Crescendo bis Fortissimo. Manfred Eisner

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Crescendo bis Fortissimo - Manfred Eisner

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schlug ihr Mann vor, ihr diesen Raum als Arbeitszimmer einzurichten. Damals war sie noch Lehrerin in der Schule in Oldenmoor und benötigte einen eigenen Platz, um ihren Unterricht vorzubereiten. Clarissa nahm beim Umzug außer dem Bett sämtliche Möbel aus ihrem Mädchenzimmer mit. Sie hing vor allem an ihrem kleinen Schreibtisch und genoss es, sich in ihr Reich zurückzuziehen, um in Ruhe zu schreiben oder zu lesen.

      Als Sohn Oliver geboren wurde, gab Clarissa das Lehramt auf. Neben der liebenden Ehefrau entwickelte sie sich zu einer fürsorglichen Mutter und sehr gewissenhaften Hausfrau. Minutiös wurden sämtliche Ausgaben für den Haushalt in ihrem Rechnungsbuch festgehalten. Obwohl Clarissa, anders als vormals ihre Frau Mama, nach ihrer Heirat keineswegs dazu genötigt war, jeden Pfennig mehrmals umzudrehen, hatte sich die durch mancherlei widrige Umstände erzwungene Sparsamkeit der Frau Annette von Steinberg als eine Selbstverständlichkeit auf ihre Tochter übertragen.

      Clarissa pflegte nach wie vor eine Gewohnheit, die sie schon in ihrer Jugendzeit lieb gewonnen hatte: Mit steter Regelmäßigkeit hielt sie mit ihrer schönen und ausgeprägten Handschrift wichtige Ereignisse in einem Tagebuch fest. Seit jenem unvergesslichen Tage vor vier Jahren, an dem sie, eilig dem Ruf ihrer Mutter folgend, unvorsichtigerweise das offene Tagebuch auf dem Schreibtisch liegen gelassen und damit Heiko Einsicht in ihre intimsten Empfindungen ermöglicht hatte, ging sie damit besonders sorgfältig um und hielt behutsam diesen Spiegel ihres Inneren stets unter Verschluss. Zudem blieb die Sammlung ihrer Tagebücher, bereits fünf an der Zahl, in einem geheimen Fach ihres Schreibtisches versteckt. Der französische Tischler, der vor mehr als hundertfünfzig Jahren dieses besondere Möbelstück konzipiert und gebaut hatte, musste ein wahrer Meister seines Metiers gewesen sein. Es war dem Tisch von keiner Seite her anzusehen, dass dieser ein verborgenes Fach enthielt.

      Jedes Mal, wenn Clarissa nach einer Eintragung ihr Tagebuch verschloss und es in seinem Versteck wieder in Sicherheit brachte, erinnerte sie sich mit Freude an Heikos freche Neugier, hatte doch diese eine entscheidende Wende in ihrer gegenseitigen Beziehung ausgelöst: Die anfängliche tiefe Abneigung, die sie seit ihren Kinderjahren füreinander empfunden hatten, begann nach einer ersten Aussprache zu schwinden. Allmählich näherten sie sich einander an, bis schließlich Liebe daraus wurde.

      Durch Betätigung eines in der mittleren Schublade verborgenen Hebels öffnet Clarissa das Geheimversteck im Schreibtisch und entnimmt daraus eines ihrer früheren Tagebücher. Sie setzt sich und beginnt in der Vergangenheit zu blättern.

       Ich kann es immer noch nicht fassen! Wie kann eine junge Frau in meinem Alter (man kann doch von einer Lehrerin wirklich nicht mehr als „Mädchen“ sprechen!) noch so unbedarft und naiv sein! Ich habe lang, allzu lang, dazu gebraucht, um mir einzugestehen, dass ich in Heiko verliebt bin. Eigentlich, liebes Tagebuch, habe ich dies schon seit längerer Zeit geahnt. Ich konnte es Dir aber nicht einfach so anvertrauen, dazu fehlte mir der Mut. Ich hoffe, Du kannst es verstehen und nimmst mir diesen Mangel an Ehrlichkeit nicht allzu übel. Aber jetzt will ich alles nachholen: Ich liebe Heiko mit der ganzen Kraft meines Herzens!

       Einige Tage (genauer gesagt: vier!) sind seit jenem wunderbaren Abend verstrichen, an dem ich endlich die innere Kraft aufbrachte, meine Hemmungen zu überwinden und meinen Empfindungen freien Lauf zu lassen. Als ich Heiko entgegenlief, er mich in seine Arme nahm und seine Lippen die meinen zärtlich berührten, brannte es auf meinem Mund wie Feuer und mein Herz pochte so wild, dass ich dachte, es würde mir aus der Brust springen.

       Wenn ich das soeben Geschriebene lese, finde ich es ganz schön albern. Aber es fallen mir einfach keine schöneren Worte ein, um es zu beschreiben. Jetzt, wo ich dieser Seite das größte und wichtigste Geheimnis meines Lebens anvertraut habe, muss ich mehr denn je darauf achten, dieses Tagebuch immer gut unter Verschluss zu halten. Am sichersten, ich verstecke es im Geheimfach meines Schreibtisches. Dort wird es mit Bestimmtheit niemand finden!

       Ich habe jetzt ziemliche Angst vor der Zukunft. Mit Sicherheit wird meine Familie sehr erbost sein, sollte sie von unserer Liebe erfahren. Der Papa wird vor Wut schäumen: Seine Tochter und der Tunichtgut von Heiko? Undenkbar! Der ist doch keine Partie für ein Fräulein von Steinberg. Dass diese Welt immer Wermutstropfen in das Glück einträufeln muss!

      Bewegt blättert Clarissa weiter.

       Heute herrscht bei uns wieder eine bedrückte Stimmung. Die Hypothek für das Herrenhaus ist in zwei Wochen fällig und der Papa teilte uns beim Mittagessen mit, dass er kein Geld habe, um sie abzulösen. Als er damals das Geld aufnahm, um Onkel Ewalds Kur im Sanatorium in Schleswig zu bezahlen, hatte er sich vorgenommen, mit dem Rest des Betrages ein Geschäft zu eröffnen. Auch diesmal blieb es leider beim Vorsatz, ohne dass er etwas unternahm. So zerrannen Zeit und Geld. Nachdem Heiko in Onkel Suhls Haus umgezogen ist und uns keine Miete mehr bezahlt, ist mein kleines Gehalt als Lehrerin die einzige Einkommensquelle, die dazu beiträgt, wenigstens einen Teil des Haushalts zu bestreiten. Es ist so deprimierend, dass weder der Papa noch Onkel Johann bereit sind, etwas für den Unterhalt der Familie zu tun. Auch Tante Therese, Mamas Schwester, lebt immer noch bei uns, da ihr Verlobter, Hein Piepenbrink, nicht genügend Geld verdient, um sie zu heiraten. Wie soll das nur weitergehen? Ich weiß es wirklich nicht! Wenn es dem Papa nicht gelingen sollte, irgendwie doch noch das Geld zu beschaffen, dann werden wir wohl ausziehen müssen. Wie auch bei den anderen Häusern werden die Rembowskis, von denen wir das Geld geliehen haben, darauf bestehen, dass wir das Herrenhaus räumen. Sie wollen es sicher für die Erweiterung ihrer Backwarenfabrik verwenden. Ich mache mir große Sorgen um unsere Zukunft.

       Es ist etwas Unglaubliches passiert. Als heute der Papa zu den Rembowskis ging, um wegen einer Verlängerung der Hypothek vorzusprechen, sagten sie ihm, dass sie diese Forderung an jemand anderen abgetreten hätten. Der Papa konnte aber den Namen des neuen Gläubigers nicht erfahren, da dieser ausdrücklich zur Bedingung gemacht habe, dass sein Name nicht genannt werde. Niemand kann sich dies erklären. Wer und was steckt dahinter?

       Heiko und ich treffen uns jetzt fast täglich im Café Petersen am Markt. Als ich ihm heute Abend davon erzählte, sah er mich sehr amüsiert an und sagte, ich solle mir nur keine Sorgen machen, es werde mit Sicherheit eine gute Lösung für dieses Problem geben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie wir aus dieser Klemme herauskommen sollen und woher der Deichkater seinen Optimismus nimmt. Er hat sich inzwischen bei der Bäckerei Rembowski sehr rasch hochgearbeitet. Der alte Herr Rembowski hat ihn in der letzten Woche neben seinem Sohn Josef (ich muss mich jetzt immer zusammennehmen, damit ich Josef nicht mehr „Klumpfuß“ nenne, wie früher, in meiner Kindheit) zum gleichberechtigten Geschäftsführer ernannt und ihm eine entsprechende Gehaltsaufbesserung gegeben.

       Nach unserem heutigen Treffen begleitete mich Heiko nach Hause. Als wir an der Haustür standen, nahm er mich zärtlich in seine Arme und küsste mich. Danach sah er mir tief in die Augen und fragte mich, ob ich seine Frau werden wolle. Ich empfand ein solch großes Glück, dass ich augenblicklich alle diese Sorgen vergaß. Ja, auch ich möchte so sehr den Deichkater heiraten. Aber jetzt, wo mein Herz noch vor lauter Aufregung bis zum Hals hinauf wild schlägt, überlege ich, wie schwierig doch alles für uns sein wird. Trotz der wiederholten Versuche, die ich bisher unternommen habe, um die Familie umzustimmen, meinen vor allem der Papa und Onkel Johann, dass der Deichkater das schwarze Schaf der Familie ist und bleibt. Als die Mama neulich versuchte, den Papa davon zu überzeugen, dass Heiko sich grundlegend geändert und jetzt eine sehr gute Stellung habe, wo er viel verdiene, brach zwischen den beiden ein großer Streit aus. Der Papa wurde sehr wütend und ging laut schimpfend aus dem Esszimmer. Werden Heiko und ich je seine Einwilligung zu unserer Hochzeit bekommen? So sehr ich mir dies wünsche, kann ich es kaum glauben.

      Clarissa schließt dieses Tagebuch und greift zum nächsten Band. Langsam blättert sie darin. Schließlich findet sie die gesuchte Stelle:

       Ich glaube, dass mein Leben sich zurzeit wie in einem Roman abspielt. Anders kann ich alles, was

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