Opak. Matthias Falke
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Carlssen schob die Erste Offizierin zur Seite, die ihn auf die Stirn geküsst und mit besorgten Fingern sein Haar zerteilt hatte.
»Weiter!« Er versuchte, sich Aufnahmefähigkeit zu befehlen.
»Außerdem habe ich die Bahn des Alpha-Objektes einigen stochastischen Prozeduren unterzogen. Es gibt in den Undulationen, die dieses Opak seit seiner Entdeckung beschreibt, keine erkennbaren Regelmäßigkeiten, die mit unseren Vorstellungen von Mathematik herauszufinden wären. Weder der Verdacht, die Aberrationen könnten als Modulationen einer Trägerwelle aufzufassen sein, noch die entlegenen Spekulationen lunarischer Nachtschwärmer, die nach Primzahlen und anderen nicht regelmäßigen Ordnungsprinzipien suchten, ließen sich verifizieren oder auch nur erhärten. Schließlich habe ich den Gegenbeweis angetreten und gegen zwei Uhr heute Morgen die Hypothese aufgestellt, es handle sich um ein frei randomisierendes Verhalten. Ich habe mehrere Millionen virtueller Zufallsgeneratoren kreieren und ihre Ergebnisse mit der Bahn des Alpha-Phänomens vergleichen lassen. Auch hier kam ich zu keiner Übereinstimmung.«
»Es ist weder berechenbar noch unberechenbar.«
»Sagen wir lieber: Es ist nicht regelmäßig und nicht vollkommen regellos. Ich erhielt bestimmte sehr vage Muster. Wenn wir die Flugrichtung und die Ebene der Ekliptik als Koordinaten zugrunde legen, so scheinen die Oszillationen, die es seitlich zur Bewegungsrichtung ausführt, geringfügig häufiger und schwächer, die Ausweichungen, die es senkrecht zur Planetenebene beschreibt, etwas seltener und heftiger zu sein. Bei wohlwollender Interpretation der Daten, denn es unduliert ja nicht nur in zwei durch Polarisation voneinander trennbaren Richtungen, sondern verlässt seine Bahnachse nach allen 360° einer orthogonal zur Flugrichtung stehenden Windrose. Außerdem ist die Vorwärtsbewegung von Sprüngen und Verwerfungen charakterisiert, die sich in keinem System mit den seitlichen Oszillationen koordinieren lassen.«
»Ist gut. Haben wir eine Prognose über eine mögliche Identifikation von Alpha- und Beta-Phänomen?«
»Nein.«
»Wir haben es also mit zwei distinkten Objekten zu tun.«
»Ich hielte es für voreilig, das so zu formulieren. Uns liegt ein Beschreibungszusammenhang vor, der sich je nach Beobachtungssituation unterschiedlich darstellt. Man kann es sich vielleicht metaphorisch vergegenwärtigen. Beobachter A befindet sich in einer nächtlichen Großstadt der gemäßigten Breiten, während Beobachter B sich in den Mittagsstunden in einer menschenleeren Wendekreiswüste aufhält. Es bedürfte eines gewissen Abstraktionsvermögens, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass sich beide auf demselben Planeten bewegen. Oder wenn wir als Alpha-Phänomen einen blühenden Apfelbaum ansetzen und als Beta-Korrelat eine einzelne herbstliche Frucht. Der Phänomencharakter ist inkohärent und doch handelt es sich um das gleiche Wesen von durchgehaltener Identität. Blüte und Apfel nehmen an der gleichen Raum-Stelle unterschiedliche zeitliche Positionen ein. Wir hier haben es mit einem Phänomen zu tun, das innerhalb derselben Zeit-Stelle unterschiedliche räumliche Positionen einnimmt – noch dazu in Abhängigkeit vom Beobachter.«
Wir verharrten in gleichmäßigem Abstand zu dem sonderbaren Objekt, das seinen augenlosen Flug unter der Trümmerwüste des Asteroidengürtels entlang fortsetzte. Groenewold, die mit Verspätung ihre Vormittagsschicht an der Seite Commander Carlssens antrat, äußerte hartnäckiges Unwohlsein und meinte, es verursachte ihr krampfhafte Angstempfindungen, dass wir so dicht an das herumwackelnde Objekt heransteuerten. Sie sprach sich sogar dafür aus, das Ding auf seiner unsichtbaren Bahn davonflackern zu lassen. Silesio übergab die Stelle des Kopiloten und versuchte zu erläutern, dass nur das Alpha-Opak »herumwackele«, das für uns aber nicht existent sei; unser Opak verhalte sich dagegen vollkommen linear. Nachdem er sie nicht überzeugt hatte, folgte er Theresa, die sich lakonisch verabschiedet hatte, in den Wohntrakt, um sich bis zur Nachmittagsschicht auszuruhen.
Als Gus auf die Brücke kam, um seine zwölfstündige Schicht aufzunehmen, die um acht Uhr begann, erhielt er vom Commander den Auftrag, drei Drohnen der mittelschweren Lambda-Klasse zum Aussetzen fertig zu machen. Mit mürrischem Triumph in den Augen entfernte sich der Bordingenieur zum Drohnendeck. Drei Stunden später klinkte die Dorset drei Beobachtungsdrohnen aus, die von der Automatik um das Schiff herumgeführt wurden und dann selbsttätig die konventionellen Wasserstofftriebwerke zündeten. Die drei magnesiumfarbenen Strahlenbündel verschmolzen mit der Indifferenz des Sternenhimmels. Auf wortkargen Monitoren kontrollierte Carlssen, wie sich die Observationsroboter dem Opak entgegenschnellten. Auf einem seitlichen Schirm war das Bild eines der optischen Teleskope zu sehen, das auf die Dreiuhrposition des Beta-Phänomens fokussiert war. In Abständen, die dem menschlichen Zeitempfinden regelmäßig vorkommen konnten, setzte einer der Sterne, die als Einziges auf der unveränderlichen Einstellung zu sehen waren, für einen Wimpernschlag aus und glomm danach wieder unschuldig auf. Ein künstlicher Lichtkreis rahmte den Wiedergeborenen ein, ließ die astronomische Kennung darunter aufblinken und ratterte die Bahndaten des Opak, die sich aus diesem Ereignis ergaben, an den unteren Bildschirmrand. Drei solcher Messungen fielen in kurzen Abständen an, während die Drohnen sich dem Verursacher der reflexhaften Verdunkelungen entgegenschleuderten. Die Ergebnisse wurden den davonziehenden Automaten übermittelt; aber da sie exakt im Erwartungshorizont der früheren Berechnungen lagen, waren keine Korrekturen nötig. Schließlich bogen sich die drei Zielgeraden auseinander. Die erste Drohne knickte sonnenwärts ein und positionierte sich vor dem Opak, dem sie in hundert Kilometern Abstand vorausflog. Die zweite nahm einen stationären Punkt in gleicher Entfernung über dem Objekt ein, während die dritte in gemessener Distanz über es hinwegsetzte und – von der Dorset aus gesehen – genau dahinter abbremste und seine parallele Bahn stabilisierte. Diese dritte Drohne war die wichtigste, gleichzeitig die am unsichersten zu programmierende. In der Draufsicht von unserem Schiff aus lagen ja nur die x- und y-Koordinaten fest; – die allerdings im mathematischen Sprachgebrauch, wie er von Luna III vorgegeben war, die x- und z-Koordinaten waren. Der dritte Vektor, der die räumliche Entfernung zwischen Opak und Dorset angab, beruhte, was das Beta-Objekt betraf, auf reiner Spekulation, da Messungen in dieser Dimension nicht möglich waren. Carlssen hatte also die y-Koordinate des Alpha-Phänomens übernommen; Gus aber angewiesen, für die dritte Sonde einen Sicherheitsabstand von 500 km einzugeben.
Als die Drohnen ihre Bestimmungsorte erreicht hatten, wurden die Haupttriebwerke und die Schalbleche abgesprengt. Sie verschollen im raumlosen Hall der Unendlichkeit. Die Instrumentenköpfe setzten je drei Sensorenfelder frei, die sich mithilfe autarker Steuerdüsen um jeweils einige Kilometer voneinander entfernten. Jede Einheit verfügte so über drei unabhängige Fixpunkte, von denen aus das Objekt exakt verortet werden konnte. Die drei Module der Lambda III, die in 500 km Abstand jenseits des Opak Position bezogen hatten, konnten im Wechselspiel mit den Instrumenten der Dorset besonders hochauflösende Scannings vornehmen. Nachdem alle neun Satelliten ihre Selbsttestroutinen durchgeführt und den Datenverkehr mit unserer Automatik aufgenommen hatten, geriet das unsichtbare Phänomen in ein dichtes Kreuzfeuer sämtlicher Wellenbereiche. Die mutmaßliche Position des Objektes wurde von Radar der unterschiedlichsten Frequenzen bestrichen und mit energiearmen optischen Lasern abgetastet. Alle paar Sekunden meldete einer der Automaten ein Verdeckungsereignis, und sowie die fehlende y-Koordinate ermittelt war, die mit dem entsprechenden Wert des Alpha-Phänomens innerhalb der geltenden Toleranzen übereinstimmte, wurde auch die Einheit, die Lambda III freigesetzt hatte, auf den geringeren Abstand der anderen Module herangeführt.
Theresa und Silesio erschienen zur dritten Schicht. Der Chefprogrammierer sah skeptisch die Ziffernkolonnen durch, die über die Monitore hasteten, und erkundigte sich nach den Ergebnissen; er sah nicht aus, als ob er in den letzten drei Tagen geschlafen hätte. Commander Carlssen erläuterte, es sei zu früh für vorzeigbare Spektakel, da die Datengrundlage noch zu dünn für konkrete Auswertungen war. Er hatte die Automatik angewiesen, sämtliche Messungen sofort in den Hauptspeicher aufzunehmen und sie dort zunächst zu akkumulieren. Die Nachmittagsschicht verlief dementsprechend ereignislos und auch die Abendschicht, zu der sich Carlssen und Groenewold wieder auf der Brücke einfanden, blieb ruhig. Der