365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner
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Nur wenige Menschen folgen dem Sarg Radetzkys, auf dem sein Marschallstab und die Insignien des Goldnen Vlieses liegen: der Kaiser, die einzigen noch lebenden Kinder des Toten, Friederike und Theodor, und der Kammerdiener Karl. Entlang der „Heldenallee“ stehen „zu tausenden die Bauern“, zusammengeströmt aus der Umgebung, um einen Blick auf den 27-jährigen Monarchen zu erhaschen. Sie knien nieder, als der Trauerzug sie passiert; Pargfrieder selbst nimmt als „Hausherr“ die Leiche bei der Säulenhalle in Empfang; gemeinsam mit dem Kaiser begleitet er den Sarg über vierundzwanzig Stufen hinunter in die Gruft zu der Nische, in der Radetzky, der Sieger von Custozza und Novara, zur ewigen Ruhe gebettet wird – fünf Jahre später wird es Pargfrieder selbst sein, der im rotgeblümten seidenen Schlafrock seinen Einzug in die Gruft hält.
Die Wannseekonferenz
Berlin, Am Großen Wannsee 56 – 58. Das wenige Monate zuvor eröffnete Gästehaus der SS, verwaltet von der von Sicherheitspolizeichef SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich errichteten Stiftung „Nordhav“, bietet jeden Komfort: „vollkommen neu eingerichtete Besucherzimmer, Geselligkeitsräume wie Musikzimmer, Spielzimmer, große Halle und Wintergarten, Terrasse zum Wannsee, Zentralheizung und fl. Wasser“. Die Übernachtung einschließlich Frühstück ist in dem ehemals dem Kaufmann Friedrich Minoux gehörenden Haus für „auswärtige SS-Führer von Sicherheitspolizei und SD“ für fünf Reichsmark mehr als wohlfeil; wer nicht selbst mit dem Wagen ankommt, kann sich jederzeit vom Bahnhof Wannsee abholen lassen, ein Anruf unter der Nummer 80 57 60 genügt.
An diesem Januartag geht es im repräsentativen Esszimmer der Villa hoch her, auf Einladung von Reinhard Heydrich hat sich ein illustrer Kreis von fünfzehn Herren aus diversen Reichsministerien und SS-Dienststellen eingefunden, die alle etwas mitzureden haben, wenn es darum geht, wie auf der Einladung so präzise formuliert, die „Endlösung der Judenfrage“ zu erörtern. Den Vorsitz bei der für 12 Uhr angesetzten „Konferenz“, die ursprünglich schon am 9. Dezember 1941 hätte stattfinden sollen, führt Heydrich selbst, auch ein „Ostmärker“ sitzt mit am Tisch und lässt sich kein Wort von dem entgehen, was die Chefs so diskutieren – muss er doch das Protokoll führen: Adolf Eichmann, der Leiter des „für Juden- und Räumungsangelegenheiten“ zuständigen Referats IV B4 beim Reichssicherheitshauptamt, der auch die Vorlagen für die heutigen Wortmeldungen Heydrichs verfasst hat. Eichmann, Jahrgang 1906, aus Linz stammend und seit 1932 NSDAP- und SS-Mitglied, gilt im Kreis der SS-Führer als der Spezialist für alle „organisatorischen“ Abläufe in den „Judenangelegenheiten“; durchdrungen von einer unbedingten „Ideologie der Sachlichkeit“ (Julia Schulze Wessel), hat er sich im Herbst 1941 eingehend über die Möglichkeiten zum industriellen Massenmord informiert und das in Bau befindliche Vernichtungslager Bełżec sowie die „Gaswagenstation“ Chelmno (Kulm) besucht, Letztere während des laufenden „Vernichtungsbetriebes“, eine Inspektion im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ist geplant. In seinem einleitenden Vortrag teilt Heydrich seine „Bestallung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ durch Hermann Göring mit und betont, dass nun an die Stelle der Auswanderung eine „weitere Lösungsmöglichkeit“ getreten sei, selbstverständlich nach „entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer“: die Evakuierung nach Osten zum „Arbeitseinsatz“, wobei eine „natürliche Verminderung“ anfallen würde, der „allfällig endlich verbleibende Restbestand“ werde dann „entsprechend behandelt werden müssen“. Von dieser „Endlösung“ betroffen wären über elf Millionen Juden, darunter auch, wie eine dem Protokoll beigefügte Statistik ausweisen wird, immer noch 43.700 aus der „Ostmark“. Keinen Zweifel lässt Heydrich über seine Kompetenz in dieser Angelegenheit: Die „Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage“ liege „zentral“ beim Reichsführer-SS und dem Chef der Sicherheitspolizei, wichtig sei aber auch die „Parallelisierung der Linienführung“ mit den weiteren „Zentralinstanzen“. In „sehr unverblümten Worten“ wird dann „von Töten und Eliminieren und Vernichten“ (Adolf Eichmann) gesprochen, die Ordonnanzen der Herren reichen Kognak, die Stimmung ist entspannt und Reinhard Heydrich erreicht sein Besprechungsziel: Wilhelm Stuckart, der Staatssekretär des Innenministeriums, der für die Zwangssterilisierung aller Juden eintritt, und dessen Kollegen aus den anderen Ministerien geben „fröhlich“ ihre Zustimmung zu den geplanten „Lösungsmöglichkeiten“ und sagen entsprechende Unterstützung zu. „Jedermann“, so wird Eichmann später aussagen, „war froh, sich an der Endlösung der Judenfrage zu beteiligen.“
Am Großen Wannsee 56 – 58: Die „Endlösung“ ist beschlossene Sache.
Nach etwa eineinhalb Stunden ist die „Konferenz“ zu Ende; Heydrich, Eichmann und SS-Gruppenführer Heinrich Müller, der Chef der Gestapo, trinken am wärmenden Kamin des Nachbarraums noch einen Kognak, „nicht um zu fachsimpeln, sondern uns nach den langen, anstrengenden Stunden der Ruhe hinzugeben“, dann geht es zurück in die Stadt. Eichmann hat sein Büro in der Kurfürstenstraße 16; hier arbeitet er, penibel wie immer, sein fünfzehnseitiges Protokoll der Besprechung am Wannsee aus, das in 30 Ausfertigungen am 26. Februar 1942 den Teilnehmern zugesandt wird, um sie für die erste „Nachfolgebesprechung“ im Büro Eichmanns am 6. März 1942 zu instruieren – ein Dokument der Menschenverachtung, das seinesgleichen sucht.
Das Spatzenpatent
Auf den Haussperling (Passer domesticus L.) wurde seit jeher Jagd gemacht. Das kleine Tierchen gilt zwar nicht gerade als Leckerbissen, in den barocken Kochbüchern finden sich dennoch Rezepte für seine Zubereitung: Nimm ein höltzernes Fäßlein, darnach du viel Vögel hast, und legs voll an, saltz es, daß sie recht im Saltz seyn, leg ein wenig gestossene Wachholder-Beeren darzwischen, gieß ein mittelmäßigen Eßig daran, daß über die Vögel gehet, und vermach es.
Doch nun, beeinflusst vom „Nützlichkeitsdenken“ der Aufklärung, hält es Regentin Maria Theresia für an der Zeit, einen wahren „Vernichtungsfeldzug“ (Georg Wacha) gegen die „listigen, diebischen und gefräßigen Tiere“ zu beginnen. Da man ihnen die Schuld am Rückgang der Getreideernten zuschiebt – sie würden das Körnl mit dem Schnabel gleichsam ausdreschen und so die ganze Ähre leer machen –, erlässt sie 1749 nach preußischem Vorbild, wo die planmäßige Sperlingsbekämpfung bereits 1744 mit einem Edikt Friedrichs II. beginnt, erste Verordnungen betreffend den Kampf gegen die Spatzen. In einem kaiserlich-königlichen Patent vom 7. August 1749 für Niederösterreich verlangt sie eine genaue Prüfung der Modalitäten wegen Ausrottung deren Spatzen und bittet um entsprechende Vorschläge; wohl gestützt auf diese Erkenntnisse verfügt sie am 21. Januar 1750 für das Land Kärnten ein „Spatzenpatent“, mit dem sie im ganzen Land neun eigene Spatzen-Commissarii einsetzt. Die verantwortungsvolle Aufgabe der kaiserlichen Beamten: Sie müssen die Köpfe der getöteten Spatzen abliefern, wobei anhand einer amtlichen Liste überprüft wird, ob auch die vorgeschriebene Tötungsquote erreicht worden ist. Die Anzahl der zu tötenden Vögel richtet sich jeweils nach der Größe des Besitzes des Ablieferers; die Spatzenköpfe werden unter behördlicher Aufsicht verbrannt. Gelingt es einem Spatzen-Commissarius nicht, die