einem guten Spiel soll man passen.» Hannes sprach die Worte selbstsicher wie ein Richter sein Urteil, verzog keine Miene, als er Ede zunickte.
«20.» Ede spuckte die Zahl aus, als hätten sich die Ziffern beim Warten im Rachen angesammelt.
«Ja.» Helmut Cramer wunderte sich kurz über Edes Elan. Aber sein Grand mit Zweien würde der nicht überbieten können. Keine Gefahr.
«Zwei.»
«Ja.»
«Drei.»
«Ja.»
Ede zögerte. Wollte der Null spielen? Das bedeutete, dass Ede nur kleine Karten hatte und Hannes ein schlechtes Blatt. Helmut Cramer versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie er sich fühlte. Wie ein Primaner, der durch Abschreiben eine Eins in Mathe kassiert hatte. Er lehnte sich zurück, schaute ins Kneipenrund, der Lackaffe war ins Gespräch mit seinem Tischgesellen vertieft. Was für ein Pärchen! Der Pinkel redete auf einen Lockenkopf ein - der steckte in einem zerknitterten Jackett, das vielleicht zur Konfirmation mal gepasst hatte.
«Sieben.» Ede schnaufte beim Sprechen wie ein Pferd.
«Ja.»
«30?»
«Ja.»
«33?»
«Ja.»
«Und … äh … 35?»
«Ja.»
«Ach Mann, dann spiel den Scheiß!» Ede sah aus, als hätte der Wirt ihm gesagt, dass er heute Abend nicht anschreiben dürfe.
Helmut Cramer nahm den Skat auf: Schell-Bube und Rot-Ass. Unglaublich! Heute schienen alle Götter aus Himmel und Hölle freigenommen zu haben, um sich um sein Skatspiel zu kümmern.
«Grand. Schneider angesagt!» Er ließ den Worten das Rot-Ass folgen.
«Ist in Ordnung, ich zahle heute Abend!» Konrad Katzmann untermalte seine Worte mit einer Armbewegung, als wolle er die ganze Kneipe einladen.
Die Worte galten selbstverständlich ihm, Heinz Eggebrecht. Er hätte sonst nach diesem Bier den Heimweg antreten müssen, mehr ließ seine Lehrlingslohntüte einfach nicht zu.
Nun konnten sie ihre Diskussion über die Photographie fortsetzen, Konrad Katzmann spendierte das Bier wohl auch aus einem gewissen Eigennutz heraus.
«Ich danke dir! Der Photographie gehört trotzdem die Zukunft.»
«Schon gut, du lädst mich ein, wenn du ein berühmter Photograph geworden bist. Aber eins musst du mir erklären: Was soll eine Photographie denn zeigen, was ein Text nicht schildern kann?»
Dagegen ließ sich schwer argumentieren. Auch Heinz Eggebrecht konnte ein gut geschriebenes Buch oft nicht aus der Hand legen, las die Nacht hindurch, bis zum Ende des Textes.
Er nahm eine Zigarette aus dem Etui, das Konrad Katzmann vorhin auf den Tisch gelegt hatte. Das Streichholz warf eine fingerhohe Flamme, der Tabak glimmte mit dem Rot eines Spätsommer-Sonnenuntergangs. Ein Schluck Bier, ein perfekter Moment. Jetzt fiel ihm das entscheidende Argument ein: «Menschen glauben am ehesten, was sie selbst sehen. Das aber liefert ihnen nur die Photographie, nicht der Text.»
Katzmann schien einen Moment überlegen zu müssen. In seinem Gesicht arbeitete es wie auf einer Baustelle, der Mund war schmal wie ein Graben, und auf der Stirn schienen kleine Schaufeln ihr Werk zu tun.
«Eine Photographie zeigt immer nur den Moment. Der Text aber beschreibt den Prozess, zeigt die Zusammenhänge auf, beleuchtet die Hintergründe. Der intelligente Leser weiß das.»
«Natürlich wird es immer Texte in der Zeitung geben, Nachrichten, Reportagen. Aber es wird der Tag kommen, an dem keine Zeitung mehr ohne Photographien erscheint.»
«Ah, der junge Mann ist also Hellseher!» Katzmann grinste von Ohr zu Ohr. «Photographien sind teuer. Wer soll eine Zeitung bezahlen, in der jeden Tag welche abgedruckt werden? Die Leute hier?» Sein Arm beschrieb einen Kreis, der den Gastraum umfasste.
Der