Crescendo bis Fortissimo. Manfred Eisner

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Crescendo bis Fortissimo - Manfred Eisner

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       27. Clarissas Reisebericht

       Nachwort

       Der Autor

       Danksagung

       Vorwort

      Liebe Leserinnen, liebe Leser,

      es sind einige Jahre über Oldenmoor, die imaginäre, irgendwo in der holsteinischen Marsch gelegene Kleinstadt, hinweggezogen, seit unsere liebenswerten Hauptpersonen aus „Leise Musik aus der Ferne“ endlich ihrer Liebe gewahr wurden.

      Sie, als Eingeweihter, pflichten dem Autor hoffentlich bei, dass es doch eigentlich bedauerlich gewesen wäre, es dabei bewenden zu lassen und diese Szenerie samt ihren imaginären Darstellern so mir nichts, dir nichts aus den Augen und aus dem Sinn zu verlieren.

      Deshalb setzen wir nun die Geschichte fort und begleiten Clarissa und Heiko bei ihrem alltäglichen Bemühen, den sich ausbreitenden Widrigkeiten und Verfolgungen inmitten Deutschlands während der neunzehnhundertdreißiger Jahre mit mutiger Aufrichtigkeit und menschlichem Anstand zu begegnen und letztendlich zu entkommen.

      Die harsche politische Realität dieser Zeit stellt dabei wiederholt gefährliche Klippen ins Fahrwasser, die es geschickt zu umschiffen gilt.

      Dazu weht ihnen ein anschwellend eisiger Gegenwind ins Gesicht, denn die zeitlichen Wirren spitzen sich rasant zu – bis zum unausweichlichen Orkan.

       1. Gottesdämmerung

      Heiko sitzt in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und liest mit ernstem Gesichtsausdruck den Courier, das Lokalblatt Oldenmoors. Auf der ersten Seite dominiert die Überschrift in großen Lettern:

       Deutschland ist wieder gesund! Der Führer schafft klare Verhältnisse.

      Darunter ein Bericht über die Sitzung des Deutschen Reichstages anlässlich des Parteitages der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei. Es folgt eine Zusammenfassung der in Nürnberg am Vortage verkündeten neuen Gesetze: das Reichsbürgergesetz“ sowie das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“.

      Mit jeder gelesenen Zeile steigert sich Heikos Betroffenheit. Sein besorgter Blick wendet sich von der Zeitung ab und fixiert das sich von Wand zu Wand erstreckende Bücherregal, vollgestopft mit zahlreichen antiquarischen und modernen Büchern, die in Leder, Leinen und Karton eingebunden sind.

      Ein kalter Schauer fährt Heiko den Rücken hinab. Er ist dreiundzwanzig, ein maskuliner Typ, groß und schlank gewachsen und in den vergangenen Jahren vom rebellischen Jüngling zu einem gestandenen jungen Mann herangereift. Nicht wissend, ob er wegen des soeben Gelesenen oder der Kälte seines Arbeitszimmers fröstelt, erhebt er sich, geht an die Tür und öffnet sie.

      „Silke!“, ruft er mit heiserer Stimme hinunter.

      Unten sind Schritte zu hören, danach das Öffnen einer Tür. „Jawohl, Herr Keller?“

      „Seien Sie so gut, bringen Sie den Kohleneimer und machen Sie den Ofen in meinem Zimmer an. Es ist ziemlich kalt hier oben.“

      „Komme sofort!“ Die Tür schließt sich wieder.

      Heiko geht zurück an den Schreibtisch und setzt sich in den Drehsessel. Verloren in ernsten Gedanken, spielen seine Hände unbewusst mit dem Totenschädel (eine von Harald Suhls Hinterlassenschaften), den er mit seiner Rechten vom Schreibtisch gegriffen hat. Die Finger der linken Hand gleiten auf der elfenbeinfarbenen Schädeldecke langsam hin und her.

      Als „Onkel“ Harald Suhl vor einigen Jahren starb und ihm sein gesamtes Vermögen vererbte, zog Heiko von seinem Kellerzimmer im Herrenhaus der von Steinbergs in dieses Haus um. Während inzwischen in den anderen Wohnräumen des Hauses zahlreiche Umbauten durchgeführt wurden, blieb dieses Zimmer unberührt. Mit Ausnahme der neuen Tapeten befand es sich noch im selben Zustand wie beim Ableben des kauzigen Alten. Heiko liebte dieses Arbeitszimmer, da es mit zahlreichen Erinnerungen an seine Kindheit verbunden war.

      Onkel Suhl, ein langjähriger Freund der Familie und unerwidert gebliebener Jugendliebhaber von Heikos Großmutter Alexandra, war sozusagen „Oldenmoors Institution des Wissens“ gewesen. Trotz seines exzentrischen Verhaltens und seiner für seine Gesprächspartner oft unverständlichen Ausdrucksweise hielt man ihn für eine Kapazität. In der Tat war er sehr belesen und hinterließ eine ansehnliche Bibliothek. Heiko hatte einige Mühe, seine eigenen, ebenfalls zahlreichen Bücher in dem bereits ziemlich vollen Bücherregal unterzubringen.

      An der gegenüberliegenden Wand hängt ein in dezenten Pastelltönen gemaltes Bild: ein sehr hübsches, etwa sechzehn Jahre altes Mädchen mit himmelblauen Augen, langlockigem, kastanienbraunem Haar und wohlgeformten Lippen, das den Betrachter mit einem leicht angedeuteten Lächeln ansieht. Unter dem Signum „Heiko Keller“ und der Jahreszahl 1930 am unteren Bildrand steht in kleinerer Schrift: „Bildnis der Prinzessin von der madigen Erbse, die in einem verzauberten Schloss an der alten Esche gefangen gehalten wurde“.

      Heiko hört Schritte auf der Treppe. Die Tür öffnet sich und eine robuste, etwa siebzehnjährige stämmige Deern mit blauen Augen und langen, blonden Zöpfen betritt freundlich lächelnd das Zimmer. Sie trägt den Kohleneimer in der einen und einige alte Zeitungen in der anderen Hand.

      „Ich mache Ihnen sofort das Feuer an, Herr Keller“, sagt sie eifrig und geht vor dem kleinen Kachelofen in die Knie.

      Durch das Eintreten des Hausmädchens aus seinen tiefen Gedanken herausgeholt, nickt Heiko stumm. Beklommen blickt er auf den Totenschädel in seiner Hand und deponiert diesen schließlich auf dem Zeitungsartikel über das Blutschutzgesetz. Er steht auf und geht langsam im Zimmer umher. Plötzlich bleibt er vor dem Bücherregal stehen, greift nach einem Band und blättert suchend darin. Nachdem er die gewünschte Stelle gefunden hat, liest er ein paar Seiten, schüttelt den Kopf und schiebt das Buch in seine Lücke zurück.

      Sein Blick bleibt an einem Wandkalender haften, der anzeigt, dass heute der 16. September 1935 ist.

      „Die gnädige Frau ... lässt Ihnen ausrichten, dass ... es bald Abendbrot ... geben wird“, sagt Silke, wobei sie ihren Satz mehrmals zum Tief-Luft-Holen und In-das-Feuer-Blasen unterbricht. In der Feuerstelle des Kachelofens lecken bereits einige rötliche Flammenzungen gierig an den fetten, schwarzen Kohlen.

      „Danke, Silke. Haben die Kinder schon gegessen?“

      „Sie waren gerade dabei, als ich hochgekommen bin.“

      „Gut, dann gehe ich schon mal runter.“

      Heiko steigt die Treppe hinab und schleicht auf Zehenspitzen durch die Diele bis hin zur Küche. Leise öffnet er die Tür, bleibt im Türrahmen stehen und betrachtet mit einem stummen Lächeln das lebendige Bild, das sich vor ihm auftut. Am Küchentisch sitzt eine auffallend hübsche, junge Frau, die eine große Ähnlichkeit mit dem Portrait in seinem Arbeitszimmer hat. Aus der damals mädchenhaften Clarissa ist inzwischen eine besonders aparte Erscheinung geworden.

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