Crescendo bis Fortissimo. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Crescendo bis Fortissimo - Manfred Eisner страница 6
Der Papa sprang erregt auf, befahl Kathrein, die Tür zwischen Esszimmer und Salon zu schließen und den Herrn in Letzteren zu führen. Danach strich er nervös mit seiner Hand durch die Haare und ging ein paar Schritte auf und ab. Schließlich sah er jeden von uns an, zuckte mit den Schultern und eilte hinüber in den Salon. Wegen der verschlossenen Tür konnten wir den Besucher nicht erspähen.
Schweigend saßen wir alle wie auf Kohlen am Esstisch, bemüht, irgendein Geräusch aus dem Nebenzimmer zu hören. Mit einem Mal konnten wir die laute Stimme des Papas ausmachen, allerdings ohne seine Worte zu verstehen. Danach wurde es wieder ruhig und wir konnten nichts mehr vernehmen, bis plötzlich die Tür aufging und der Papa mit blassem Gesicht hereintrat. Mit einem eigenartigen Blick musterte er zunächst mich, dann die Mama. „Annette und auch Du, Clarissa, kommt bitte herein!“, bat er mit heiserer Stimme.
Liebes Tagebuch, mit welchen Worten soll ich meine Empfindungen niederschreiben? Als ich sah, wer der Besucher war, blieb ich wie angewurzelt stehen und mein ganzes Blut muss augenblicklich in mein Gesicht geschossen sein, denn ich empfand darin eine brennende Hitze! Vor mir stand niemand anderer als Heiko, in einen sehr eleganten, schwarzen Anzug gekleidet, der mich breit lächelnd anstrahlte und mir mit einem Auge zuzwinkerte.
Der Papa legte mir beide Arme auf die Schultern und drehte mich zu sich herüber. Er hob langsam mein auf den Boden gesenktes Gesicht mit einem Finger hoch, bis ich ihm in die Augen sehen musste. Danach sagte er mit bewegter Stimme: „Dieser Herr hier hat behauptet, dass Ihr beide Euch liebt, und er hat auch noch um Deine Hand angehalten. Was hast Du mir dazu zu sagen?“
Ich musste meinen gesamten Mut aufbringen, um dem Papa meine volle Erwiderung von Heikos Gefühlen zu beichten und ihm zu gestehen, dass für mich eine Heirat mit Heiko das größte Glück auf Erden bedeuten würde. Als dann der Papa die Mama ansah und sie um ihre Meinung bat, fing sie an zu weinen, nahm mich in ihre Arme (zum ersten Mal, seit ich denken kann!) und wünschte uns von ganzem Herzen, dass wir miteinander sehr glücklich werden sollten. Dann sah der Papa den Deichkater an und sagte: „Nun gut, in Gottes Namen, mir bleibt sowieso keine andere Wahl! Meinen Segen hast Du, Du Halunke, aber pass mir bloß gut auf meine Clarissa auf. Du bist mir ab heute für sie verantwortlich!“ Dann machte er bewegt kehrt und ging Hand in Hand mit der Mama ins Esszimmer hinüber. Galant reichte mir Heiko seinen Arm und wir folgten ihnen. Trotz der Tränen, die inzwischen reichlich aus meinen Augen flossen, blickte ich mit großer Genugtuung in die erstaunten Gesichter der restlichen Familienmitglieder, als der Papa ihnen eröffnete, dass Heiko und ich uns soeben verlobt hätten! Nur Tante Alexandra, Heikos Oma, weinte, allerdings vor Glück. Aus ihrem Schaukelstuhl hielt sie mir ihre dünnen Arme entgegen, damit ich sie umarme, und sprach mir dann ihren Segen aus. Leider ist sie wegen ihres hohen Alters nicht mehr ganz zurechnungsfähig und spricht oft nur wirres Zeug. Trotzdem, ich weiß von früher, dass sie Heiko sehr liebt und ihm immer die Stange hielt, als die ganze Familie gegen ihn war.
Als nach all diesen aufregenden Ereignissen Heiko und ich endlich allein gelassen wurden und wir uns einen langen, innigen Verlobungskuss gegeben hatten, fragte ich ihn trotz meiner Atemnot, wie er es denn geschafft hätte, den Papa so rasch herumzukriegen. Darauf hat er nur gelacht und gesagt, ich würde es später schon noch erfahren. Das Wichtigste sei doch, dass dieser letztendlich zugestimmt habe. Ich gab ihm recht und fragte nicht weiter.
Wieder blättert Clarissa einige Seiten weiter.
Heute zeigte mir Heiko Onkel Suhls letzten Brief an ihn, den ihm Notar Dr. Looft nach der Testamentseröffnung überreichte. Wahrscheinlich war es auch der einzige Brief, den er je von Onkel Suhl empfangen hat. Durch diesen ist mir alles klar geworden. Ich erfuhr die wahren Gründe, die Onkel Suhl zu seinem Entschluss bewogen haben, sein Haus und Vermögen Heiko zu hinterlassen.
Trotz meines früheren Widerstrebens erkenne auch ich heute leider die Tatsache an, dass die Familie, aber vor allem der Papa und Onkel Johann, nur in den grandiosen Träumen ihrer Vergangenheit schwelgt. Sie sind deswegen absolut unfähig, sich den Tatsachen ihrer hoffnungslosen finanziellen Lage zu stellen. Sie rühren keinen Finger und sind auch nicht bereit zu arbeiten. Sie glauben immer noch, ihnen stünde es einfach zu, dass andere für sie zu sorgen hätten. Auch Onkel Suhl sprach dies voller Bedauern sehr deutlich in seinem Brief aus und begründete damit seine Entscheidung zugunsten Heikos.
Da er selbst keine Familie und somit auch keine Nachkommen hatte, machten sich die Mitglieder unserer Familie ziemliche Hoffnungen, ihn nach seinem Tode zu beerben. Da aber Onkel Suhl sehr klar voraussehen konnte, dass das Erbe früher oder später den gleichen Weg wie das bereits zerronnene Habe der von Steinbergs gehen würde, ersann der listige Alte einen Umweg, um uns wenigstens in einen Teilgenuss seines Besitzes kommen zu lassen, ohne dass der Familie ein direkter Zugriff auf dessen Substanz ermöglicht werde.
Der an Heiko gerichtete Brief enthielt neben allgemeinen Ratschlägen für die Anlage der Güter einige Bitten. Die vordringlichste war, er möge die Hypothek auf das Herrenhaus ablösen, um dessen Verlust abzuwenden, da sonst die gesamte Familie von Steinberg auf der Straße stünde.
Als ich Heiko fragte, ob er derjenige gewesen sei, der den Rembowskis die Hypothek abgekauft hätte, bejahte er mit einem frechen Grinsen. Auch ich musste darüber lachen, konnte ich mir doch jetzt Papas Entsetzen vorstellen, als er es an jenem Tage erfuhr, als Heiko uns besuchte und um meine Hand anhielt. Lächelnd sagte ich zum Deichkater: „Du mieser Schuft, so hast Du also den Papa um die Herausgabe der Tochter erpresst, nicht wahr?“ Heiko umarmte mich laut lachend und erwiderte, ich solle ihm dies nicht allzu sehr übel nehmen, es sei doch nur eine winzig kleine, süße Rache gewesen für all jene Erniedrigungen und Bosheiten, die er in seiner Kindheit und auch noch später von dem Papa und dem Rest der Familie über sich hätte ergehen lassen müssen. Zudem könne nunmehr die Familie von Steinberg auch weiterhin im Herrenhaus frei wohnen. Hätte er dies nicht getan, wäre unser Heim mit Sicherheit für immer verloren gegangen. Gern und auch mit tiefem Dank gab ich dem Deichkater hierfür recht.
Des Weiteren empfahl Onkel Suhl in seinem Brief, dass Heiko in seinem Haus wohnen und es in seinem Besitz erhalten möge. Ich musste sehr stutzen, als ich den Satz las: „Du wirst sicherlich bald ein Heim benötigen, um jemanden (den wir beide sehr gut kennen und der uns teuer ist) dorthin zu führen. Ich spreche Euch beiden meinen innigsten Segen aus.“ Hatte etwa Onkel Suhl bereits alles geahnt, bevor wir uns selbst darüber im Klaren waren? Seltsam! Als ich Heiko darauf ansprach, nickte er nur. Danach sagte er mir, er wolle das Haus umbauen und modernisieren lassen. Sein letzter Satz gefiel mir am besten: „Sobald alles fertig ist, heiraten wir!“
Besonders schmunzeln musste ich über eine weitere, eindringliche Bitte, die Onkel Suhl an Heiko gerichtet hatte:
Sollte dieser nämlich irgendwelche „Besonderheiten“ an seinem Teleskop oder an anderen Gegenständen der Hinterlassenschaft entdecken, möge er diese Entdeckungen unbedingt für sich behalten und niemandem verraten. Natürlich konnte Onkel Suhl nicht ahnen, dass Heiko und ich bereits kurz nach seinem Tode im Arbeitszimmer herumstöbern würden. Dabei hatten wir sein falsches Teleskop mit den von ihm speziell präparierten Abbildungen von Mond, Sonne und Sternen entlarvt. Damit hatte er uns schon als Kinder genauso hereingelegt, wie er die Bürger von Oldenmoor hinters Licht führte. Er hatte sich dadurch einen Ruf als bedeutender Astronom