Opak. Matthias Falke
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Langsam und geradezu quälend schob die Dorset sich, ferngesteuert von der Basis auf Luna, an das Objekt heran, das in seinem Oszillieren nach wie vor riesige Sprünge und Verschiebungen von hunderttausenden von Kilometern aufwies. Carlssen und Theresa lösten sich alle sechs Stunden auf der Brücke ab, obwohl es wenig zu tun gab, da die Dorset vom Autopiloten beharrlich an die virtuelle Durchschnittsbahn des Opak, die man dazu aus einem Sieben-Tage-Mittel errechnete, herangeführt wurde. Groenewold überwachte die Datenströme, die mit den externen Stationen ausgetauscht wurden, während Gus sämtliche Frühwarngeräte und vor allem das DeepField-Radar endlosen Prozeduren und Selbsttests unterzog, um instrumentenverschuldete Fehler so gut wie möglich ausschließen zu können. Dennoch blieben unsere Schirme leer und nicht nur Groenewold verfiel allmählich in Ratlosigkeit.
Am achten Tag nach dem Jupiter-Swing-by hatten sie sich auf hunderttausend Kilometer genähert. Commander Carlssen übernahm das Schiff in manueller Steuerung und löste Alarmstufe 1 aus. Alle Schotten blieben geschlossen, sämtliche Besatzungsmitglieder mussten auch außerhalb der Dienstzeiten in Bereitschaft bleiben. Die diensthabende Crew durfte die Brücke nicht verlassen. Gus protestierte halbherzig gegen das Alkoholverbot, weil er gewohnt war, sich nach seiner Zwölfstundenschicht mit ein paar Bierchen in seine Kabine zurückzuziehen. Für den Beginn der ersten Schicht, die Carlssen am nächsten Tag übernehmen würde, war das Rendezvous angesetzt.
»Was ist, wenn es einen seiner unkontrollierten Sprünge vollführt und uns dabei anrempelt?«
»Die durchschnittliche Oszillation liegt bei unter zehntausend Kilometern; bei einem Abstand von hunderttausend haben wir ein Kollisionsrisiko von weniger als einem halben Prozent, das ich vertreten zu können glaube. Außerdem handelt es sich um kein körperliches Objekt, das uns irgendwie ›berühren‹ könnte.«
Evchen sah nicht beruhigt aus.
»Selbstverständlich habe ich die Abschirmung aktiviert. Das Schiff bleibt auf gefechtsmäßiger Alarmstufe.«
Die Dorset bewegte sich synchron mit dem Opak, das an einem bestimmten Punkt auf neunzig Grad – drei Uhr, nannten das die Offiziere – fixiert war und das inzwischen mit dem bloßen Auge zu sehen hätte sein müssen, wenn es sich um einen Asteroiden gehandelt hätte. Da unsere Schirme, auch die der empfindlichsten Geräte, die selbst ein Staubkorn in dem bewussten Quadranten erkannt hätten, leer blieben, breitete sich eine gewisse Ratlosigkeit aus. Gus behauptete, wir wären dem aufwendigsten Aprilscherz in der Geschichte der interplanetarischen Raumfahrt aufgesessen. Commander Carlssen besprach sich mit Groenewold, die als Kopilotin seinen Schichten zugeordnet war. Die Daten, die Luna überspielte, besagten, dass das Objekt sich auf ihrer Höhe in einem durchschnittlichen Abstand von 97 500 Kilometern befand. Es waren dazu über zwanzig terrestrische und geostationäre Teleskope der verschiedensten Wellenbereiche zusammengeschaltet, wobei nur Messungen bearbeitet wurden, die von mindestens drei unabhängigen Beobachtungen bestätigt wurden. Schließlich rief Carlssen den Bordingenieur auf die Brücke und unterrichtete sich über die Funktionsweise der Instrumente. Das Opak wurde mit Breitbandscannern gesucht, die mehrere tausend Kubikkilometer Raumes durchleuchteten. Der Commander trug Gus auf, die Detektoren zu fokussieren und gezielt ein punktförmiges Datum, das er aus dem aktuellen Fünf-Tage-Durchschnitt errechnete, anzuvisieren. Es dauerte eine Stunde, bis Gus die Sensoren neu programmiert hatte. Theresa, deren Nachmittagsschicht gleich beginnen würde, meldete sich auf der Brücke, als Carlssen wieder an der Konsole Platz nahm, um assistiert von Groenewold die neuen Einstellungen zu testen. In diesem Augenblick flammten mehrere Anzeigen auf den Monitoren auf und die Automatik schrillte los. Gus kam aus dem Instrumentenraum auf die Brücke gestürzt. Ein Hintergrundstern auf 88° 15$'$ war für eine Millisekunde verdeckt worden!
Carlssen übergab das Kommando an Theresa, während Groenewold von Silesio abgelöst wurde. Dennoch blieb die gesamte Besatzung der Dorset, einschließlich Gus, auf der Brücke. Die hochauflösenden Scanner wurden nachgeführt und entsprechend den ermittelten Daten korrigiert. Sowie die entsprechende Position am Backbordhorizont noch schärfer beobachtet wurde, ergaben sich etliche Abdeckungen, aus denen sich das Vorhandensein und die Bewegung eines nicht leuchtenden Objektes ableiten ließen.
»Wir haben es.« Carlssens Stimme war ohne Triumph. Er hatte seinen Sessel herumgeschwenkt und sah über Silesios Schulter auf dessen Monitor. Der Chefprogrammierer hatte ein fluktuierendes Diagramm erstellt, das die Beobachtungsdaten, die von Luna III hereinkamen, mit den eigenen Messungen der Dorset synchronisierte. Es verstrich eine Viertelstunde, in der mehrmals das Hupen der Automatik ertönte, das eine weitere Sternabdeckung verkündete, bis die von der Erde einlaufenden Übertragungen aktualisiert waren und mit den Feststellungen vor Ort abgeglichen werden konnten. Es gelang jedoch nicht, die beiden Positionen in Einklang zu bringen.
»Es ist da und ist doch nicht da.« Theresa kniff unwillkürlich die Augen zusammen und starrte zum Backbordfenster hinaus, obwohl dort natürlich nichts zu erkennen war.
»Es ist jeweils an einem anderen Ort, je nachdem, von wem und von wo aus es beobachtet wird.« Silesio tippte auf seinem Sensorfeld herum. Eine dreidimensionale Grafik zeigte zwei Linien, eine gerade verlaufende und eine heftig undulierende.
»Wir müssen eine Fallunterscheidung vornehmen: Es gibt ein Alpha-Opak, das von den Computern auf Luna ermittelt wird, und zudem ein Beta-Opak, das von der Dorset aus erfasst werden kann. Dass es sich um zwei verschiedene Objekte handelt, kann meiner Auffassung nach dadurch ausgeschlossen werden, dass es keine Überschneidungen zwischen den beiden Varianten gibt. Wir haben keine Schnittmenge von Alpha- und Beta-Opak. Erst wenn wir eine mehrtägige Beobachtungszeit für das zweite, das Dorset-Opak, zur Verfügung haben, können wir sagen, ob eine statistische Identität oder zumindest Varianz vorliegt. Im Augenblick haben wir es mit zwei virtuellen Objekten zu tun, von denen nur eines, das Beta-Opak, für uns von signifikanter Relevanz ist.«
»Das wir aber auch nur ex negativo …«
»Aber da ist überhaupt nichts!«
Gus schien es nichts auszumachen, dass er seinem Commander das Wort abgeschnitten hatte. Er war aufgestanden und tigerte aufgebracht im Cockpit hin und her.
»Ich habe keine positiven Daten dafür, dass sich an der Position, über die wir hier reden, irgendetwas befindet. Ich habe kein Radarecho und selbst in den stärksten Scannern keine Erfassung. Alles, was mindestens zehn Atomdurchmesser groß ist – und wenn es Sterne der Lichtstärke II überdeckt, muss es deutlich größer sein –, muss auf meinem Schirm erscheinen. Aber da ist nichts!«
Commander Carlssen verschwand im Stabszimmer und hielt eine Konferenz mit den schichthabenden Offizieren auf Luna ab, die sich wegen der Zeitverzögerung über mehr als zwei Stunden hinzog. Die Nachricht von der vermeintlichen Entdeckung und Fixierung des Objektes durch die Dorset war von zivilen Stellen auf der Erde aufgefangen und dechiffriert worden und hatte in kürzester Zeit für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt. Die Panik flammte neu auf, zumal das rätselhafte Opak sich auf befremdliche Weise der Erde zu nähern schien. Die Gesprächspartner, die alle Viertelstunde wieder auf Carlssens Monitor erschienen, wirkten nervös und gestresst; ihre Überlegungen schienen von hektischen Aktivitäten im Hintergrund, mit heißer Nadel gestrickten Presseerklärungen, wie Carlssen vermutete, bestimmt.
Mit einem Anflug maskenhafter Entschlossenheit betrat der Commander die Brücke.
»Wir gehen dichter ran.« Er sah auf die Uhr. Theresas Schicht dauerte noch knapp drei Stunden.
»Kommandierende Offizierin, sind Sie bereit für ein manuelles Manöver von Priorität Rot?«
»Haben die das gesagt, dass wir dem Dings noch näher auf die Pelle rücken sollen?« Evchen sah von ihrem Schwenksessel auf, den sie neben den von Gus gefahren hatte. »Ich komme mir allmählich vor